Wie revolutionierte der Einfluss der Chemiker die Nahrungsmittelsicherheit? Die Rolle der Chemiker bei der Regulierung, Kontrolle und Überprüfung von Nahrungsmitteln im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert

AutorIn Name
Nadine
Duss
Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christian
Rohr
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2021/2022
Abstract
Die Masterarbeit widmet sich der Rolle der Chemiker bei der Entstehung und Umsetzung des ersten eidgenössischen Lebensmittelgesetzes von 1909. Dabei wird bewusst lediglich die männliche Bezeichnung „Chemiker“ verwendet, da zu dieser Zeit weder dem Verein schweizerischer analytischer Chemiker (VSAC) noch dem Verband der Kantonschemiker und Stadtchemiker der Schweiz (VKCS) Frauen angehörten. Der VSAC setzte sich bereits ab 1887 vertieft mit Untersuchungsmethoden der Lebensmittelchemie auseinander und pflegte den Austausch mit internationalen Berufskollegen, wohingegen der VKCS erst 1909 als Sektion des VSAC zum nationalen Austausch gegründet wurde. Insbesondere anhand der Protokolle des VSAC und des VKCS wird untersucht, inwiefern die Tätigkeiten der Chemiker zur Lebensmittelkontrolle beitrugen und wie sich der Austausch und die Zusammenarbeit zwischen den Chemikern gestalteten. Die Protokolle des VKCS sind unter anderem im Bundesarchiv der Schweiz einsehbar, jene des VSAC wurden in verschiedenen Fachzeitschriften publiziert, konkret in der Schweizerischen Wochenschrift für Chemie und Pharmacie, im Sanitarisch-demographischen Wochenbulletin der Schweiz (1904 – 1909) und in den Mitteilungen aus dem Gebiete der Lebensmitteluntersuchung und Hygiene (ab 1910). Zudem wurde die analytische Chemie der Schweiz bislang vor allem vom Chemiker Berend Strahlmann aufgearbeitet, der auch den spezifischen Bezug zur Lebensmittelchemie herstellte. Von grosser Bedeutung sind ausserdem zeitgenössische Publikationen der Chemiker, aber auch von weiteren Akteuren, die beispielsweise der Rekonstruktion des Abstimmungskampfes vor der eidgenössischen Abstimmung über das neue Lebensmittelgesetz vom 10. Juni 1906 dienen. Zunächst werden in einem globalen Kontext die strukturellen Entwicklungen und Strömungen der Industrialisierung, Globalisierung und Urbanisierung des 19. Jahrhunderts betrachtet, die zum Bedürfnis einer besser organisierten Lebensmittelkontrolle führten. Danach liegt der Fokus auf den Entwicklungen in der Schweiz. Die meisten Kantone besassen vor dem ersten eidgenössischen Lebensmittelgesetz bereits eine eigene, teilweise jedoch sehr unterschiedliche Gesetzgebung oder lediglich einzelne Verordnungen mit Bezug auf die Lebensmittelkontrolle. Die Notwendigkeit einer einheitlichen Regelung konnte durch die Befürwortenden deutlich gemacht werden: Die Vereinheitlichung sollte zu mehr Gerechtigkeit in den Strafbestimmungen für Lebensmittelfälschungen und -täuschungen führen sowie der Gesundheit der Gesamtbevölkerung förderlich sein, indem qualitativ bedenkenlose Nahrungs- und Genussmittel wie auch Gebrauchsgegenstände garantiert werden konnten. Durch das Gesetz konnte ausserdem eine Grundlage für gründlichere Grenzkontrollen geschaffen werden. Gegenargumente wurden vor allem vom Verband schweizerischer Konsumvereine und von einzelnen Handelskammern hervorgebracht, die steigende Preise sowie Lieferverzögerungen durch umständliche Grenzkontrollen prognostizierten. Die Opposition sah des Weiteren schlichtweg keine Notwendigkeit für eine Regelung auf Bundesebene und vermutete vielmehr Eigennutz der Landwirtschaft. Der Bauernverband wiederum kann als treibende Kraft zur Anbahnung des Gesetzes betrachtet werden – insbesondere der Sekretär Ernst Laur exponierte sich mit mehreren Schriften. Doch auch die Chemiker setzten sich mit dem VSAC durch Publikationen und Petitionen an die Bundesversammlung für die Notwendigkeit eines eidgenössischen Gesetzes ein – neben diversen weiteren Vereinen und Verbänden, wie dem Verein schweizerischer Metzgermeister, dem ärztlichen Zentralverein oder dem Schweizer Apothekerverein. Von noch grösserer Bedeutung waren die Chemiker allerdings in der Ausarbeitung der Lebensverordnungen bis zum Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Juli 1909 und der fortlaufenden Interpretation und Revision desselben. Auch danach ergaben sich in der täglichen Praxis neue Unsicherheiten, welche Richt- und Grenzwerte für welche Nahrungsmittel gelten sollten oder wie manche schlecht umsetzbare Verordnungen angepasst werden könnten. Hierfür besprachen sich insbesondere die Kantonschemiker untereinander und schlossen sich nach der Initiative des sankt-gallischen Kantonschemikers Gottwald Ambühl 1909 zum VKCS zusammen. Die Chemiker – und später auch Chemikerinnen – waren für die Lebensmittelkontrolle unerlässlich (und sind es bis heute): Ohne sie wären lediglich einfachste Untersuchungsmethoden möglich,mitwelchendieimmerraffinierterwerdenden Verfälschungen nicht entdeckt werden könnten.

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Bibliothek

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