Auch in der Schweiz stellte sich am Ende des Zweiten Weltkriegs die Problematik einer „politischen Säuberung“, bei der es um die Fragen ging, wer politisch mit dem Nationalsozialismus und dem Faschismus kollaboriert hatte, aber auch, ob die Behörden, die Armee, das „Volk“ oder bestimmte Bevölkerungsschichten zu wenig gegen die politische Kollaboration angetreten waren.
Die Lizentiatsarbeit wendet sich den Jahren 1945 und 1946 zu und untersucht mittels hermeneutisch-deskriptivem Verfahren, auf welche Art unmittelbar nach dem Krieg die Vergangenheit von den Zeitgenossen beurteilt und gedeutet worden ist. Es geht somit in der Arbeit weniger um das Faktologische als vielmehr um die Diskussion über den Krieg innerhalb der damaligen Öffentlichkeit.
In einer übergreifenden Perspektive werden vier für sämtliche politische Richtungen der Schweiz repräsentative Parteizeitungen, die freisinnige Neue Zürcher Zeitung, das katholisch-konservative Organ Vaterland, die sozialdemokratische Berner Tagwacht und die kommunistische Voix ouvrière als Quellen herangezogen. Dabei interessieren insbesondere Zeitungsartikel mit redaktionellen Eigenleistungen, welche Auskunft über kollektive Interpretationen geben.
Die Darstellungsordnung der Arbeit ist chronologisch und beginnt mit einer knappen Übersicht über die Lage der Schweiz am Kriegsende aus der Sicht der vier Tageszeitungen. Die folgenden Kapitel widmen sich den jeweiligen Positionsbezügen zur Ausweisung von faschistischen und nationalsozialistischen Ausländern zwischen Mai und Juli 1945, der besonders heftigen Auseinandersetzung zwischen Katholiken und Sozialdemokraten, der medialen Rezeption der amtlichen Interpretation der Vergangenheit im Rahmen des Berichts des Bundesrates über die antidemokratische Tätigkeit, den Stellungnahmen zu den „Hügel-Gesprächen“ und zur „Eingabe der Zweihundert“ sowie der Reaktion auf den dritten Teil des bundesrätlichen Berichts und auf den Rapport des Generals über die Aktivdienstzeit.
Anhand der Analyse dieser Medienereignisse wird gezeigt, welch wichtigen Stellenwert die parteipolitisch gebundenen Schwerpunktsetzungen und Deutungsmuster der Vergangenheit für die Etablierung der Nachkriegsordnung hatten. So zeichnete jede politische Richtung eine andere Grenzlinie um die imaginierte nationale Gemeinschaft, wobei der Freisinn als staatstragende Kraft am ehesten bemüht war, den Kreis der imaginierten Volkseinheit möglichst breit, aber gleichwohl ohne Kommunisten, zu ziehen.
Hinsichtlich des Eigen- und Fremdbilds der politischen Parteien stellte sich die Sozialdemokratie in der von ihr vor Kriegsende initiierten „Bewährungsdebatte“ als antifaschistisches Bollwerk dar, während sie das Bürgertum unter den Generalverdacht des „Profaschismus“ stellte und dem politischen Gegner eine „intellektuelle Mitschuld“ am Aufkommen des Frontismus und des Faschismus in der Schweiz attestierte. Auf der gleichen Argumentationslinie bewegte sich die Partei der Arbeit, welche im Weiteren für eine Neubesetzung des Bundesrates eintrat, um einer von ihr konstatierten internationalen Isolierung der Schweiz zuvorzukommen.
Die zielgerichtete Konstruktion der Vergangenheit wurde zuerst von der Linken zur politischen Waffe instrumentalisiert, später auch von den bürgerlichen Parteien übernommen. Letztere erinnerten an die ambivalente Haltung der Sozialdemokratie und der extremen Linken während des Kriegs und insbesondere während des kritischen Jahres 1940 und stellten die Legitimität einer „retrospektiven Schnüffelei“ in Frage.
Gleichzeitig warnte der Freisinn vor der Gefahr, die Anschuldigungen der Linken könnten bei der Bevölkerung den Eindruck des Versagens aller politischen Parteien wecken. Dies war gemäss der Neuen Zürcher Zeitung insofern verhängnisvoll, als die damalige Zukunft der Schweiz aufgrund der aus der Vergangenheit gezogenen Bilanz gestaltet wurde.
Der Schlagabtausch zwischen dem Bürgertum und der Linken, dessen Kulminationspunkt mit der medial breit rezipierten Diskussion um die „Eingabe der Zweihundert“ zwischen Dezember 1945 und Februar 1946 erreicht worden war, ebbte im Frühling 1946 ab und bildete für die öffentliche Auseinandersetzung der politischen Parteien mit deren Rolle im Zweiten Weltkrieg ein vorläufiges Ende.