Schach dem Bauern - oder: wer hat die besseren Argumente. Ein Beitrag zu Kommunikationsstrategien zur Zeit Maximilians I. (1493-1519)

AutorIn Name
Franziska
Scheidegger
Art der Arbeit
Lizentiatsarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Peter
Blickle
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
1998/1999
Abstract

Zu Beginn der Neuzeit wurde das Reich durch zahlreiche Bauernunruhen erschüttert, die sich in signifikanter Weise während der Regierungszeit Kaiser Maximilians I. (1493−1519) häuften. Diese Bauernunruhen waren aber keine Ausnahmeerscheinungen, sondern stellten lediglich den Höhepunkt einer langen Reihe von ländlichen Unruhen vor dem grossen Bauernkrieg von 1525 dar. So begreift die Sozialgeschichtsforschung in Ost und West die Zeit zwischen dem 14. und dem 16. Jahrhundert als Epoche der „frühbürgerlichen Klassenkämpfe“ (marxistische Forschung) bzw. eines „tremendous running social war“ (Thomas A. Brady).

 

In die Regierungszeit Maximilians nun fielen 14 bekannte Konflikte (mit einer hohen Dunkelziffer muss gerechnet werden), wovon als bedeutendste Ereignisse der Arme Konrad in Württemberg von 1514 und der Innerösterreichische Bauernkrieg von 1515 zu nennen sind. Neben diesen grossen Aufständen spielten sich in den Jahren zuvor kleinere Erhebungen und die Bundschuh-Konspirationen von 1493, 1503, 1513 und 1517 ab. Nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich lagen diese Unruhen dicht beieinander: vor allem der Süden des Reiches war betroffen, und hier standen das Oberrheingebiet (Elsass und Schwarzwald) und Oberschwaben an der Spitze.

 

Ursachen, Entstehung, Verlauf usw. dieser zahlreichen Konflikte zwischen Bauern und Obrigkeiten sind von der Forschung eingehend untersucht und dargestellt worden (meist in komparativer Weise), und werden deshalb in meiner Arbeit als impliziter Rahmen angenommen und nur am Rande erwähnt. Im Verlauf des Quellenstudiums (das weitgehend edierte Quellenmaterial zu den Unruhen selbst und das nicht edierte Korpus der „Maximilian-Regesten“ an der Universität Graz) drängte sich immer mehr eine neue Fragestellung auf:

 

Die Arbeit untersucht das Feld politischer Kommunikation, auf dem die Werte und Normen der ständischen Gesellschaft konstruiert, reproduziert und fixiert wurden. Politische Kommunikation wird dabei verstanden als Prozess kommunikativen Handelns (in Anlehnung an die Theorie Jürgen Habermas‘) und im Begriff des politischen Diskurses gefasst. Der hier so verwendete Diskursbegriff stützt sich auf die Vorstellungen Michel Foucaults und im Speziellen Pierre Bourdieus: nämlich dass Diskurs dazu dient, die Machtverhältnisse zwischen den Akteuren zu aktualisieren.

 

Eine erste These der Arbeit liegt darin, dass in der ständischen Gesellschaft politischer Diskurs zur Produktion und Reproduktion von Machtverhältnissen diente. Als Ausgangspunkt wird der Ständediskurs gewählt, der das Konstruktions- und Reproduktionsinstrument sozialer Welt darstellte, mithin seine Teilnehmer in das Spannungsfeld zwischen Wirklichkeit (die Strukturen sozialer Welt) und Deutung setzte. Diese Wirklichkeit zeigte sich in der Wahrnehmung der einzelnen Akteure aber in verschiedener Weise, woraus sich eine je unterschiedliche Deutung dieser Wirklichkeit ergab. Die Deutung aber konstituierte wiederum den Ständediskurs, der als „notion formelle“ die Wahrnehmung der Wirklichkeit abbildete. Die Akteure also nahmen auf der einen Seite die soziale Welt als Ständegesellschaft wahr, andererseits formte diese Wahrnehmung ihren politischen Diskurs, der sich in der Konstruktion des Ständediskurses niederschlug. Der Konstruktions-Prozess nun bewegt sich auf dem Feld symbolischer Ordnung, folgt man Bourdieus Annahme, der Stand als symbolische Kategorie beschreibt (da es mehr um Sein als um Haben geht). Die Position der Akteure im sozialen Raum definiert sich dabei durch die Verfügung über Machtmittel (sei es über ökonomisches, soziales oder eben symbolisches Kapital).

 

Diese Wahrnehmung sozialer Welt stellt für den jeweiligen Akteur seine legitime Sicht der Dinge dar. Politischer Diskurs nun ist, so eine Hauptthese der Arbeit, der Versuch der Akteure, ihre legitime Sicht von Welt durchzusetzen bzw. die Machtverhältnisse zu eigenen Gunsten zu verschieben.

 

Für die Untertanen, die als nicht-herrschaftsfähige Gruppe lediglich in Widerstandsaktionen auf das Feld des politischen Diskurses gelangen konnten, war dies die spezifische politische Sprache, mittels derer das eigene Welt-Bild demjenigen der Obrigkeit entgegengestellt und zur Diskussion gebracht werden konnte.

 

Kristallisiert liegt das Welt-Bild jeweils in den Legitimationskonzepten vor: Auf der Seite der Bauern finden sich Vorstellungen von kommunaler Freiheit, altem Recht bzw. Göttlicher Gerechtigkeit und dem sog. Kaisermythos. Argumentativ diesen Vorstellungen verhaftet, versuchten die Bauern, ihre Widerstandsaktionen vor der Obrigkeit zu begründen. Dabei zeigte sich deutlich, wie die Bauern durchaus in pragmatischer Weise sich der Deutungsbilder bedienten, um einerseits ihre Standesgenossen zu überreden, andererseits die Obrigkeit zu überzeugen oder zu beschwichtigen. Besonders ihre Euphemisierungsstrategien sind dabei ins Auge gefallen. Gerade hier wird deutlich, dass die Untertanen sich den obrigkeitlichen Diskurs aneigneten, um nicht in Ungnade zu fallen. Damit halfen sie ungewollt mit, den herrschenden Diskurs zu fixieren. Der Obrigkeit dagegen schien es ebenso wichtig, ihrer Deutung sozialer Welt mit aller Macht zur Durchsetzung zu verhelfen. Ihr Legitimationsmuster bewegte sich hauptsächlich im Rahmen der Marginalisierung und Kriminalisierung der widerspenstigen Untertanen, um deren Bestrafung zu rechtfertigen, aber auch um die anderen Untertanen von solchem Unterfangen abzuhalten. Die Obrigkeit hatte ebenfalls ihre argumentativen und rhetorischen Möglichkeiten, um das Publikum von ihren Ansichten zu überzeugen.

 

Konflikte als Austragungsort politischen Diskurses enthüllen die mentalen Strukturen der Akteure in der ständischen Gesellschaft. Sie stellen aber auch den Kristallisationspunkt der Konstruktion von sozialer Welt dar, bieten sie doch Gelegenheit, die symbolischen (und damit auch die politischen, ökonomischen und sozialen) Machtbeziehungen zu aktualisieren.

 

Doch – und dies ist die zentrale Erkenntnis aus der vorliegenden Untersuchung: den Untertanen gelingt es in diesem Konstruktionsprozess nicht, ihrer Sicht der Dinge zur Durchsetzung zu verhelfen. Ihre Legitimationskonzepte erweisen sich als ungenügend, um als Alternative zum herrschenden Ordnungssystem gelten zu können. Eine Erklärung dafür liegt gewiss darin, dass oftmals selbst die Standesgenossen nicht angesprochen werden konnten. Warum aber letztlich in diesem Moment die Aufständischen ihre „Sicht der Dinge“ (noch) nicht durchsetzen konnten – diese Frage muss hier leider unbeantwortet bleiben.

Zugang zur Arbeit

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