Im Sommer 1982 wurde der 15,4 km lange Furkabasistunnel (FBT) zwischen Oberwald im Goms (VS) und Realp im Urserental (UR) eröffnet, der diese Täler erstmals ganzjährig verband, nachdem die Furka-Bergstrecke nur in den vier Sommermonaten hatte betrieben werden können. Verkehrsminister Leon Schlumpf erinnerte bei dieser Gelegenheit an den kurz zuvor verstorbenen alt Bundesrat Roger Bonvin, dessen Name „mit diesem Werk untrennbar verbunden“ bleibe. Dem Eröffnungstag vorangegangen war eine ca. 25 Jahre dauernde Entstehungsgeschichte des Tunnels, die sehr konflikthaft verlief und das „Furkaloch“ Mitte der 70er Jahre zu einem veritablen Skandal machte, weil die veranschlagten Kosten massiv überschritten worden waren.
Diese Arbeit versucht die politische Karriere des FBT darzustellen, das heisst die Lancierung des Projekts, die planerischen Entscheidungen, die Überzeugungsarbeit und die Kontroversen, die darüber entstanden – dies vor dem Hintergrund verkehrspolitischer Entwicklungen und Debatten seit den 1950ern, insbesondere der Privatbahnpolitik und speziell der langen Subventionskarriere der Furka Oberalp Bahn (FO). Hauptgrundlage der Untersuchung ist ein Quellenbestand des Bundesarchivs, der die Entstehungsgeschichte dokumentiert. Die Meinungen und Diskussionen, die dort unter anderem in Expertenberichten, Mitberichtsverfahren, Kommissionsakten, Protokollen des Verwaltungsratsausschusses der FO und Rechtfertigungsschriften nachzulesen sind, berühren Technisches, Politisches und Persönliches.
Auffällig ist tatsächlich das Engagement Roger Bonvins in allen Etappen der Entstehungsgeschichte des Tunnels. Er war Mitglied eines kantonalen Initiativkomitees, das ab 1960 für den FBT lobbyierte. 1962 Finanzminister geworden, nutzte Bonvin 1966 die Gelegenheit, im Vorfeld eines Bundesratsbeschlusses zu einem Investitionshilfegesuch der FO über 24 Mio. den FBT als Sanierungsmassnahme vorzuschlagen. Das Initiativkomitee legte ein Vorprojekt von Motor Columbus (MC) vor und der Bundesrat beschloss in der Folge, eine Expertenkommission einzusetzen, die den volks- und betriebswirtschaftlichen Nutzen des FBT abklären sollte. Die Schlussfolgerungen des Berichts, der 1969 vorlag, waren sehr günstig: Das Goms werde „volkswirtschaftlich reichen Nutzen ziehen können“ und die wirtschaftliche Lage der FO werde „wesentlich verbessert“.
Günstig war auch, dass Bonvin im Sommer 1968 ins Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement gewechselt hatte. Dort bearbeitete jetzt ein mit Bonvin befreundeter Ingenieur, Albert Coudray, den Auftrag, ein Vorprojekt für ein Schmalspurbahnnetz im Gotthardgebiet („Planung Gotthard 1500m ü.M.“) auszuarbeiten, das nebst dem FBT auch einen Tunnel durch den Oberalp vorsah und Tunnels zwischen dem Berner Haslital und dem Goms und von dort ins Bedrettotal (Tessin). Im Bundesrat hielt sich das Verständnis für dieses 184 Mio.-Projekt jedoch in engen Grenzen, und Bonvin war gezwungen, dem Parlament einen Kredit nur für den FBT (80 Mio., davon 4 Mio. von den Kantonen VS, UR und GR) zu beantragen statt für das gesamte „Gotthardkreuz“. Die Gesamtplanung blieb aber in der Botschaft erwähnt, und auch das FBT-Projekt selbst zeugte noch von den weiterführenden Ideen – es sah ein Baufenster ins Bedrettotal vor, das allerdings bautechnisch begründet wurde. Projekte aus den Händen Dritter blieben unter Bonvin chancenlos: Das MC-Projekt war mit dem neuen Projekt abgelöst, und ein Alternativvorschlag Paul Schmidhalters, der eine durchgehende Doppelspur und die Möglichkeit des späteren Umbaus in einen Strassentunnel vorsah, scheiterte an den Mehrkosten.
Den Kommissionsprotokollen und Parlamentsdebatten nach zu urteilen, verhalf schliesslich vor allem das staatspolitische Argument der Hilfe an die Bergbevölkerung dem FBT zum Durchbruch. Manche sprachen offen von einem Gemütsentscheid, der alle Einzelkritik am Projekt und an den Argumenten der Expertenkommission sowie dem schwach begründeten militärischen Interesse hintanstellte. Auch war der Zustand der Bundesfinanzen 1970/71 noch gut genug, um der Kreditsprechung nicht entgegenzustehen. Diesem Umstand hatte Bonvin besonders Beachtung geschenkt und das Projekt zügig vorangetrieben, nachdem die bald eintretende Defizitperiode der Bundesfinanzen schon seit Mitte der 60er absehbar war. Verschiedentlich geäusserte konjunkturpolitische Bedenken wegen der überdimensionierten Bauwirtschaft blieben ohne entscheidende Resonanz.
Bonvin sorgte nach dem Kreditbeschluss für die personelle Kontinuität beim Projekt über die Planungsphase hinaus. Er drängte dem Verwaltungsratsausschuss der FO Coudray als Oberbauleiter auf, nachdem man in diesem Gremium von einer Zusammenarbeit mit MC ausgegangen war. Damit begann ein schwieriges Verhältnis zwischen der Oberbauleitung und dem Ausschuss, der sich bald mit Experten bewehrte, um Coudray stark gegenübertreten zu können. Unter dem zunehmenden (finanz-)politischen Druck entliess der Ausschuss schliesslich Coudray im Frühjahr 1976, nachdem dieser viel zu günstige Kostenrechnungen vorgelegt hatte.
Mit der Forderung für einen Zusatzkredit, der den ursprünglichen Baukredit überstieg, begann eine neuerliche intensive Auseinandersetzung der parlamentarischen Gremien um den FBT. Der Bundesbeschluss zum Zusatzkredit verlangte von den vorberatenden Kommissionen, die Verantwortlichkeiten für diese Kostenentwicklung abzuklären. Die Nationalratskommission machte in der Folge unter Führung der schärfsten Kritiker umfangreiche Abklärungen und schrieb einen ausführlichen Bericht, in dem sie vor allem Bonvin und Coudray die Verantwortung für das „Debakel“ zuwies und forderte, die Verantwortlichen zivilrechtlich zu belangen. Im Ständerat dagegen hegte man eher juristische Bedenken gegen das forsche Vorgehen der Nationalratskollegen und weigerte sich sogar, deren Bericht im Rat zu diskutieren. Bonvin und Coudray reagierten ihrerseits mit öffentlichen Richtigstellungen und persönlichen Anschuldigungen darauf, dass sie „verurteilt und moralisch hingerichtet worden“ seien.