"Passen Sie zu Ihrem Heim?" Wohnkulturvermittlung, Lebensstil und Wandel des Frauenleitbildes in der Deutschschweiz (1945 - 1960).

AutorIn Name
Sandra
Aerni Wyss
Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Brigitte
Studer
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2010/2011
Abstract
In der Schweiz der „langen fünfziger Jahre“ haben Wirtschaftswachstum, Modernisierung und Konsumaufschwung einen raschen sozialen Wandel zur Folge. Die Gesellschaft ist geprägt durch horizontale und vertikale Mobilität. Ansteigender Wohlstand, die politisch stabile Situation (Regierungsintegration aller Parteien) und die „Demokratisierung des Konsums“ führen zu gesellschaftlichen Nivellierungsprozessen (grosser Mittelstand), was jedoch nicht die Aufhebung sozialer Ungleichheit bedeutet. In den Bereichen Arbeit, Freizeit, Konsumverhalten und Lebensstil zeichnen sich tiefgreifende Änderungen ab. Der American Way of Life fasziniert, Statussymbole sind Auto, Waschmaschine, Kühlschrank und das Einfamilienhaus im Grünen. Mit wachsender Prosperität erhalten Lebensstilund Geschmacksfragen neue Distinktionsfunktionen. Der Wohnbereich erfährt einerseits einen Aufschwung als Manifestationsort neuen Lebensstils: Geschmacksbildung, Werbung und Ausstellungen inszenieren das „moderne Wohnen“. Andererseits verstärkt sich gesamtgesellschaftlich das Bedürfnis nach Erholung im eigenen Heim (Häuslichkeitsdebatte), welches als Gegenwelt zur sich rasch modernisierenden, als unwirtlich und gehetzt empfundenen Aussenwelt gilt. Hier sind v. a. Frauen angesprochen: gemäss traditionell bürgerlicher Geschlechterordnung sind sie für das „gemütliche Heim“ zuständig. Das bürgerliche Modell ist ideologisch unbestritten und wird sogar neu bestärkt, das Alleinernährer-Konzept ist in der Hochkonjunktur erstmals überhaupt breit umsetzbar. In der Verknüpfung der genannten Bereiche Wohnen, Lebensstil und bürgerlich häuslicher Zuständigkeit der Frau setzt die zweifache Fragestellung der Arbeit ein, welche sich mit Wohnkulturvermittlung befasst. Zum einen untersucht sie diese hinsichtlich einer geschlechtskonstituierenden Funktion und fragt nach einem allfälligen Wandel des Frauenleitbildes im Zuge allgemeiner Modernisierung. Zum anderen überprüft sie in einer erweiterten Fragestellung die Schichtspezifität der vermittelten Wohnleitbilder und fragt (nach Bourdieu) danach, ob hierbei von einem schichtspezifisch übergreifenden „ästhetischen Bildungsangebot“ gesprochen werden kann. Im Rahmen des über Lebensstile ausgetragenen positionalen Wettbewerbs (Tanner) bildet das Verfügen über ästhetische Bildung eine zentrale Voraussetzung für eine gelingende Teilnahme an ebendiesem. In der Gegenüberstellung der Konzepte der Familialisierung (Studer) sowie des sozialen Wandels als Wirtschaftswachstumsfolge (Siegenthaler) werden zuerst Forschungen über Frauenleitbilder in den „langen fünfziger Jahren“ untersucht, welche einen subtilen Wandel der Frauenleitbilder hinsichtlich Erwerbstätigkeit, Partnerschaft und Bildungsanspruch (Wandel) bei gleichzeitiger Konstanz der dualistischen Geschlechterordnung (Bestand traditioneller Deutungsmuster) zeigen. Nach der Diskussion geschlechtsspezifischer Unterschiede bei Wohnfunktionen, -zuständigkeiten und -architektur wird die Wohnkulturvermittlung in Wohnratgebern untersucht. Es wird gezeigt, dass gegen Ende des Untersuchungszeitraums vermehrt Ansprüche der Frau auf die Verfügung über „Raum“ und „Zeit“ sowie den „Ausdruck eigener Persönlichkeit“ in der Wohnung auftreten. Zudem wird auf den neuen Lebenslauf der Frau (Ausbildung, Berufstätigkeit) rekurriert, welcher sich im Anspruch auf Beibehalten von Freiheit (auch in der Ehe) äussert. Die Änderungen können mit allgemeinen Modernisierungsentwicklungen und modernen Wohnleitbildern in Verbindung gebracht werden. Gleichzeitig bleibt die Zuständigkeit der Frau fürs Heim unhinterfragt; insbesondere der ihr oft attestierte „Gestaltungsinstinkt“ und der „Sinn fürs Schöne“ verweisen auf die Beständigkeit des Deutungsmusters der polarisierten Geschlechtscharaktere (Hausen). Für die zweite Frage werden Entwicklungen in den Bereichen Wohnen/Lebensstil aus konsumgeschichtlicher und kultursoziologischer Perspektive beleuchtet. Insbesondere das Habitus-Konzept von Bourdieu sowie seine These des Ausdrucks der „Klassenzugehörigkeit“ in differentiellen Lebensstilen durch schichtspezifisch unterschiedliche Geschmacksformen sind theoretisch massgebend. Es wird gezeigt, dass eine breite Geschmacksbildung der Bevölkerung stattfindet. Die Analyse schichtspezifisch definierter Zeitschriftenwohnrubriken zeigt, dass diese Geschmacksbildung vor allem für die Mittelund Oberschicht stattfindet. Modernes Wohnen wird aber, mit teilweise abnehmender Tendenz, breit thematisiert, Stellungsfragen sind oft zentral (Hinweis auf Platzknappheit). Ein gewisses Bedürfnis nach Wohn-Bildung scheint generell vorhanden zu sein, die Wohnrubriken könnten aber auch als Reaktion auf die erfolgende Geschmacksbildung und Werbung gesehen werden. Eine Untersuchung an hundert Haushalten im sozialen Wohnungsbau zeigt schliesslich auf, dass untere Schichten von der Geschmacksbildung keinen Gebrauch machten: Die traditionelle Aussteuereinrichtung (auf Abzahlung gekauft) ist hier die Regel.

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