Die Arbeit entstand im Rahmen eines Forschungsprojektes am Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte an der Universität Bern, das dem Themenbereich von „Innovationsräumen“ im alten Reich zwischen 1250 und 1550 gewidmet war. Grundlage des Projektes war der Versuch, Wissen und Raum zu verbinden. Dabei stand die Frage im Mittelpunkt, warum von Zeit zu Zeit Räume entstanden sind, in denen Wissen und Fertigkeiten rascher rezipiert wurden und die dadurch zu Vorsprungs- oder Führungslandschaften wurden. Da Bern mit rund 9’000 km2 das grösste Territorium einer Stadt nördlich der Alpen besass, stand die Stadt im Verdacht, ein solcher „Innovationsraum“ zu sein. Wie sonst hätte es ausgerechnet der im reichsweiten Vergleich eher unbedeutenden Stadt mit höchstens 5’000 Einwohnern gelingen können, innerhalb von drei Jahrhunderten ein so grosses Untertanengebiet in ihren Besitz zu bringen, dieses zu verwalten und schliesslich auch bis 1798 zusammenzuhalten?
Zur Überprüfung dieser Arbeitshypothese wurde einerseits auf die breite Literatur zur bernischen Geschichtsschreibung zurückgegriffen, andererseits aber vor allem zahlreiche Primärquellen herangezogen. Als Grundlage dienten nicht nur die gedruckt vorliegenden Quellen, sondern zum grossen Teil ungedruckte Archivalien des Berner Staatsarchivs, des Stadtarchivs, der Burgerbibliothek, des Herrschaftsarchivs Oberdiessbach sowie des Staatsarchivs Turin. Das so zusammengetragene Material wurde im Hinblick auf das Funktionieren der bernischen Verwaltung mittels der analytischen Kategorien „Innovation“ und „Tradition“ untersucht. Gleichzeitig wurden, wo immer möglich, die Träger der Verwaltung erfasst und am Leitfaden der prosopographischen Methodik ausgewertet.
Die Arbeit gliedert sich in fünf Teile. Nach einer Einleitung, in der die Fragestellung, Anlage und Ziel der Arbeit, der Forschungsstand sowie die Quellenlage erläutert werden, widmet sich der zweite Teil der Arbeit der Verwaltung der Stadt.
Nach einem Überblick über die Verfassungsentwicklung werden hier die Verwaltungsorgane, die sich im spätmittelalterlichen Bern nach und nach ausbildeten, dargestellt. Der dritte Teil der Dissertation befasst sich mit der Verwaltung der Landschaft. Ein erstes Kapitel widmet sich hier dem Territorialisierungsprozess sowie dem Aufbau und der Zusammensetzung des bernischen Untertanengebiets und versucht schliesslich die Gründe für die exzeptionelle Grösse des bernischen Territoriums darzulegen. Im zweiten Kapitel wird die Vogteiverwaltung, wie sie in Bern praktiziert wurde, thematisiert. Dem vierten Teil, der die Ergebnisse beinhaltet, folgt schliesslich der Anhang, der neben der Bibliographie insbesondere auch Karten mit einer Darstellung der verschiedenen Phasen des bernischen Territorialerwerbs sowie Listen mit allen bekannten Amtsträgern liefert.
Die Hauptergebnisse der Arbeit lassen sich in den folgenden fünf Punkten knapp zusammenfassen: 1. Dass es Bern hat gelingen können, ein so grosses Territorium in seinen Besitz zu bringen, war in erster Linie von dessen geopolitischer Lage abhängig. Diese war einerseits dadurch gegeben, dass die Stadt an der Grenze dreier konkurrierender Adelsdynastien lag und deshalb verhindern konnte, dass sie während des Interregnums in die Abhängigkeit einer der zähringischen Erben fiel. Andererseits war die Stadt aber auch königsfern, so dass sie bereits im 13. Jahrhundert weitgehend unabhängig vom Reichsvogt agieren konnte. Dies hatte zur Folge, dass Bern fast ein Jahrhundert früher mit dem Territorialerwerb beginnen konnte als die umliegenden Städte und damit einen entscheidenden Vorsprung aufwies. Da die Stadt an der Westgrenze der alten Eidgenossenschaft gelegen war, konnte sie zudem auch in der Mitte des 16. Jahrhunderts noch ungehindert expandieren, ohne dabei in Konflikt mit ihren Bundesgenossen zu geraten. Getragen wurde diese Politik von der Gruppe der ratsbeherrschenden Adels- und Notabelnfamilien, die sich beim Landerwerb wie Fürsten verhielten, denen das Steuer- und Mannschaftsrecht wichtiger war als eine die Stadt umgebende Gewerbelandschaft, und die deshalb jede sich bietende Gelegenheit nutzten, um das Untertanengebiet zu vergrössern.
2. Die bernische Obrigkeit band seit dem Beginn des Territorialerwerbs die Landbevölkerung äusserst geschickt in ihre Ziele ein, indem sie mit ihr bündnisähnliche Untertanenverträge abschloss. Dies war sowohl gegenüber Individuen der Fall, die als Ausbürger ins Stadtrecht aufgenommen wurden, als auch im grösseren Rahmen durch den Abschluss von Verträgen mit ganzen Talschaften. Zumindest in den ersten Jahrzehnten des Landerwerbsprozesses versuchte die bernische Obrigkeit jedoch nicht nur hier, sondern auch in denjenigen Gebieten, die sie erobert oder käuflich erworben hatte, ihre Ziele in erster Linie mit und nicht gegen die Landbevölkerung zu erreichen. Dieses Vorgehen war denn auch der wichtigste Grund, weshalb es der höchstens 5’000 Einwohner zählenden Stadt Bern hat gelingen können, die annähernd 100’000 Untertanen in ihrem Territorium verhältnismässig konfliktarm zu organisieren und unter Kontrolle zu halten.
3. Die bernische Vogteiverwaltung zeichnete sich durch einfache Strukturen und einen starken Hang zum Pragmatismus aus. Dies rührte einerseits daher, dass die Stadt noch bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts mit weiteren Expansionsbestrebungen beschäftigt war, es war andererseits aber auch darin begründet, dass die Obrigkeit vor allem am Mannschaftsrecht und den Steuereinnahmen interessiert war. Neue Untertanen wurden jeweils beim alten Recht belassen und zugleich das bisherige lokale Verwaltungspersonal übernommen. Da die Territorialverwaltung noch bis in die Reformationszeit hinein fast ausschliesslich mündlich funktionierte und neu gewählte Vögte dadurch weitgehend auf das Wissen der lokalen Amtsträger angewiesen waren, verfügten die bernischen Landbewohner auch zu Beginn des 16. Jahrhunderts noch über einen vergleichsweise hohen Grad an Selbstverwaltungsrechten.
4. Das pragmatische Vorgehen, das die Territorialverwaltung prägte, bestimmte auch die bernische Stadtverwaltung. Anders als in zum Vergleich herangezogenen Städten war zudem der Kreis der regimentsfähigen Personen in Bern am Ende des Mittelalters noch sehr breit. So zählte der Grosse Rat in der Regel 250 bis 300 Mitglieder und auch die Anzahl der Positionen, die mit kleinratsfähigen Männern besetzt werden konnten, lag dank den 50 Vogteien, die die Stadt in der Mitte des 16. Jahrhunderts ihr Eigen nannte, viel höher als in anderen Städten. Dies hatte zur Folge, dass sich die Führungsschicht in Bern wesentlich später abschloss und aristokratisierte als etwa in Luzern, das sich ansonsten am besten mit Bern vergleichen lässt.
5. Seit der zweiten Hälfte der 1470er Jahre unternahm auch die Stadt Bern Versuche, ihr Territorium herrschaftlich stärker zu durchdringen. Wegen den bündnisähnlichen Untertanenverträgen war dies allerdings nur sehr beschränkt möglich und die Landbewohner konnten sich in der Regel erfolgreich gegen die Bemühungen der Stadt wehren. So war es paradoxerweise ausgerechnet das innovative Verhalten der Berner Obrigkeit während der wichtigsten Phase des Herrschaftserwerbs, das die spätere Herrschaftsverdichtung verhinderte. Die am Anfang der Arbeit stehende Arbeitshypothese, dass die Stadt Bern besonders innovativ gewesen sein müsse, konnte damit nur teilweise verifiziert werden. Im Bereich des Landerwerbsprozesses liess sich diese These zwar vollumfänglich bestätigen, doch bei der Verwaltung sowohl der Stadt als auch des grossen Territoriums verhielt sich die bernische Obrigkeit ausgesprochen verharrend. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Berner Obrigkeit wesentlich weniger erfolgreich gewesen wäre, wenn sie wie andere Landesherren versucht hätte, das Territorium rascher und diskussionsloser zu durchdringen und eine stärker kontrollierende Verwaltungspraxis durchgesetzt hätte. Die auf Pragmatismus und klugem Abwägen zwischen einem Weiterführen von Bewährtem und der Einführung von Neuerungen beruhende Verwaltung der Stadt Bern und ihres Territoriums war damit zwar nicht innovativ, aber äusserst erfolgreich.
Die Dissertation ist 2006 in der Reihe „MittelalterForschungen“, herausgegeben von Bernd Schneidmüller und Stefan Weinfurter, im Thorbecke Verlag Sigmaringen erschienen.