Staatsschutz in der Nachkriegszeit (1943-1953). Entwicklung der Gesetzgebung und Umgang mit ausländischer Propaganda in der Wahrnehmung der Behörden und Parlamentarier

AutorIn Name
Boris
Burri
Art der Arbeit
Lizentiatsarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Brigitte
Studer
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2002/2003
Abstract

In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre und während des Zweiten Weltkrieges wurde der Schweizer Staatsschutz durch eine Reihe von Bundesratsbeschlüssen und anderen Gesetzesbestimmungen stark ausgebaut. Mit der Rückkehr zum ordentlichen Bundesrecht nach 1948 wäre zu erwarten gewesen, dass diese ausserordentlichen Massnahmen wieder aufgehoben würden. Dies war aber keineswegs der Fall, vielmehr wurden die strafrechtlichen Staatsschutzbestimmungen aus der Zeit des Notrechts vor und während des Krieges fast ausnahmslos in die Nachkriegsgesetzgebung überführt. Trotz der Auflösung der Parteiverbote 1945 optierte die Bundesversammlung parallel für eine Verschärfung der so genannten Demokratieschutzverordnung. Dieser wichtigste strafrechtliche Noterlass wurde schliesslich 1950 mit der Revision des Strafgesetzbuches (StGB) ins ordentliche Recht überführt. Ferner blieben zwei dringliche Staatsschutzerlasse gegen die ausländische Propaganda (einerseits von Rednern, andererseits von Druckerzeugnissen) trotz geringfügigen Revisionen im Jahr 1948 über 50 Jahre als Notrecht in Kraft. Wie und auf Grund welcher Feindbilder oder welcher Wahrnehmungsmuster von Bedrohung seitens der Bundesbehörden und Parlamentsmitglieder dies geschah, analysiert die Lizentiatsarbeit für den Untersuchungszeitraum von 1943 bis 1953. Sie fokussiert somit die in den letzten Jahren in der Historiographie zunehmend als eminent wichtig betrachtete Dekade des Übergangs vom Weltkrieg in die Zeit des Kalten Krieges, als in West- und Mitteleuropa die nationalsozialistische Bedrohung der kommunistischen wich.

 

Dieser in der Schweiz fast nahtlose Übergang – zumal die Staatsschutzbestimmungen der Vorkriegs- und Kriegsjahre vor allem die kommunistische Linke im Visier hatten – ist erst wenig aufgearbeitet, obschon die Quellen im Schweizerischen Bundesarchiv dazu seit längerem zugänglich sind. Insbesondere die Haltung des Eidgenössischen Politischen Departements (EPD, heute: EDA) und sein Einfluss auf die Staatsschutzpraxis in der Zeit des einsetzenden Kalten Krieges wurden bis anhin noch kaum analysiert.

 

Konzeptuell gefasst wird die Untersuchung durch die von Herfried Münkler gemachte Unterscheidung zwischen politischen und vorpolitischen Feindbildern. Während Erstere lediglich eine politische Position markieren, beruhen Letztere auf Stereotypen, die sich in Abhängigkeit und Kontrast zu überzeichneten Eigenbildern herausbilden. Konditioniert werden die Wahrnehmungen von Bedrohungen aber – so die Prämisse – durch die Erinnerung an vergangene Gefahren und deren Abwehrstrategien, also vereinfacht gesagt, durch Bilder, die man sich vom Vergangenen macht. Diese sind wohl dynamisch, aber eben auch konsistent.

 

Im ersten Teil der Arbeit, der die gesetzliche Ausgestaltung des Staatsschutzes näher beleuchtet, wird sichtbar, wie rasch sich die Staatsschutzbehörden wieder auf die Abwehr der kommunistischen Gefahr konzentrierten. Die neu gegründete Partei der Arbeit (PdA) wurde als logische Nachfolgepartei der Kommunistischen Partei wahrgenommen und ihre Endabsicht unverändert in einer vom Ausland unterstützten gewaltsamen Umwälzung der gesellschaftlichen Ordnung gesehen. Das Feindbild der Staatsschutzbehörden gewann in der Folge im Rahmen der parlamentarischen Debatten über die überstandenen Gefahren des Zweiten Weltkrieges an Legitimität. Erfahrungen mit den Nationalsozialisten lieferten mitunter die direkte Grundlage für die Einschätzung der Kommunisten, es kam zu Kurzschlüssen und Pauschalisierungen. Kaum zu überschätzende Bedeutung ist den symbolhaften Ereignissen vom Februar 1948 in Prag beizumessen, welche das Feindbild der Staatsschutzbehörden und des bürgerlichen Lagers nachhaltig stabilisierten. Die Kommunisten konnten schliesslich jedoch nur deshalb als eine derart grosse Gefahr interpretiert werden, weil ihre Vorund Sinnentwürfe durch die zunehmende Engführung des Bildes vom Vergangenen im Sinne einer Glorifizierung der neutralen Schweiz als anmassend und widersinnig interpretiert wurden, obwohl sie zum Teil auch wahrhaftig waren.

 

Der zweite Teil der Arbeit skizziert den Umgang der Behörden mit der ausländischen Propaganda. Besonders in den Jahren 1948 bis 1953 kam es diesbezüglich in der Schweiz zur Anwendung von notrechtlichen Staatsschutzbestimmungen. So wurden vor allem in kritischen Phasen, wie 1948 nach den Vorkommnissen von Prag und im Frühling 1950 vor dem Koreakrieg, jegliche Schriften des internationalen und parteigebundenen Kommunismus eingezogen und ausländischen kommunistischen Rednern das Halten von Vorträgen untersagt. Um den Anschein eines paritätischen Vorgehens zu wahren, gingen die Behörden zudem auch gegen nationalsozialistische Bestrebungen vor. Das EPD warnte in einer ersten Phase noch vor einer zu exzessiven Verbotspraxis, konnte sich mit der härteren Gangart der für feine Zwischentöne weniger empfänglichen Bundesanwaltschaft aber anfreunden, als ab 1950 von der kommunistischen Propaganda immer stärker die schweizerische Neutralität angegriffen wurde. Aus Neutralitätserwägungen drängte das Politische Departement in der Folge schliesslich darauf, auch gegen Redner des Westens zu intervenieren.

 

Gesamthaft gesehen erweist sich die Politik der offiziellen Behörden trotz gewisser Verschiebungen in der Gefahreneinschätzung und einzelner Wahrnehmungs- und Interessendifferenzen zwischen dem EPD einerseits und dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) respektive der Bundesanwaltschaft andererseits – Differenzen, die wohlgemerkt vor der Öffentlichkeit immer strikte verdeckt wurden – uneingeschränkt als atlantistisch. Zwar wurde versucht, in gewissem Masse das Bild einer Balance zu vermitteln, doch fiel die Positionierung der Schweiz im West-Ost-Gegensatz eindeutig zugunsten des Westblocks aus. Von einer Gleichbehandlung zwischen links und rechts einerseits, zwischen Westblock und Ostblock andererseits – zwei Ebenen, die von den Behörden nicht immer klar auseinander gehalten wurden – konnte keine Rede sein.

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