Ungarn und die Folgen des Friedensvertrages von Trianon von 1920 bis 1988

AutorIn Name
Tünde
Ertavi
Art der Arbeit
Lizentiatsarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Stig
Förster
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
1999/2000
Abstract

Zentrales Thema dieser Arbeit ist die Minderheitenpolitik der ungarischen Regierungen angesichts der Situation der ungarischen Bevölkerung in den umliegenden Ländern, Tschechoslowakei, Sowjetunion, Rumänien und Jugoslawien, seit dem Trianonvertrag von 1920 bis 1988.

 

Der erste Teil befasst sich mit den Folgen für die ungarische Bevölkerung in den neuen Nationalstaaten unmittelbar nach dem Trianonvertrag und mit der ungarischen Revisionspolitik bis zum Zweiten Weltkrieg. Der zweite Teil erläutert die nationalistische Minderheitenpolitik in der Tschechoslowakei und Rumänien nach dem Zweiten Weltkrieg und die Konsequenzen des Volksaufstandes von 1956 für die ungarische Minderheit. Im letzten Teil wird die Beziehung zwischen Ungarn und Rumänien bezüglich der Minderheitenpolitik und des erstarkten rumänischen Nationalismus ab den 1960er Jahren bis 1988 erörtert.

 

Der aufgezwungene Trianonvertrag von 1920 traumatisierte das ungarische Königreich. Ungarn verlor mit dem Machwerk 3/4 seines Gebietes und 2/3 der ungarisch-sprechenden Bevölkerung. Die ungarischen Minderheiten in den Nationalstaaten Tschechoslowakei oder Rumänien verloren alle ihre Bürgerrechte, sei es das Stimm- und Wahlrecht oder das Recht zur Ausübung ihrer Muttersprache.

 

Diese für Ungarn unakzeptable Situation führte in der Zwischenkriegszeit zu einer Annäherung an das faschistische Italien und später an das nationalsozialistische Deutschland, in der Hoffnung, eine Revision des Trianonvertrages mit Hilfe der Achsenmächte erwirken zu können. Der Wille nach Rückgewinnung der ehemals ungarischen Gebiete als oberste Maxime der ungarischen Aussenpolitik, die auch von der kommunistischen Partei unterstützt wurde, stürzte Ungarn auf Seiten der Achsenmächte in den Zweiten Weltkrieg. Die kurzfristigen Gebietsgewinne während des Krieges mussten mit weiteren Territoriumsverlusten nach dem Krieg bezahlt werden. Gleichzeitig verlangte die tschechoslowakische Benes-Regierung die Lösung der Minderheitenfrage. Mit dem Potsdamvertrag wurde die Vertreibung der deutschen und ungarischen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei ermöglicht.

 

Nach der Machtübernahme der Kommunisten bis zum Ausbruch der Revolution von 1956 war die nationale Frage in Ungarn im Allgemeinen und die konkrete Lage der in den Nachbarländern lebenden Minderheiten im Besonderen tabuisiert worden. Es galt das Prinzip des proletarischen Internationalismus: Vorrang der Klasse vor der Nation. Laut der marxistisch-leninistischen Ideologie, die die einzige theoretische Rechtfertigung für die sowjetische Vorherrschaft über die Länder Mittel- und Osteuropas und zugleich für die Einparteienherrschaft war, waren Erscheinungen wie Fremdenhass, Antisemitismus, Unterdrückung von Minderheiten Überbleibsel der Vergangenheit. Die ungarische kommunistisch-stalinistische Regierung hielt sich an dieses Prinzip und verfolgte keine spezielle Politik bezüglich der ungarischen Minderheiten.

 

Die Oktober-Revolution von 1956 löste unter der ungarischen Bevölkerung in den umliegenden Staaten Solidaritätskundgebungen aus. Die Machthaber sahen in der Revolution jedoch einen Rückfall in die irredentistische Zwischenkriegszeit und verurteilten den Volksaufstand in Ungarn als Reinkarnation des ungarischen Horthy Nationalismus und als eine direkte Bedrohung für ihre Nationalstaaten. Als Folge der Ereignisse in Ungarn wurden den ungarischsprachigen Kultur- und Bildungsinstitutionen z. B. in der Slowakei Einschränkungen auferlegt. Die K·d·r-Regierung in Ungarn erklärte nach der Niederschlagung des Aufstandes, dass die Ungarische Volksrepublik keinerlei Ansprüche gegenüber anderen Ländern, weder territorialer noch sonstiger Natur erhebe. Die strikte anti-irredentistische Haltung der ungarischen Regierung änderte sich bis in 1980er Jahr nicht, obwohl seit 1956 eine stetige Erosion der Minderheitenrechte in den Nachbarländern feststellbar war.

 

Der letzte Teil der Arbeit befasst sich mit den ungarisch-rumänischen Beziehungen. Mit der Machtübernahme von Nicolae Ceausecu wurde ein neues Kapitel in den ohnehin problematischen ungarisch-rumänischen Beziehungen eröffnet. Ceausecus Politik des «patriotischen Nationalismus» führte zu einer steten Diskriminierung der Minderheiten in Rumänien, die schliesslich in die Vernichtung ihrer Dörfer und Lebensgrundlage mündete. Die kommunistische Regierung Ungarns versuchte zunächst die Differenzen mit Rumänien ganz im Sinne des proletarischen Internationalismus auszuräumen. Das anfangs zögerliche Interesse für die Minderheiten führte ab 1972 als Folge der Helsinki-Konferenz zu verstärkten Interventionen seitens der ungarischen Regierung.

 

Seit den 1980er Jahren kam es zwischen Ungarn und Rumänien in der Minderheitenfrage zum Bruch. Mit der Verschlechterung der ungarisch-rumänischen Beziehungen wuchs der Druck der ungarischen Bevölkerung auf ihre eigene Regierung, Massnahmen bezüglich der Lage der ungarischen Minderheit in Rumänien in die Hand zu nehmen. Die Medien begannen die ungarische ÷ffentlichkeit über die Lage der magyarischen Minderheit in Rumänien zu informieren. Die Schleifung von ungarischen Dörfern in Siebenbürgen löste Demonstrationen und Proteste in Ungarn aus. Die kommunistische Minderheitenpolitik mit dem Primat des proletarischen Internationalismus war an ihr Ende gelangt. Der Sturz des kommunistischen Systems in Ungarn und Rumänien läutete eine modifizierte Zusammenarbeit hinsichtlich der Minderheiten ein.

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