Panelbericht: Precious Gifts? Der Wert von Geschenken und das Problem mit der Zirkulation

Autor / Autorin des Berichts
Caroline
Wasna
Universität Basel
Zitierweise: Wasna, Caroline: Panelbericht: Precious Gifts? Der Wert von Geschenken und das Problem mit der Zirkulation, infoclio.ch Tagungsberichte, 28.06.2019. Online: <https://www.doi.org/10.13098/infoclio.ch-tb-0184>, Stand: 29.03.2024
Verantwortung: Isabelle Schürch / Birgit Tremml-Werner
Referierende: Andreas Obenaus / Isabelle Schürch / Birgit Tremml-Werner
Kommentar: Michael Jucker

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Der diplomatische Akt des Geschenkeaustausches im Mittelalter stand im Zentrum des Panels „Precious Gifts? Der Wert von Geschenken und das Problem mit der Zirkulation“. ANDREAS OBENAUS (Wien) ging das Thema primär aus europäischer Sicht an, während der Vortrag von ISABELLE SCHÜRCH (Bern) die diplomatischen Beziehungen zwischen Mesoamerika und Spanien in den Blick nahm. BIRGIT TREMML-WERNER (Zürich) beleuchtete eine weitere spanische diplomatische Beziehung – die zu Japan.

Andreas Obenaus legte den Fokus auf die diplomatischen Beziehungen zwischen den drei grossen Herrschaftsbereichen Byzanz, den Umayyaden in Córdoba und den lateinisch-europäischen Mächten im Frühmittelalter. Obenaus zufolge habe es im Mittelalter drei verschiedene Arten von Geschenken gegeben, die untereinander ausgetauscht wurden.
Bei der ersten Art, dem „Standardgeschenk“, handelte es sich meist um Luxusobjekte, die überreicht wurden. Im lateinisch-europäischen Raum waren das beispielsweise Silberbecher, Spiesse und Lanzen. Das „gewünschte Geschenk“ ist die zweite Art: Dies waren Geschenke, die einen besonderen Wert für den Beschenkten hatten. So erhielt Abd ar-Rahman II. von Konstantin VII. die Abschrift eines Heilkundebuches. Als er jedoch niemanden finden konnte, der Griechisch und Lateinisch konnte sowie Wissen im Bereich der Heilkunde hatte, bat er Konstantin um eine solche Person: Daraufhin schickte Konstantin ihm einen Mönch. Bei der dritten Art handelt es sich um das „wertlose Geschenk“. Bei Verhandlungen, die nicht das erhoffte Ziel erreichten, konnte trotzdem nicht auf ein Gegengeschenk verzichtet werden. Stattdessen wurden Geschenke ausgesucht, die für den Beschenkten keinen Wert hatten – wie im Fall von Nikephoros II., der Otto I. mit Phokas beschenkte. Diese für Europa untypischen Wildesel wurden später durch zwei Rehe (oder Ziegen)1 ausgetauscht.
Insgesamt zeigten diese Beispiele auf, dass ein Gegengeschenk, selbst bei unbefriedigenden Verhandlungsverläufen, zwingend notwendig war, sich die Art des Geschenks und sein Wert aber erheblich unterscheiden konnten.

Den Blick weiter nach Westen richtete Isabelle Schürch: Sie analysierte den diplomatischen Geschenkeaustausch der Spanier mit den beiden mesoamerikanischen Völkern der Tlaxcalteken und der Nahua um 1500 anhand zweier meso-amerikanischer Bildfragmente, dem Lienzo de Tlaxcala und dem Lienzo de Quauhquechollan. Auf diesen ist zu sehen, wie die Spanier jedem Stamm mehrere Pferde schenkten und diese im Gegenzug wichtige Nutzgütern wie Mais und Vögeln überreichten. Während für die Spanier Pferde wertvolle Nutz- und Transporttiere waren und als Standardgeschenke in den diplomatischen Beziehungen zu Herrschern in Europa, Asien und Nordafrika verwendet wurden, sahen die Mesoamerikaner keinen Nutzen in ihnen. Die Tiere könnten daher als „unmögliche Geschenke“ angesehen worden sein. Die Referentin schlussfolgerte, dass Bündnisse sowohl in Europa wie auch in Mesoamerika auf Praktiken des Geschenketauschs beruhten, die Tauschlogik jedoch mit einer anderen Wertlogik verbunden sein konnte.

Birgit Tremml-Werner stellte die diplomatischen Beziehungen Spaniens zu seinem Bündnis- und Handelspartner Japan vor. Um 1600 liefen Handelsverhandlungen zwischen den spanisch besetzten Philippinen und Japan. Nach erfolglosen Briefkontakten forderte der japanische Herrscher einen Tribut der Spanier, mit dem diese die siegreichen Taten der Japaner in Korea und deren Vormachtstellung in Asien anerkannten. Nach diversen Missverständnissen sahen sich die Spanier genötigt, militärisch gegen die Japaner vorzugehen. Doch der beauftragte General entschied sich, stattdessen 1597 einen Elefanten als Geschenk zu senden. Mit dieser Gabe soll sich dann die Situation wieder beruhigt haben – ein militärisches Eingreifen wurde unnötig. Ein weiteres Beispiel für die Bedeutung des Geschenketauschs in den spanisch-japanischen Beziehungen ist eine 1581 in Madrid hergestellte Uhr. Sie wurde Anfang des 17. Jahrhunderts von König Felipe III. von Spanien dem japanischen Herrscher Tokugawa Ieyasu überreicht und gilt heute als Symbol für die 400-jährige friedliche Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Für die Spanier war sie von hohem materiellem Wert, während die Japaner ihren symbolischen Wert höher bewerteten. Der japanische Kaiser präsentierte die Uhr seinen Fürsten als Beleg für seinen weiten Einflussbereich und seine Macht.2

MICHAEL JUCKER (Luzern) hob in seinem Kommentar die Gemeinsamkeiten der Vorträge hervor: Sie hätten gezeigt, dass das ältere Paradigma der Reziprozität, wie es beispielsweise Marcel Mauss beschreibt,3 nicht mehr funktioniere, denn Geschenke können in der interkulturellen Diplomatie missverstanden werden. Jucker betonte ausserdem die oft problematische Quellenlage für diplomatische Beziehungen im Mittelalter. Für viele Gegebenheiten existiere nur die Sichtweise der einen beteiligten Partei. Die Wahrnehmung der Gegenseite fehle meist gänzlich. Ein lohnender historiografischer Ansatz könne aber die Objektgeschichte sein, denn die Objekte könnten unter Umständen darüber Auskunft geben, wie sie zirkulierten (oder eben auch nicht), wie sie nach der Übergabe gehandelt wurden, wie sich ihr Wert veränderte und wie sie symbolisch aufgeladen wurden. Auf den Paneltitel zurückkommend zog Jucker den Schluss, dass die Vorträge gezeigt hätten, dass im Mittelalter Zirkulation im interkulturellen Austausch nicht immer vorhanden war und dass es teilweise bei einer einzigen Übergabe blieb.


Anmerkungen

1 Was es nun wirklich war, ist aufgrund einer Übersetzungsunklarheit vom Lateinischen ins Deutsche unbekannt.
2 S.a. Tremml-Werner, Birgit: Audienzen und Korrespondenzen. Japan und das spanische überseeische Imperium in der Frühen Neuzeit, in: dies., Eberhard Crailsheim (Hrsg.): Audienzen und Allianzen. Interkulturelle Diplomatie in Asien und Europa vom 8. bis zum 18. Jahrhundert. Wien: Mandelbaum, 2014, 70–89. URL: https://www.hist.uzh.ch/dam/jcr:d68fc9d3-18d4-4e57-88d3-5e8c61333082/Tr… [Zugriff am 07.06.2019].
3 Vgl. Mauss, Marcel: Essai sur le don, forme et raison de l'échange dans les sociétés archaïques, in: L'année sociolo-gique, 1 (1923/24), Alcan, Paris 1925, S. 30–186. URL: https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k93922b/f36.table [Zugriff am 07.06.2019].


Panelübersicht:

Obenaus, Andreas: Trans-ozeanische diplomatische Geschenke und Wissenszirkulation um 1600

Schürch, Isabelle: Für Kalifen, Kaiser, Könige… - Interkulturelle diplomatische Geschenkpraktiken zwischen Al-Andalus, Byzanz und lateinisch-christlichen Mächten im 10. Jahrhundert

Tremml-Werner, Birgit: Unmögliche Geschenke: Spanisch-mesoamerikanische Zirkulationsirritationen um 1500



Dieser Panelbericht ist Teil der infoclio.ch-Dokumentation zu den 5. Schweizerischen Geschichtstagen

Veranstaltung
5. Schweizerische Geschichtstage
Organisiert von
Schweizerische Gesellschaft für Geschichte und Universität Zürich
Veranstaltungsdatum
Art des Berichts
Conference