Sozlale Auswirkungen der Territorialstaatsbildung In der Herrschaft Lichtenberg

AutorIn Name
Peter K.
Weber
Art der Arbeit
Dissertation
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Peter
Blickle
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
1989/1990
Abstract

Die im Alten Reich in den Territorien erfolgte Staatsbildung wurde bislang bevorzugt aus einer herrschaftlichen und in­ stitu-tionengeschichtlichen Perspektive beschrieben. So detailliert wir dadurch über die herrschaftlichen Grundlagen und administrativen Strukturen des Territorialstaates Bescheid wissen, so wenig hat sich die Territorialgeschichtsschreibung bislang mit den sozialen Auswirkungen der Territorialstaatsbildung auseinandergesetzt. Noch immer wird der Landes­ staat als Motor des Fortschritts und der zivilisatorischen Entwicklung angesehen, ohne dass - zumindest für die kleineren Territorien im Reich die Kostenseite des Territorialisierungsprozesses hinreichend untersucht worden wäre.

An diesem Punkt setzt die vorliegende Arbeit ein. Am Beispiel der im Grenzraum Elsass, Lothringen, Pfalz und Baden gelegenen Herrschaft und späteren Grafschaft (Hanau-) Lichtenberg werden die mit dem Aufbau des lichtenbergischen Territorialstaates verbundenen sozialen Auswirkungen analysiert. Konkret geht es um die Frage, wie sich politische Rechte, ökonomische Lasten und individuelle Freiheiten der Bevölkerung im Kontext der Territorialstaatsbildung verän­ dert haben.

ZeiUich reicht die Untersuchung bis in das Hochmittelalter zurück. Sie endet mit einem Ausblick auf den nach 1525 end­ gültig etablierten lichtenbergischen Territorialstaat des 16. und 17.Jahrhunclerts, dessen elsässische Bestandteile 1680 im Rahmen der Reunionspolitik Ludwig XIV unter französische Oberhoheit kommen. Die Arbeit setzt drei Schwerpunkte: Im ersten wird nach einem knappen dynastie-, besitz- und territorialgeschichdichen Abriss zur Herrschaft Lichtenberg die herrschaftliche Abhängigkeit der Grundholden in dem sich auflösenden hochmittelalterlichen Grundherrschaftsgefüge (Villikationssystem) analysiert. Der zweite Schwerpunkt umfasst die spätmittelalterliche Epoche. In ihr vollzieht sich der eigendiche Prozess der Territorialstaatsbildung. Daher werden für diesen wichtigen Zeitraum die herrschaftlichen Grundlagen, die administrative Struktur und ihre sozialen Implikationen ausführlich erörtert und mit den hochmittelalter­ lichen Verhältnissen verglichen. Der dritte Schwerpunkt liegt auf der Bauernkriegszeit, in der die bereits fortgeschrittene territorialstaatliche Herrschaftsordnung von den Untertanen in Frage gestellt wird. Besonders in ihrem territorialstaat­ lichen Kontext werden hierbei Ursachen, Ziele, unmittelbare und langfristige Folgen der Erhebung beschrieben, bevor die Untersuchung unter der leitenden Fragestellung mit einem kursorischen Ausblick auf das 17. Jahrhundert abschliesst.

Wie für diesen grossen Untersuchungszeitraum nicht anders zu erwarten, ist die Überlieferungsdichte recht unterschied­ lich. Zur Beschreibung der mittelalterlichen Villikationsverhältnisse fehlen natürlich spezifisch lichtenbergische Quellen. Die für adelige Grundherrschaften in dieser Zeit typischen Überlieferungslücken können nur teilweise durch die Archive einiger im späteren Herrschaftsbereich der Lichtenberger gelegenen bzw. begüterten Klöster ersetzt werden. Die Unter­ suchung stützt sich neben Urkunden und Akten v.a. auf die bekanntermassen im Elsass zahlreich überlieferten Weistü­ mer, ferner auf Dorfordnungen, Urbare, Rechnungen, Pachtbriefe, Bürgerbücher und Reichskammergerichtsakten. Die herangezogenen seriellen Quellen weisen freilich allzu häufig grosse zeidiche Lücken auf.

Der Prozess der Territorialstaatsbildung setzt in der Herrschaft Lichtenberg mit der Auflösung der hochmittelalterlichen Grossgrundherrschaften von Adel und Klöstern ein. Die Lichtenberger stützen sich beim Aufbau ihrer Territorialherrschaft auf eigene Grundherrschaften, Vogteien und Gerichtsbarkeiten und verfügen mit dem Aufbau einer seit dem 14. Jahr­ hundert sichtbaren Ämterorganisation Ober eine wirksame administrative Struktur. Amtmänner stehen aus mehreren

Dörfern zuammengesetzten Amtsbezirken vor. Sie bilden seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine zentrale "Regierung" und sind nach dem Landesherrn die wichtigsten Repräsentanten des Territorialstaates. Ihre Funktion be­ steht in der Durchsetzung der herrschaftlichen Ansprüche gegenüber den Untertanen, so vor allem in der Erhebung von Steuern, Abgaben und Diensten sowie mit dem Aufkommen der Polizei in einer zunehmenden Einflussnahme auf Berei­ che, die bislang dem herrschaftlichen Zugriff entzogen waren.

Diese terriorialstaadichen Ansprüche kollidieren mit den ebenfalls im Zuge der Villikationsauflösung entwickelten "Freiheiten und Rechten" der im lichtenbergischen Herrschaftsbereich ansässigen ländlichen Bevölkerung. Sie er1angt für die Dauer der Übergangsphase vom Villikationssystem zum Territorialstaat verbesserte Besitzrechte, reduzierte Dienste und grössere Freizügigkeit. Mit der Ausbildung der Dorfgemeinde gewinnt sie gleichzeitig weitgehende Autonomie für ih­ ren engeren Lebensbereich, so besonders durch eigene kommunale Satzungshoheit und massgebliche Beteiligung an der dörflichen Rechtsprechung.

Diese günstige Entwicklung kehrt sich im 14. Jahrhundert um, als die Lichtenberger zur Finanzierung des binnen 50 Jah­ ren auf das Doppelte der ursprünglichen Fläche angewachsenen Territoriums die Steuern erhöhen (Bedesteigerungen, Einführung indirekter Steuern) und gleichzeitig durch leibherr1iche Massnahmen die Mobilität ihrer Untertanen beschrän­ ken. Diese für den lichtenbergischen Territorialstaat im Spätmittelalter bezeichnende steuerliche Belastung der bäuer­ lichen Wirtschaft liegt umgerechnet auf den Acker am Ende des 15. Jahrhunderts deudich über dem entsprechenden Bodenzinsniveau. Die dadurch bedingten Spannungen äussern sich in einer enormen Landflucht. Viele lichtenbergische Untertanen kehren der Herrschaft den Rücken, teils durch Wegzug aus dem Territorium in das benachbarte Strassburg, teils durch Annahme von dessen privilegiertem reichsstädtischen Bürgerrecht. Ab 1510 schnellen die Wegzüge in die Höhe, was eine weitere Verschärfung des Konfliktes zwischen Herrschaft und Bevölkerung erkennen lässt.

Vielen bäuerlichen Betrieben droht im Zuge zunehmender feudaler Belastung der wirtschaftliche Ruin, zumal seit dem späten 15. Jahrhundert der ökonomische Spielraum durch Ernteausfälle und Preisschwankungen bereits erheblich ein­ geengt ist. Unter diesen Umständen, die seitens der lichtenbergischen Territorialherren durch Eingriffe in die politische Autonomie der Gemeinden und restriktive Mobilitätsbeschränkungen noch verschärft werden, erheben sich die lichten­ bergischen Bauern 1525 gegen ihre Herrschaft. Ihre Forderungen nach grösserer politischer Autonomie, unbeschränkten persönlichen Freiheiten und angemessenen ökonomischen Rahmenbedingungen bleiben nach der gewaltsamen Nie­ derwerfung der "Empörung" weitgehend unerfüllt. Abgesehen von gewissen herrschaftlichen Integrationsbemühungen gegenüber ihren Untertanen in den Jahren nach 1525 nimmt die territorialstaatliche Administration seit der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts wachsenden Einfluss auf die Besetzung kommunaler Ämter, unterwirft die dörflichen Gerichte einem einheitlichen Gerichtsverfassungsrecht und kontrolliert immer stärker Wirtschaft und Gesellschaft mittels umfassender Polizeiordnungen.

Zudem benötigt der seit dem späten 16. Jahrhundert hoch verschuldete lichtenbergische Territorialstaat immer höhere Einkünfte zur Deckung seiner enormen finanziellen Verpflichtungen. Sowohl die für äußerst kostspielige staatliche Re­ präsentationszwecke (Schlossbauten, Hofhaltung) aufzubringenden Geldsummen wie auch ein aufgeblähter und teurer Beamtenapparat führen um 1600 zu einer ernsthaften Finanzkrise des lichtenbergischen Territorialstaates. Die Herr­ schaft reagiert mit überhöhten Steuer- und Dienstforderungen, reaktiviert die Leibeigenschaft und beansprucht zuneh­ mend auch für den kommunalen Bereich exklusive Satzungshoheit. Trotz passivem und aktivem Widerstand können die Untertanen diese sozialen Auswirkungen territorialstaadicher Entwicklung bis zum Ende des Allen Reiches nicht mehr umkehren.

Diese wie auch die übrigen Resultate der vor1iegenden Untersuchung passen nicht zu dem Bild, das die Verfassungsgeschichte aus der ihr eigenen Perspektive vom Territorialstaat und seiner Entwicklung bislang gezeichnet hat.

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