Täler voller Wunder. Eine katholische Verflechtungsgeschichte der Drei Bünde und ihrer Untertanengebiete Veltlin, Bormio und Chiavenna (17. und 18. Jahrhundert)

AutorIn Name
Philipp
Zwyssig
Art der Arbeit
Dissertation
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christian
Windler
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2015/2016
Abstract
So wenig der Befund überraschen mag, dass die römisch-katholische Kirche in ihrer nachtridentinischen Konzeption eine über Italien hinausreichende, universale Kultgemeinschaft sein wollte, so wenig war bisher über jene Mechanismen und Ressourcen bekannt, die die einzelnen katholischen Kultgemeinschaften in der Frühen Neuzeit zu einer universalen Kirchengemeinschaft verflochten. Dieses Desiderat der Forschung aufnehmend, zeigt die Dissertation „Täler voller Wunder“ am Beispiel des rätischen Alpenraums, dass die Papstkirche über einen reichen Schatz an Gnadenmitteln (Thesaurus ecclesiae) verfügte, mit dessen Hilfe es ihr möglich wurde, lokale Kultgemeinschaften in die katholische Gesamtkirche einzubinden. Im Rahmen einer solchen katholischen Beziehungs- und Verflechtungsgeschichte verdienen die Drei Bünde mitsamt ihren Untertanengebieten im Veltlin besondere Beachtung, weil sich hier die Frage nach einer verstärkten Einbindung in die römisch-katholische Einflusssphäre wegen der Bikonfessionalität besonders dringlich zu stellen schien. Tatsächlich war die katholische Gesellschaft im rätischen Alpenraum eine ausgesprochen offene Gesellschaft, wie die aus einem breiten Quellenfundus zusammengetragenen Evidenzen grenzüberschreitenden Austauschs zeigen. Während sich die Geschichtsschreibung bisher fast ausschließlich für die politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen im Alpenraum interessiert hat, verfolgt die Dissertation „Täler voller Wunder“ großräumige Vernetzungen auch im kulturellen Bereich, insbesondere in der katholischen Frömmigkeitskultur. Letztere zeichnete sich im Falle der Drei Bünde und ihren Untertanengebieten durch eine Vielzahl von Manifestationen mirakulöser Ereignisse aus. Und so stellt sich denn die Frage, ob die vielen Wunder und die zahlreichen Gnadenorte, an denen sie verdankt und dokumentiert wurden, womöglich in einem Zusammenhang standen mit den großräumigen Austauschbeziehungen, in die die katholische Gesellschaft der Drei Bünde und des Veltlins allem Anschein nach eingebunden waren. Dieser Frage geht die Arbeit in den drei Teilen „Translokaler Katholizismus“, „Barocke Gnadenlandschaften“ und „Ökonomien des (Un)Heils“ nach. Dabei soll es um das Eingebundensein der Frömmigkeitskultur in großräumige Bezugssysteme gehen, ohne dabei deren Verankerung in der lokalen Lebenswelt außer Acht zu lassen. Im ersten Teil macht die Arbeit deutlich, dass weder die katholische Kultur und Gesellschaft im Allgemeinen noch die mit weitreichenden Befugnissen ausgestatteten Kirchgemeinden im Besonderen selbstreferentielle Systeme waren. Die Auswertung bisher noch nicht systematisch erforschter römischer Quellenbestände (vor allem im Archiv der Congregatio de Propaganda Fide) sowie des Aktenmaterials der Mailänder und Brescianer Kapuzinermission bringt aus akteurszentrierter Perspektive eine ganze Bandbreite von großräumigen Vernetzungen ans Licht, angefangen bei der katholischen Literatur bis hin zum Schul-, Stiftungs- und Bruderschaftswesen. Dabei wird klar, dass sich seit dem ersten Viertel des 17. Jahrhunderts eine zunehmende kommunikative Verdichtung zwischen Rom und dem rätischen Alpenraum eingestellt hat: Mit den regelmäßig nach Rom gesandten Missionsberichten und Bittschriften wuchs der Informationsfluss stetig an; das Wissen über die kirchlich-religiösen Verhältnisse im rätischen Alpenraum auf der einen, über die römischkurialen Verfahrens- und Entscheidungswege auf der anderen Seite nahm gleichsam zu. Dadurch entstanden neue Interdependenzen, die für lokale Akteure einerseits neue Handlungschancen boten, gleichzeitig aber die angestammten Mechanismen (etwa der Pfarrwahl) vor große Herausforderungen stellten. Im zweiten Teil richtet sich der Blick auf die Frömmigkeitskultur, die sich unter dem Vorzeichen der großräumigen Verflechtungen im rätischen Alpenraum zu formieren begann. In zeitgenössischen Abhandlungen über einzelne Wallfahrtsorte und Heiligenkulte, in Bruderschafts-, Andachts- und Liederbücher sowie in anderen Erzeugnissen lokalen Erzählguts sind Glaubensmanifestationen auszumachen, die teils für dauerhafte, teils für temporäre Verbindungen zwischen Himmel und Erde sorgten. Dazu gehörten eine dichte Kirchenbaulandschaft, mit Reliquien und Gnadenbildern ausgestattete Heiligtümer und in die Landschaft ausgreifende Glaubenspraktiken wie Bittgänge oder Flurprozessionen. Alle diese Elemente zielten darauf ab, ein sakrales Umfeld zu schaffen, in dem die Wahrscheinlichkeit eines göttlichen Gnadenerweises – sei es eine mirakulöse Heilung, sei es ein anderes Wunder – besonders hoch war. Wie die Arbeit zeigt, ging diese sakrale Vereinnahmung der Landschaft alles andere als interessenfrei vor sich: Kapuziner, Jesuiten und andere Verfechter des tridentinisch erneuerten Katholizismus versuchten so einerseits die ostentative Präsenz der römischen Bekenntniskirche im gemischtkonfessionellen rätischen Alpenraum zu erhöhen. Andererseits bot eine sakralisierte Landschaft, in welcher sich allenthalben von Gott bewirkte Wunder zutrugen, eine geeignete Bühne für die innerkatholische Mission – das heißt für die Vermittlung von konfessionell festgelegten Frömmigkeitsidealen. Dass es trotz dieser konfessionspolitischen Absichten verfehlt wäre, die Ausgestaltung der barocken Gnadenlandschaft allein kirchlichen Akteuren zuzuschreiben, zeigt der dritte Teil. Die hierfür ausgewerteten Mirakelgeschichten – überliefert einerseits in gedruckten Mirakelbüchen, andererseits in Akten von Informativprozessen – geben Einblicke in die praktizierte Religiosität der Laien, in ihre spirituellen Bedürfnisse und in die Möglichkeiten, prekäre Lebenssituationen mit religiösen Praktiken zu bewältigen. Dabei kann gezeigt werden, dass sich diese Möglichkeiten im rätischen Alpenraum auch und gerade wegen der verstärkten Einbindung in das Gnadenterritorium der römischen Kirche vervielfältigen: Aufgrund des Imports von Heils- und Gnadenmitteln existierte auf engstem Raum – einem religiösen Markt gleich – eine Vielzahl kirchlicher Heils- und Heilungsangebote, von denen sich die Laien jene auswählen konnten, die ihnen zur Alltagsbewältigung in der alpinen Bergwelt am effizientesten erschienen. Dadurch erfuhr die Kultlandschaft im rätischen Alpenraum aber eine Dynamik, die von der Kirche nur schwer zu kontrollieren war. Denn wie gut auch immer sich diese in der barocken Gnadenlandschaft als heilsvermittelnde Institution zu inszenieren vermochte, waren Wunder (der zeitgenössischen Weltdeutung zufolge) am Ende dennoch allein von der göttlichen Fügung abhängig und konnten sich potenziell auch in Bereichen und in Verbindung mit Personen oder Gegenständen einstellen, für die die kirchliche Lehrmeinung keine solche vorsah. Indem in der Arbeit deutlich wird, wie mit profanen Mitteln (etwa Kirchenbau, Beschaffung von Gnadenbildern, Ausstellung von Ablässen etc.) das Sakrale in der Welt verankert und über Wunder erfahrbar gemacht, zugleich aber mit der Sakralität der Heilsvermittlung auch ausgesprochen profane Macht- und Geltungsansprüche der Kirche artikuliert werden konnten, kann das Fallbeispiel des rätischen Alpenraums einen Beitrag leisten zum besseren Verständnis jener Mechanismen, die die einzelnen katholischen Kultgemeinschaften in der Frühen Neuzeit – so unterschiedlich diese auch sein mochten – zu einer universalen Heils- und Kirchengemeinschaft verflochten. Die Publikation einer Monographie ist zurzeit in Vorbereitung. Bis zu deren Erscheinen sei auf bereits publizierte Aufsätze hingewiesen. Die entsprechenden bibliographischen Angaben sind der Personalseite des Verfassers zu entnehmen: http://www.hist.unibe.ch/ueber_uns/personen/ zwyssig_phillipp/index_ger.html.

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