Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christian
Gerlach
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2017/2018
Abstract
Die Arbeit befasst sich mit der Bedeutung von städtischen Immobilieninvestitionen innerhalb der zyklischen Entstehung von Wirtschaftskrisen im postfordistischen Kapitalismus. Die Geschichte der Berner Stadtentwicklung nach 1970 ist bislang kaum historisch erforscht worden. Dazu kommt, dass wirtschaftshistorische Zugänge mit marxistisch-materialistischem Hintergrund zur Stadtentwicklungsgeschichte generell rar sind und ein enormes Forschungsmanko besteht. Die Wahl des untersuchten Zeitraumes von 1970–2016 ist sowohl durch die Quellenlage als auch durch das Forschungsinteresse bedingt. Viele statistische Informationen sind vor 1970 weder auf nationalstaatlicher noch auf städtischer Ebene erfasst worden, wobei gewisse Daten vor allem auf nationalstaatlicher Ebene sogar erst ab den 1990er Jahren vorhanden sind. Anfangsund Endpunkt sind so gewählt worden, dass sowohl die auslaufende fordistische Phase bzw. die Weltwirtschaftskrise von 1973 im Untersuchungszeitraum liegen, als auch der Zeitraum möglichst gross ist, um die langfristigen Entwicklungen erkennen zu können. Es wird so möglich, die Rückwirkungen längerer Konjunkturverläufe, die damit verbundenen Krisen und ihr Zusammenspiel mit der Stadtentwicklung in mehreren Abläufen zu vergleichen, was bei einem Fokus auf nur eine Krisenentwicklung nicht möglich gewesen wäre.
Aufbauend auf den Arbeiten David Harveys zur kapitalistischen Stadtenwicklung werden in der Arbeit die Entwicklungen der Immobilieninvestitionen in der Stadt Bern innerhalb der Konjunkturzyklen und ihre konkreten Auswirkungen auf die städtische gebaute Umwelt dargestellt. Die Grundannahme besteht darin, dass zur Verhinderung von Überakkumulationskrisen Investitionen in Immobilien getätigt werden, um den Krisenmoment hinauszuzögern, was zu Immobilienblasen und Preissteigerungen führt, bevor während der Krisenphase das investierte Kapital entwertet wird. Die historischen Zusammenhänge zwischen Wirtschaftskrisen und Immobilieninvestitionen sind auch in der Stadt Bern ersichtlich. So entwickelten sich im Vorfeld einer Wirtschaftskrise jeweils starke Zunahmen der Kapital üsse in Immobilien.
Die drei Witschaftskrisen von 1973, 1991 und 2008 wirkten sich in verschiedener Weise auf die bauliche Struktur der Stadt Bern aus. Die Krise von 1973 wirkte als starke Zäsur im Wohnungsbau. Die im Vorfeld der Krise verfolgte Herangehensweise der Erstellung von Grossüberbauungen zu Wohnzwecken mit anderen primären Zielsetzungen als der reinen Extraktion von Grundrente wurde nicht mehr weitergeführt. Die Krise 1991 läutete eine anhaltende Rezession ein, welche zu durchwegs geringen Neubauten und wenigen neuen Wohnungen führte. Während also die erste hier dargestellte Krise den Wendepunkt der vergleichsweise riesigen Neuzugängen an Wohnraum für geringe Kosten darstellte, führte die partielle Krise 1991 vor allem zu einer Entwertung der überbewerteten Immobilienpreise und zum Stillstand der darauf beruhenden Akkumulation. Demgegenüber stellte die Krise von 2008 bezüglich der stadtbernischen Entwicklung der Immobilieninvestitionen keinen Bruch oder Wendepunkt dar, sondern lediglich eine kurzfristige Unterbrechung der sich seit 2005 entwickelnden Kapitalflüsse in Immobilien.
Forciert wurde die erleichterte Investition von anlagesuchendem Kapital in Immobilien ab 1991 durch stetig sinkende Hypothekarzinsen. Zusätzlich unterstützt wurde dies durch den regulatorischen Abbau der vermögensabhängigen Hürden für den Wohneigentumskauf. Während die relativ hohen Anforderungen an Hypothekardarlehen bestehen blieben, bestand in der Schweiz seit 1985 die Möglichkeit, angesparte Pensionskassengelder für den Kauf oder Bau von Wohneigentum zu nutzen oder einen bestehenden Hypothekarkredit abzuzahlen. Seit 1990 war dasselbe auch mit Geldern aus der privaten Rentenversicherung möglich.
Während sich also das Muster erhöhter Immobilieninvestitionen im Vorfeld des Ausbruchs von Wirtschaftskrisen in der Stadt Bern seit 1970 mehrmals wiederholte, geschah dies unter sich verändernden Umständen der Vermittlung durch den Finanzmarkt. Die massive Anhäufung von anlagesuchendem Kapital wurde seit Mitte der 1980er Jahre in Form von Pensionskassengeldern und dem Ausbau spezi scher Finanzinstrumente wie Immobilienfonds, Anlagestiftungen und Immobilien-AGs erleichtert und forciert.