Sozialer Konsum statt Klassenkampf. Die Soziale Käuferliga der Schweiz (1906-1945) zwischen Frauenbewegung, religiösem Sozialismus, Philanthropie und Gewerkschaften.

AutorIn Name
Anina
Eigenmann
Art der Arbeit
Dissertation
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Brigitte
Studer
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2017/2018
Abstract
Die Soziale Käuferliga (SKL) existierte in der Schweiz von 1906 bis 1945. Obwohl diese Organisation also fast vierzig Jahre lang bestand, ist sie heute so gut wie gar nicht bekannt. Ganz anders ihre beiden wichtigsten Zielsetzungen: Sie sind heute immer noch aktuell und werden von vielen AkteurInnen postuliert. In den Statuten setzte sich die SKL einerseits zum Ziel, den KonsumentInnen ihre Verantwortung aufzuzeigen, die sie für gute Arbeitsbedingungen und faire Löhne hatten; andererseits sollten die KonsumentInnen organisiert und mobilisiert werden, um so gemeinsam als ökonomische und moralische Macht Ein uss auf Arbeit- und Gesetzgeber zu nehmen und bessere Arbeitsbedingungen einzufordern. Mit diesen Zielsetzungen nahm die SKL in mancher Hinsicht bereits ab 1906 die heute omnipräsenten Fair Trade Labels vorweg. Jahrzehnte vor der viel bekannteren „Erklärung von Bern“ (1968) rief diese Organisation dazu auf, das persönliche Konsumverhalten im Kampf für eine gerechtere Welt zu nutzen. In einem jedoch unterschied sich die SKL deutlich von allen anderen späteren Bewegungen mit ähnlichen Ideologien und Zielsetzungen: Es handelte sich um eine auf die Schweiz begrenzte Bewegung. Zumindest bis zum Ersten Weltkrieg war die SKL dabei allerdings erstaunlich gut international vernetzt – eingebettet in ein transnationales Netzwerk Sozialer Käuferligen mit Ablegern in den USA, in Frankreich, Deutschland und Belgien. Heute gibt es nur noch in den USA eine ungebrochene Tradition der Sozialen Käuferligen. Von den europäischen Sozialen Käuferligen war die SKL die einzige, die auch in der Zwischenkriegszeit noch bestand – zugleich aber auch jene, deren Geschichte bislang noch am wenigsten erforscht war. Deshalb entstand die vorliegende Dissertation ab 2013 am Lehrstuhl für neuere Schweizergeschichte als Teil des Forschungsprojektes Soziale Vulnerabilität in der Schweiz (1890 – 1920). Die Geschichte der Sozialen Käuferliga ist auch Teil der philanthropischen Tradition der Schweiz. Die Frauen und Männer, die 1906 in Bern die SKL gründeten, stammten aus dem vermögenderen Bürgertum, teils aus Familien, die im Ancien Régime politische Macht ausgeübt hatten. Sie betrachteten ihr Engagement in der neuen Organisation als neuartige, wirksamere und würdigere Form der Philanthropie, die in ihrem Milieu als Verp ichtung galt. Die Hilfe der SKL setzte immer bei Erwerbstätigen an, wenn auch jeweils bei besonders vulnerablen Personen – in der Regel bei weiblichen, jugendlichen, vereinzelt arbeitenden, besonders schlecht verdienenden, arbeitsrechtlich und gewerkschaftlich nicht geschützten Arbeitnehmenden. Die AktivistInnen halfen zuerst jenen Menschen, deren Arbeit und deren Leiden bei der Arbeit sie in ihrem Alltag am deutlichsten wahrnahmen. Da die Gründungsmitglieder überwiegend Frauen bürgerlicher Herkunft waren, fassten sie zuerst „Ladentöchter“, Coiffeure und Schneiderinnen ins Auge, später auch die in der Nacht arbeitenden Bäcker, Milch austragende Schulkinder und Heimarbeiterinnen. Lokalgruppen der SKL druckten „weisse Listen“ besonders vorbildlicher Arbeitgeber, riefen in der Vorweihnachtszeit die Hausfrauen zu sozialem (rechtzeitigem) Besorgen der Festtagseinkäufe auf und vereinbarten mit lokalen Gewerbeverbänden für begrenzte Zeiten kürzere Ladenöffnungszeiten. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg und dann noch einmal während des Zweiten Weltkrieges lancierte sie ein Label für gut bezahlte Arbeit, das sich jedoch beide Male nicht längerfristig durchsetzen konnte. 1909, drei Jahre nach der Gründung, machten die AktivistInnen zudem erste Versuche, die Arbeitsbedingungen über die Ausweitung des gesetzlichen Arbeitsschutzes hinaus zu verbessern. Vor demErstenWeltkriegwurdedieArbeitausserhalbvon Fabriken nur ganz marginal durch Gesetze eingeschränkt. Die SKL forderte zunächst auf lokaler Ebene weitergehende Schutzvorschriften für Verkäuferinnen und Bäcker (Nachtarbeit), dann vor allem in der Zwischenkriegszeit auf Bundesebene für HeimarbeiterInnen. Dieses Handeln auf der politischen Ebene wurde nach dem Ersten Weltkrieg immer wichtiger für die SKL – dies, obwohl die Organisation mit stets nur einigen Hundert Mitgliedern und einem überwiegenden Frauenanteil in einer Zeit ohne Stimm- und Wahlrecht für Frauen in einer schlechten Position für die politische Ein ussnahme war. Aus diesem Grund mussten die Aktivistinnen jeweils versuchen, auf informellen Umwegen auf die Gesetzgebung Ein uss zu nehmen und die fehlende Quantität der Mitglieder mit guten Beziehungen auszugleichen. Die Dissertation ist in vier chronologische Kapitel gegliedert: Im ersten Kapitel wird die Vorgeschichte der Gründung und der Gründungsmitglieder aufgezeigt, die Gründung und der Aufbau der ersten Ortssektionen geschildert. Die Biogra en der führenden Mitglieder helfen, die manchmal etwas schwer fassbare Organisation im politischen Spektrum zu verorten: Die erste Präsidentin Emma Pieczynska-Reichenbach (1854 – 1927) entstammte einer gutbürgerlichen Bankiersfamilie, war selbst der Sozialdemokratie zugeneigt, ohne jedoch Parteimitglied zu sein. 1906 hatte sie sich bereits einen Namen in der bürgerlichen Frauenbewegung und in der erst entstehenden religiös-sozialen Strömung um das Zürcher Pfarrer-Ehepaar Clara und Leonhard Ragaz-Nadig gemacht. Im ersten Teil werden ausserdem die wichtigsten Arbeitsinstrumente der SKL erläutert, und es wird erklärt, wann und wieso sie erstmals die Erweiterung des gesetzlichen Arbeitsschutzes einforderte. Im zweiten Teil liegt der Fokus auf der Reaktion der SKL auf die nanziellen Einschränkungen und die ideologischen Enttäuschungen, die der Erste Weltkrieg und die unmittelbar darauffolgende Wirtschaftskrise mit sich brachte. Im dritten Teil wird anhand einiger grösserer Kampagnen der SKL untersucht, wie sich die Organisation in der Schweiz der späten 1920er und frühen 1930er Jahre verhielt, als die Gewerkschaften erstarkten und die Wirtschaft darniederlag. Ein wichtiger Aspekt der Vereinsgeschichte in dieser Zeit ist die Beziehungsp ege. Das weitreichende Beziehungsnetzwerk der SKL, ihre Positionierung in der Gewerkschafts- und Vereinslandschaft steht schliesslich im vierten und letzten Teil im Fokus. Im Zentrum dieses Netzwerks steht die Neulancierung des Labels für gut bezahlte Arbeit und der daraus resultierende Kon ikt mit dem Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler (1888–1962), der zwar ähnliche Pläne hegte, jedoch eine ganz andere Sichtweise auf Wirtschaft und Gesellschaft hatte. Ausgehend von diesem Netzwerk und dem Kon ikt um das Label wird nach einer Erklärung für die Au ösung der SKL Ende 1945 gesucht. Die sehr heterogene Quellenlage, welche die Grundlage für diese Dissertation über die Soziale Käuferliga bildet, ist das Resultat der teils verschlungenen Wege, welche die AktivistInnen gehen mussten, wie auch der Vermittlerinnenrolle, die der Organisation immer wieder zukam. Ein eigentliches Vereinsarchiv gibt es nicht, immerhin sind die Jahresberichte im Schweizerischen Wirtschaftsarchiv in Basel und im Schweizerischen Sozialarchiv in Zürich erhalten. Die restlichen Quellen fanden sich entweder über Archive von Organisationen (vor allem Frauenorganisationen, diese lagern meist im Gosteli-Archiv in Worblaufen), die mit der SKL zusammenarbeiteten, so bei Kampagnen für mehr gesetzlichen Arbeitsschutz auf Bundesebene im Bundesarchiv in Bern, oder aber in Korrespondenzen und Schriften einzelner AktivistInnen, die entweder in kantonalen Staatsarchiven, im Schweizerischen Sozialarchiv oder im Gosteli-Archiv in Worblaufen aufbewahrt werden. Trotz der lückenhaften, uneinheitlichen Quellenlage erweist sich die Soziale Käuferliga als sehr aufschlussreiches Forschungsobjekt: Ihre Geschichte ist die Geschichte einer Akteurin zwischen den Fronten (u.a. Bürgertum und Sozialdemokratie, ArbeitgeberInnen, ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen, Männer und Frauen). Sie ist ein Lehrstück darüber, wie verhandelt, nach Alternativen und Kompromissen gesucht wird. Besonders wichtig war das Engagement in dieser Organisation als Lebensschule für AktivistInnen der bürgerlichen Frauenbewegung und des religiösen Sozialismus. Schliesslich führt die Geschichte der SKL auch zur Erkenntnis, dass die Wurzeln von „Fair Trade“ viel weiter zurückreichen und mehr mit religiösen Überzeugungen zu tun haben, als uns das heute bewusst ist.

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