Republikanismus unter Anpassungsdruck. Das politische Selbstverständis in Schwyz zwischen Französischer und Helvetischer Revolution

AutorIn Name
Benjamin
Adler
Art der Arbeit
Lizentiatsarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Peter
Blickle
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
1998/1999
Abstract

Die republikanischen Verfassungen der Kantone der Eidgenossenschaft beeinflussten das politische Denken Rousseaus und Montesquieus und damit auch der führenden Köpfe der Französischen Revolution massgeblich. Die vorliegende Arbeit fragt: Wie war die Beeinflussung in der Gegenrichtung? Wie verarbeitet Schwyz - als Fallbeispiel für die Innerschweizer Landsgemeindeorte - den Republikanismus französisch-revolutionärer Prägung (die Postulate der Französischen Revolution)? Änderte - und wenn ja, wie - das politische Selbstverständnis in Schwyz zwischen Französischer und Helvetischer Revolution? Die Arbeit stützt sich auf die Quellenbestände der entsprechenden Periode im Staatsarchiv Schwyz. Zentral war die Auswertung der Protokolle der Landsgemeinde, der als Versammlung aller Landleute (der vollberechtigten Bürger) obersten gesetzgebenden Behörde des Kantons. Ergänzend wurden weitere Quellen hinzugezogen, z.B. Ratsprotokolle, Gesetze und Erlasse, Schreiben von und an die Regierung.

 

Die revolutionären Umwälzungen in Frankreich blieben auf die schwyzerische Innenpolitik vorerst ohne jegliche Auswirkung. Erst Ende 1797, als sich Frankreich anschickte, die Verhältnisse in der Schweiz nach seinen Wünschen umzugestalten, wurde die Französische Revolution innenpolitisch zu einem Thema. In der Hoffnung, dadurch ansonsten den Status quo erhalten zu können, hob Schwyz die bis anhin herrschende Ungleichheit auf. Damit wurde dem französischen Postulat von Freiheit und Gleichheit entsprochen und die bisher nur den Landleuten zuteil gewordenen demokratischen Rechte auch auf die Beisassen und Untertanen ausgedehnt. Mit dieser rechtlichen Änderung ging aber keine Veränderung des politischen Bewusstseins einher; dieser Schritt wurde alleine aufgrund des französischen Drucks und nicht aufgrund eines gewandelten Rechtsempfindens vollzogen. Freiheit war für die Schwyzer, sowohl im Moment der Gleichstellung als auch noch lange danach, noch immer kein universalistisches Prinzip. Freiheit war für sie nicht die Freiheit im modernen absoluten Sinn, sondern, entsprechend dem altständischen Freiheitsbegriff, die Summe aller Freiheiten (bzw. komplementär dazu aller Herrschaftsrechte). Im weiteren beruhte diese Freiheit, genauso wie die partikularen Freiheiten beispielsweise der schwyzerischen Untertanen auch, auf Leistung, die entweder selbst oder von den Vorfahren erbracht worden war. Die Freiheit (genauso wie ein einzelnes Freiheitsrecht auch) war also ein Privileg und beruhte daher letztlich, genau entgegengesetzt der Menschenrechtsidee, gerade auf der Ungleichheit. Zumindest seit dem beginnenden 15. Jahrhundert lässt sich dieses Freiheitsverständnis zweifelsfrei nachweisen, für die Zeit davor (inklusive der Zeit der Formierung der Landsgemeinden) mit grosser Wahrscheinlichkeit annehmen.

 

Vor diesem Hintergrund erweist sich die in der schweizergeschichtlichen Literatur gängige Beurteilung der Landsgemeinde in der Frühneuzeit als unrichtig. Ohne das politische Selbstverständnis explizit untersucht zu haben, wurde unterstellt, vom Zeitpunkt ihrer Entstehung bis zur Schwelle der Frühneuzeit hätte in den Landsgemeinden ein nach modernen Massstäben als demokratisch zu bezeichnendes Selbstverständnis geherrscht. Dieses sei dann degeneriert und hätte dem Streben nach Privilegien Platz gemacht. Die eigene Freiheit sei zunehmend als exklusives Besitztum betrachtet worden, eifersüchtig bewacht und andern bewusst vorenthalten. Im Innern habe der Verlust der demokratischen Ideale die Errichtung einer Familienherrschaft zur Folge gehabt. Aus den genannten Gründen trifft nicht nur die Vorstellung von den Ursachen der Entmachtung der Landsgemeinde bzw. des "gemeinen" Landmanns nicht zu, sondern auch die Feststellung überhaupt, in der Frühneuzeit seien die Landsgemeinden faktisch Quasi-Aristokratien gewesen: Gerade das Erkaufenmüssen von Wahl- und Sachentscheiden - bisher als augenfälliger Beweis für diese Degeneration aufgefasst - bezeugt gerade das Gegenteil: nur weil die Landsgemeinde eben Macht hatte, mussten die an einem bestimmten Entscheid Interessierten diesen erkaufen. Ausserdem entschied die Landsgemeinde oft genug anders, als die Vorgesetzten empfohlen und gewünscht hatten. Und nicht zuletzt vermochte sich nie eine gegen unten abgeschlossene regierende Schicht auszubilden. Die Mobilität blieb stets recht hoch, neu zu Reichtum Gelangte schafften in der Regel den Sprung in die höchsten Landesämter.

 

Der Widerstand von Schwyz gegen die Errichtung der Helvetischen Republik wurde nicht alleine durch die Inkompatibilität der beiden politischen Vorstellungswelten hervorgerufen. Die schwyzerische Ablehnung beruhte auch auf den unerwünschten praktischen Konsequenzen, die aufgrund der Organisation des neuen Staates zu erwarten waren. Dabei ging es nicht allein um den Privilegienverlust, der mit der Einführung der Rechtsgleichheit verbunden war. Auch nach der Aufgabe der Privilegien waren die beiden Staatsformen für den Schwyzer keineswegs gleich vorteilhaft: die Neuorganisation hatte für den einzelnen Schwyzer die Verringerung seiner politischen Mitsprache bzw. seines politischen Gewichts bei gleichzeitig höherer finanzieller Belastung durch den Staat zur Folge. Der schwyzerische Widerstand, das Festhalten am Status quo, lässt sich demnach nicht oder nur begrenzt mit Traditionalismus oder Konservativismus erklären, sondern beruhte ganz klar (auch) auf einem rationalen Kalkül.

Zugang zur Arbeit

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