Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Ueli
Haefeli
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2016/2017
Abstract
Die Masterarbeit geht der Frage nach, wie sich der Berufs-, Freizeit-, und Fremdenverkehr auf den Schweizer Strassen in der Zwischenkriegszeit verhielt und inwiefern sich die soziökonomischen Begebenheiten im Strassenverkehr und im Mobilitätsverhalten widerspiegelten.
Zwischen 1914 und 1929 verzehnfachte sich in der Schweiz die Anzahl gemeldeter Personenwagen, die Anzahl Motorräder verachtfachte sich, und die Zahl der Busse und LKWs versiebzehnfachte sich in nur 15 Jahren. Die Bevölkerungzahl blieb im gleichen Zeitraum hingegen praktisch unverändert.
Das Strassennetz war diesen innert Kürze gestiegenen Belastungen nicht mehr gewachsen. Motorfahrzeuge, Fahrräder, Kutschen und Fussgänger buhlten gleichermassen um ihren Platz auf den engen, ursprünglich für Fuhrwerke ausgelegten Strassen. Eine Modernisierung und Erweiterung des Strassennetzes war zwingend notwendig und unausweichlich.
Um herauszufinden, wie stark die einzelnen Strassen vom Verkehr betroffen waren und welche Strassen als Erstes ausgebaut werden mussten, führten die Kantone und später der Bund Verkehrszählungen durch. Da der Strassenbau eine sehr teure Angelegenheit war, wurde bereits 1928 zum ersten Mal ein solches schweizweit normiertes Quantifizierungsprojekt in Form von Verkehrszählungen lanciert.
Die archivierten Erhebungsprotokolle und die ermittelten Daten der Verkehrszählungen dienen in dieser Arbeit als Hauptquellen, denn neben den Fahrzeugen wurden in diesen Dokumenten auch die Einflüsse von Witterung oder Tages- und Jahreszeit festgehalten. Diese Daten bieten viel Potenzial, um das Verkehrsverhalten und die Mobilitätsdynamiken in der Schweiz der Zwischenkriegszeit zu ergründen und zu rekonstruieren. Daher interessiert nicht primär der Strassenbau – der ursprüngliche Sinn und Zweck der Verkehrszählungen – sondern das Mobilitätsverhalten und die Mobilitätsdynamiken in Berufs-, Freizeit- und Fremdenverkehr sowie deren Wechselwirkungen mit der sozioökonomischen Situation zur Zeit der Weltwirtschaftskrise der 1920er/1930er Jahren. Die Situation wurde einerseits auf nationaler und andererseits mit einer Luzerner Fallstudie auf kantonaler Ebene untersucht.
Aus der Untersuchung geht hervor, dass sich das Verkehrsaufkommen trotz wirtschaftlicher Krisenjahre zwischen 1928 und 1937 in den meisten Kantonen um mehr als 70% steigerte, und sich in einigen sogar verdoppelte. Der Bestand der Personenautos in der Schweiz wuchs in dieser Zeit von rund 55'000 auf rund 70’000 Fahrzeuge. Auch der Bestand der Fahrräder stieg zwischen 1928 und 1937 von ca. 742’000 auf mehr als eine Million an. Diese Zahlen zeigen, dass sich die Motorisierung steigerte, für die grosse Mehrheit aber nach wie vor das Fahrrad das Individualverkehrsmittel war.
Die in den Verkehrszählungen erfassten Fahrräder waren im Modal Split von 1928 und 1937 die grösste Gruppe mit einem Anteil von 47-48% am schweizerischen Gesamtverkehr, gefolgt von den Personenautos, welche einen Anteil von 34- 36% hatten. Der Anteil des Lastwagenverkehrs am Modal Split machte etwa 9-10%, die Motorräder 6-8% und die Autobusse rund 1% des Modal Splits aus.
Das Verkehrsaufkommen war in urban geprägten Kantonen grösser. Stark motorisiert und mobil waren das Mittelland und die Romandie, insbesondere der Kanton Genf.
Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf den Verkehr spiegelte sich im rückläufigen Bestand der Motorräder. Das Motorrad war damals das motorisierte Individualverkehrsmittel der unteren Mittelschicht, welche wiederum am stärksten von der Wirtschaftskrise betroffen war. Das Motorrad wurde von seinen Besitzern sowohl als Freizeitals auch als Berufsverkehrsmittel eingesetzt. Das Auto war, wie die Strassendaten zeigen, von der Krise nicht sonderlich betroffen, leisten konnten es sich aber nur finanziell Bessergestellte. Hinzu kam die Einführung eines sehr hohen Benzinzolls, was den motorisierten Verkehr teurer machte.
Der Freizeitverkehr in der Zwischenkriegszeit war trotz Wirtschaftskrise ausgeprägt, da an den Wochenenden oft mehr Fahrzeuge als unter der Woche gezählt wurden. Dabei trug jedoch das im Betrieb günstige Fahrrad immer noch die Hauptlast sowohl im Berufs- als auch im Freizeitverkehr. Der ausgeprägte Einsatz des Fahrrads im Winter zeigt zudem auch, dass der Öffentliche Verkehr auf Grund der hohen Fahrkartenpreise nicht für jedermann erschwinglich war und das Fahrrad für den Berufsverkehr eine sehr wichtige Rolle spielte. Die motorisierte Mobilität in der Schweiz stieg zwar in der Zwischenkriegszeit an, war aber immer noch eine teure Angelegenheit. Die Weltwirtschaftskrise mag zwar auf den motorisierten Individualverkehr in der Schweiz „entschleunigend“ gewirkt haben, hat aber, mit Ausnahme des Motorrads, sein Wachstum nicht massgeblich gehindert.