Staatsterror oder Ausnahmezustand? Eine Untersuchung polizeistaatlicher Tendenzen der Helvetischen Behörden anhand des Aufstandes gegen die Truppenaushebungen in Altdorf 1799

AutorIn Name
Henriette
Graf
Art der Arbeit
Lizentiatsarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
André
Holenstein
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2007/2008
Abstract


Nicht nur die ältere Historiographie hat auf die tyrannischen Massnahmen der Helvetischen Republik hingewiesen, auch in jüngster Zeit haben Historiker den Umgang der Helvetik mit dem heftigen Widerstand als Staatsterror verurteilt. Dabei sind die Massnahmen von Regierung und Behörden noch nirgends vollständig dargestellt, geschweige denn analysiert worden. Die Studie hat sich daher zum Ziel gesetzt, diese Beurteilung zu überprüfen und die Sicht auf Regierung und Behörden sowie deren Motive zu differenzieren. Im Zentrum stand letztlich die grundsätzliche und im derzeitigen Kampf gegen den Terrorismus wieder hochaktuelle Frage, wie weit ein Rechtsstaat gehen darf, um sich gegen potentielle Gegner und Gefahren zu schützen.

Da die ausgewählte Fragestellung noch kaum erforscht ist, konnte die Verfasserin das Thema nicht schweizweit aufarbeiten. Als Fallbeispiel boten sich jedoch der Widerstand gegen die Truppenaushebungen im Distrikt Altdorf sowie die behördlichen Gegenmassnahmen an. Einerseits erreichten im Frühjahr 1799 sowohl die inneren Aufstände gegen die Republik wie auch der Druck von Aussen mit dem 2. Koalitionskrieg einen Höhepunkt und andererseits war der Widerstand in der Innerschweiz besonders heftig. Bevor das Fallbeispiel näher untersucht werden konnte, hat die Verfasserin in einem ersten Kapitel die Verfassungsbestimmungen zu Regierung und Behörden sowie deren Aufgaben und Funktion erläutert. Anhand von Beispielen aus dem Distrikt Altdorf und dem Kanton Waldstätten wurden danach die enormen Schwierigkeiten mit denen der Beamtenapparat zu kämpfen hatte, illustriert. Wie sich dabei zeigte, sind die polizeistaatlichen Tendenzen der Helvetik unter anderem auf den mangelhaften Staatsapparat zurückzuführen.

Im zweiten Kapitel ging es der Verfasserin darum, die Radikalisierung von Regierung und Behörden bis ins Frühjahr 1799 aufzuzeigen. Da diese Radikalisierung durch die immer wieder neu ausbrechenden Unruhen ausgelöst wurde, wurden als erstes die Waldstätter Aufstände im April und September 1798 geschildert. Dabei musste auch die Frage geklärt werden, weshalb der Widerstand in der Innerschweiz derart heftig ausgefallen war. Wie verschiedene neuere Arbeiten nachgewiesen haben, hat die enge Verflechtung von Politik, Wirtschaft und Religion während des Ancien Régime 30das Selbstverständnis der Innerschweizer Landleute wesentlich geprägt und zu Wertvorstellungen geführt, die den neuen aufklärerischen Ideen diametral entgegenliefen. Um die Radikalisierung weiter zu verdeutlichen, wurden als nächstes die schweizweit ergriffenen Massnahmen gegen den Widerstand geschildert und geklärt, ob diese als Staatsterror zu beurteilen oder im Rahmen eines Ausnahmezustandes zu rechtfertigen sind. Die Verfasserin ist der Meinung, dass lediglich zwei Massnahmen – die Deportation von Geiseln sowie der Erlass der so genannten Blutgesetze – eindeutig als polizeistaatlich bezeichnet werden können.

Nachdem sie im dritten Kapitel die Bemühungen der Regierung zur Errichtung einer Armee geschildert hatte, ging die Verfasserin auf den Widerstand gegen die Truppenaushebungen in Altdorf ein. Wie bei der Lektüre der amtlichen Berichte auffiel, waren die zuständigen Beamten sehr schnell bereit, zu drastischen Massnahmen zu greifen, wie etwa der Säuberung des Distriktes. Um solche Massnahmen umsetzen zu können, wären jedoch Truppen notwendig gewesen, die eben gerade aufgebaut werden sollten. Es zeigte sich deutlich, dass die immer noch mit der Einführung der neuen Staatsordnung beschäftigte Republik der Herausforderung nicht gewachsen war, eine eigene Armee gegen den lokalen Widerstand aufzubauen. Gerade in der Innerschweiz sollte es dem jungen Staat nie gelingen, seinen Anspruch auf das Gewaltmonopol durchzusetzen. Die drastischen Vorschläge der Beamten aus Altdorf zeugen daher vor allem von der zunehmenden Hilf und Ratlosigkeit der Behörden.

Das letzte Kapitel diente der Verfasserin dazu, der Ahndung und Verurteilung der Waldstätter Aufständischen nachzugehen. Dabei mussten zunächst die grossen Schwierigkeiten im Strafrecht und –vollzug diskutiert werden. Zu polizeistaatlichen Tendenzen kam es in diesem Bereich vor allem aufgrund des fehlenden Strafgesetzbuches und eines gefestigten Justizapparates. Von über 200 verhafteten Aufständischen wurden letztlich jedoch nur 20 kriegsgerichtlich verurteilt, wobei keiner wie in den Blutgesetzen vorgesehen hingerichtet wurde. Der angebliche Staatsterror der Helvetik muss demnach relativiert werden. Bisher wurde zuwenig klar zwischen ausserordentlichen Massnahmen und Terror unterschieden. Auch wurde nicht berücksichtigt, dass die Beamten den von oben erlassenen Terror in den seltensten Fällen umsetzen konnten und wollten

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