Neubürger in Zürich. Herkunft und Entwicklung der Bürgerschaft der Stadt Zürich im späten Mittelalter 1350-1550

AutorIn Name
Bruno
Koch
Art der Arbeit
Dissertation
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Rainer
Schwinges
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2000/2001
Abstract
Die Bürger der Städte zählten im Mittelalter neben Adel und Geistlichkeit zu den drei grossen Ständen. Sie waren innerhalb der Stadt die entscheidende Kraft, welche die europäische Geschichte auf wirtschaftlichem und rechtlichem Gebiet wesentlich vorangetrieben hat. Den idealtypischen Bürger gab es gleichwohl nicht. Das B ürgerrecht und damit die rechtliche Definition des Bürgers waren praktisch von Stadt zu Stadt verschieden. Trotzdem gab es bestimmte Kriterien, die nur auf den Bürger zutrafen. Diese sowohl allgemein als auch speziell für die Stadt Zürich herauszuarbeiten, war eines der Ziele meiner Arbeit. Nach dem rechtlich orientierten Teil folgen die wirtschafts- und sozialgeschichtlich ausgerichteten Kapitel. Dazu wird die Hauptquelle, das Bürgerbuch A der Stadt Zürich, welches vollständig elektronisch erfasst und mit den Steuerbüchern der Jahre 1400-1470 verknüpft wurde, ausgewertet. Als reichsweite Vergleichsmöglichkeit dient die Datenbank des „Neubürger Projektes“ von Prof. Rainer Schwinges an der Universität. Im zweiten Teil der Arbeit interessiert insbesondere, inwiefern sich die zahlreichen politischen und verfassungsgeschichtlichen Krisen und Veränderungen der Zürcher Geschichte im späten Mittelalter auf die Einbürgerungspolitik der Stadt und das Migrationsverhalten der Neubürger auswirkten. Anhand der „push and pull“-Theorie wurde die demographische Entwicklung anhand der Einbürgerungsfrequenz konterkariert, um einerseits die Kenntnisse über die Bevölkerungsentwicklung zu ergänzen, aber auch, um allfällige Steuerungsversuche der Stadtbehörden zu ergründen. Ein Augenmerk war dabei der Pest gewidmet, die besonders die Stadtbevölkerung im Untersuchungszeitraum mehrmals heftig traf. Bürger und Bürgerrecht sind heute vertraute Begriffe und rechtlich klar definiert. Dies verleitet dazu, den Bürgerbegriff anachronistisch eng zu fassen und zu definieren. Bürger und Bürgerrecht entstanden im Mittelalter jedoch prozesshaft. Die Vorstellung, wer Bürger war, welche Rechte er geniessen konnte und welche Pflichten er zu leisten hatte, änderte sich von Stadt zu Stadt, von Jahrhundert zu Jahrhundert. Einzige Konstante war der Rechtsgrund: nur wer den Bürgereid leistete, wurde Bürger. Dank einer günstigen Quellenlage kann der Bürgereid in Zürich schon früh, kurz vor 1250, gefasst werden, auch wenn der Wortlaut erst aus späterer Zeit überliefert ist. Die Quelle deckt zusammen mit dem Richtebrief exemplarisch die kommunalen Wurzeln des Bürgerrechtes auf. Im Gegensatz zum Rechtsgrund kann der Rechtsinhalt des Bürgerrechtes nicht klar bestimmt werden. Was Bürgersein konkret bedeutete und wer ins Bürgerrecht aufgenommen wurde, entschied nämlich immer mehr die Obrigkeit der Bürgergemeinde, der Rat. Dieser Rechtsinhalt veränderte sich deshalb laufend von Fall zu Fall. Und je mehr sich diese Obrigkeit im Rahmen des Patriziates von der Gemeinde entfremdete, desto mehr wurde der Bürger zum Untertan der „gnädigen Herren“. Auch in Zürich ist diese Tendenz deutlich spürbar, doch wurde hier die politisch aktive Bürgerschaft nicht wie in Bern immer mehr auf den Grossen Rat „reduziert“, sondern innerhalb der Zünfte durch die Zunftobrigkeit kontrolliert. Neue Bürger wurden ab der Mitte des 16. Jahrhunderts sogar normativ vom Bürgerrecht ausgeschlossen. Im 14. und 15. Jahrhundert war der Rat noch bestrebt, alle Einwohner unter das Bürgerrecht zu stellen, denn der Bürger schwor ihm Treue und Gehorsam und war zum Kriegsdienst verpflichtet. Doch der Rat konnte seine „Einbürgerungspolitik“ nicht immer umsetzen. Nicht alle Einwohner wollten Bürger werden, vor allem wenn sie das Bürgergeld bezahlen mussten. Mit dem Bürgerbuch versuchte der Rat die Kontrolle über die Einbürgerungen zu behalten und Einwohner, die nicht im Bürgerbuch verzeichnet waren, anzuhalten, das Bürgerrecht zu erwerben. Doch war die mittelalterliche Verwaltung nicht effizient genug, dies lückenlos durchzusetzen. Wichtigstes Instrument dieser Einbürgerungspolitik war, neben der meist nicht dokumentierten Verweigerung des Bürgerrechtes für missliebige Personen, das Bürgergeld. Eine beträchtliche Anzahl Personen wurden gratis oder vergünstigt eingebürgert, weil sie sich militärisch bewährten oder einen speziellen Beruf mitbrachten. Weitergehende Instrumente sind jedoch im Normalfall nicht bekannt. Spezielle Änderungen im Rechtsstatus und der Pflichtleistung finden sich nur bei Adeligen, Juden, Lombarden oder Ausbürgern. Hier wurden die Bedingungen in sogenannten Gedingen geregelt, weshalb diese Bürger auch Gedingbürger genannt wurden. Bei der „Judenstättigkeit“ kann jedoch nicht mehr von einem Bürgerrecht gesprochen werden. Hier handelte es sich nur noch um die einfache Formel „Schutz gegen Geld“. Stadtbewohner ohne Bürgerrecht, zuerst Einwohner später Hintersassen genannt, waren weitaus in der Minderheit. Unter diesem Status lebten Frauen im eigenen Haushalt, aber auch Personen aus der Unterschicht. Nicht zu den Hintersassen gehörten jedoch diejenigen, die zur Familia des Bürgers zähl- ten und das Bürgerrecht vermittelt genossen. Die Migration nimmt innerhalb der „Stadt-Umland“-Problematik eine zentrale Funktion ein. Die Zu- oder Abwanderung, vor allem von Fachleuten in Gewerbe oder der Verwaltung, ist ein guter Indikator, um die wirtschaftliche Ausrichtung einer Stadt sowie der dazugehörenden Wirtschaftsräume zu bestimmen. Weil das Zürcher Bürgerbuch über eine längere Zeit geführt wurde, ist es möglich, Veränderungen langfristig zu verfolgen. Das ist besonders wertvoll, weil die „klassischen“ Wirtschaftsquellen wie Zollregister, Handelsquellen und Rechnungsbücher privater Haushalte meist nur punktuell überliefert sind und sich deshalb schwer einordnen lassen. Ein grosser Teil der Neubürger waren „Berufsleute“, die in Zürich wirtschaftlich tätig wurden. Anhand der Einbürgerungshäufigkeit dieser Berufsleute kann die gewerbliche Ausrichtung und Entwicklung der Stadt genauer als bisher beschrieben werden. Ohne auf Details einzugehen, sei der Vergleich zwischen Metallgewerbe, Handeltreibenden und dem Ledergerwerbe erwähnt, der gezeigt hat, wie sich Zürich aus innovativen Branchen zurückzog und sich analog zu anderen eidgenössischen Städten in erster Priorität dem Aufbau eines grossen Territoriums widmete. Es fehlte nach den massiven Kosten, die der Kauf der Landschaft und der mit der Territorialisierung verknüpfte Zürichkrieg verursacht hatten, an Kapital, um die Wirtschaft zu erneuern. Die Einbürgerungen von Spezialisten von weit her, ohne dass Zürich mit eigenem „know how“ hätte ausgleichen können, aber auch der Rückgang des Gesamtvermögens um 1450 verdeutlichen diese Lage und führten zu der bereits von H.C. Peyer beschriebenen Sonderentwicklung. Zürich hatte an territorialer Zentralität gewonnen, aber dafür an wirtschaftlicher Zentralität verloren, da diese, anders als in Augsburg, Nürnberg oder Ulm, in einem unausgewogenen Verhältnis stand. Die wirtschaftliche Konjunktur der Stadt war ein entscheidender „pull-Faktor“ der Migration. Sie hat arbeitssuchende Berufsleute angezogen, die im Sinne eines Rückkoppelungsprozesses die gewerbliche Ausrichtung einer Stadt beeinflussen konnten. Gemäss meiner These haben gerade die vielen Neubürger des Leder-Fellgewerbes in Zürich zu einer Überversorgung mit Lederprodukten geführt, was die konjunkturelle Krise nach dem Alten Zürichkrieg verschärfte. Die vielen eingewanderten Berufsleute stützten als Handwerker die Zünfte, so dass die bekannte stetige Verschiebung der Macht, von den Kaufleuten hin zu den Zünften, auch unter diesem Aspekt erklärt werden kann. Die Herkunftsgebiete der Neubürger, die Migrationsräume, waren keine starren Gebilde, sondern änderten sich stetig. Mit ihnen veränderte sich auch die Zusammensetzung der Neubürger, die aus ihnen migrierten. Jeder Migrationsraum erfüllte für die Stadt unterschiedliche Funktionen. Der Migrationskernraum umspannte etwa den Einzugsbereich des Wochenmarktes. Er war für die städtische Versorgung unabdingbar und deshalb früh ins Herrschaftsgebiet integriert worden. Für die Einbürgerung spielte er eine wichtige Rolle, da sich aus den Dörfern viele Leute, vor allem aus der reicheren „Dorfehrbarkeit“ einbürgerten. Ebenso der nahe Migrationsraum, der durch herrschaftliche Interessen an die Stadt gebunden war. Aus der Führungsschicht der benachbarten Landstädte rekrutierte sich oft die Führungsschicht der Stadt. Aus diesen Gebieten stammte auch der grösste Teil der ärmeren Bauern, aber keineswegs ausschliesslich. Anders war der ferne Migrationsraum strukturiert. Die Neubürger aus diesem Gebiet waren meist städtisch geprägt und mehrheitlich Handwerker oder Gewerbetreibende. Hier lagen die wirtschaftlichen Interessen der Stadt. Mit den Städten aus diesem Raum pflegte Zürich die intensivsten Handelsbeziehungen. Diese Beziehungen waren ein wichtiger Motor der Migration, da sich Informationen über Konjunktur und Arbeitsbedingungen einer Stadt durch reisende Kaufleute und Händler ausbreiteten. Besonders zu nennen sind hier die Gesellen mit ihren organisierten Verbänden. Eine Eigenheit eidgenössischer und flandrischer Städte war die Aufnahme einer grossen Anzahl von Ausbürgern. In der Eidgenossenschaft hat man diese zum Erwerb eines Territoriums instrumentalisiert. In erster Linie ging es darum, Pfandschaften zu sichern. Ziel war es, die an Zürich verpfändeten Herrschaften derart mit Ausbürgern zu durchsetzen, dass sich eine Ablösung durch den Herrn nicht mehr lohnte. Mit fortschreitender Territorialisierung wurde das Ausbürgerwesen jedoch für die Stadt uninteressant und verlor nach 1450 an Bedeutung. Neubürger waren in die soziale Struktur der Stadt eingebettet. Die Bestimmungen des Bürgerrechtes mit Rechten aber auch Pflichten, die oft im institutionellen Rahmen der Wacht oder der Zunft geleistet werden mussten, integrierten den Neubürger schnell in seine neue Umgebung. Hinzu kamen soziale Bindungen in Form von Klientelverhältnissen oder familiären Beziehungen. Trotzdem das Bürgerrecht einen kommunalen, nicht ständischen Kern aufweist, konnten sich die Bürger der im Mittelalter allgegenwärtigen ständischen Gesellschaftsform nicht entziehen. Die Determinierung der Führung durch die Geburt wurde durch eine soziale ersetzt. Ins Regiment trat erst ein, wer zum Kreis der regimentsfähigen Familien gezählt wurde, und hier war das Vermögen das entscheidendste Kriterium. Wer reich war, schaffte den Sprung erheblich früher als andere. Ebenso konnte man in Zürich schnell zu Macht und Einfluss gelangen, wenn man aus einer angesehenen Familie einer benachbarten Stadt stammte. Diese Möglichkeiten verschlechterten sich aber im Untersuchungszeitraum konstant, so dass mit der Bildung des sogenannten Verwaltungspatriziates die politische Partizipation von Neubürgern nahezu verunmöglicht wurde.

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