Die historische Entwicklung im nordbündnerischen Schanfigg verlief zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert weit weniger gleichförmig, als dies (wie auch für vergleichbare Regionen) lange angenommen wurde. Wesentliche neue Erkenntnisse ergab vor allem eine detaillierte EDV-unterstützte Auswertung der Kirchenregister.
Zwischen 1600 und 1870 sind in der Bevölkerungsentwicklung des Schanfiggs mindestens drei Phasen erkennbar: starkes Wachstum im 17. Jahrhundert, ebenso starker Rückgang im 18. Jahrhundert, leichter Anstieg im 19. Jahrhundert. 1850 dürfte die Bevölkerungszahl etwa gleich hoch wie jene von 1600 gewesen sein. Die wichtigste Komponente war die Migration, welche vor allem zwischen 1750 und 1870 für einen starken Bevölkerungsverlust sorgte, welcher auch durch hohe Geburtenüberschüsse nicht kompensiert werden konnte. Die Migrationsrate war in den einzelnen Dörfern unterschiedlich hoch. Aus den äusseren Dörfern Castiel, Lüen und Calfreisen, welche ackerbaulich stark bevorzugt waren, emigrierten im Vergleich mit St. Peter, Pagig, Molinis oder Peist wenige. Langwies wies ebenfalls tiefe Migrationsraten auf, war hingegen seit 1700 durchgehend Auswanderungsgebiet.
Die Ausbildung des Wirtschaftssystems mit Heimgütern, teils mehreren Zwischenstufen, Alpen und Heualpen ist im Schanfigg in dieser Ausprägung weniger alt als vermutet. Im äusseren Schanfigg wurde vermutlich als generationenübergreifender Prozess ausgangs des 18. Jahrhunderts eine umfassende Umnutzung des bestehenden Wirtschaftsgebietes vorgenommen. Die hoch gelegenen Teile der Alpen konnten aus klimatischen Gründen nur noch während einer kürzeren Zeitspanne im Sommer bewirtschaftet werden, so dass tiefer gelegene Gebiete kompensatorisch im Frühling und Herbst als Zwischenstufen genutzt und auch baulich zu intensivierten Maiensässen umfunktioniert wurden. Damit einher ging wohl auch eine vermehrte Nutzung bisheriger hoch gelegenen Alpen als extensive Heualpen. Als ebenfalls existenzsichernde Massnahme wurden im 19. Jahrhundert verbreitet Kartoffeln in grossen Mengen angebaut, welche den Getreideanbau teils ergänzten, teils aber auch vollständig ersetzten.
Im viehwirtschaftlich dominierten Langwies spielte sich ein ähnlicher Prozess ab, allerdings mit anderen Voraussetzungen und zu einer anderen Zeit. Die im 17. Jahrhundert noch permanent bewohnte Walsersiedlung im Fondei auf rund 2000 m diente ab etwa 1700 zunehmend nur noch als eine von zwei bis drei Stufen im jährlichen Ablauf, währenddem die Talsiedlung um die Kirche zum wirtschaftlichen Zentrum wurde. Die hoch gelegenen Walsersiedlungen im Sapün sowie Medergen wurden als Folge des Zentralisierungsprozesses ebenfalls zu Temporärsiedlungen umfunktioniert, allerdings später und, im Fall des Sapün, in einem geringeren Ausmass.
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