Der Drang, Frankreich über seine Grenzen hinaus zu vergrössern, bestand schon zur Zeit der Entdeckung Amerikas. Das Erste Französische Kolonialreich umfasste Gebiete in Nordamerika, der Karibik, in Afrika und Asien. Das Reich zerfiel im 18. Jahrhundert. Nach der Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg von 1871, verschoben sich die Machtverhältnisse zu Ungunsten Frankreichs. Stagnierende Bevölkerungszahlen in der Grande Nation und die schnell voranschreitende Industrialisierung in Deutschland bereiteten den Politikern in Frankreich Sorgen. Jules Ferry setztesichabden1880erJahrenfürdieSchaffung des Zweiten Französischen Kolonialreiches ein. Dazu hatte er die Unterstützung einer kleinen, aber einflussreichen kolonialen Lobby. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde ein Kolonialreich geschaffen, das in seiner Grösse nur vom British Empire übertroffen wurde. Die Kolonisierung wurde in Form einer mission civilisatrice als Pflicht der französischen Nation betrachtet. Die Erfüllung der Mission sollte der international geschwächten Nation neues Prestige geben. Allerdings verlangsamte sich die Expansion bereits um
1900 und der Fokus der Gesetzgeber verschob sich dahingehend, dass die Kolonien wirtschaftlich nutzbar gemacht werden sollten. Im Jahr 1922 gelang es einer Gruppe von Franzosen, die Sahara erstmals mit speziell geländefähigen Automobilen der Marke Citroën, den autochenilles, zu durchfahren. Dieser Erfolg hatte sowohl praktischen Nutzen wie auch symbolische Bedeutung. Zum einen konnte endlich eine Verbindung zwischen den Kolonien Nord- und Westafrikas hergestellt werden, zum anderen bewies die Raid Citroën, dass Frankreich in der Lage war, mit moderner Technologie die natürlichen Hindernisse zu überwinden. Zwei Jahre später wurde erneut eine Expedition von Citroën organisiert und vom Kolonialministerium, der Société de Géographie, dem Unterstaatssekretariat für Luftfahrt und dem Muséum d’Histoire Naturelle unterstützt. Die Mission Citroën Centre-Afrique führte acht autochenilles über acht Monate von Algerien bis Madagaskar.
Die Expedition wurde umfassend dokumentiert und vom faszinierten Publikum in Europa verfolgt. Die rund 3800 Fotos, die während der Expedition entstanden, wurden in elf Fotoalben abgelegt und dienen als Hauptquelle der Arbeit. An ihnen wird untersucht, wie die Menschen in den Kolonien, die Kolonist:innen, die Natur und die Autos der Marke Citroën fotografisch dargestellt wurden. Die seriell-ikonografische Analyse liefert dabei Erkenntnisse zum Blick der Veranstalter auf den afrikanischen Kontinent. Die Resultate der Analyse geben Aufschluss darüber, welche Bilder von den Kolonien ins Heimatland transportiert wurden und welche Effekte man sich davon erhoffte.
Zur Analyse wird die Reise in Etappen unterteilt. Dabei lassen sich unterschiedliche Schwerpunkte in der Art und Menge der dargestellten Sujets feststellen. Auf den ersten Etappen der Reise – in Algerien und durch die Sahara – standen die Marke Citroën und das touristische Potential der Region im Vordergrund. Citroën erhoffte sich, mit dem Betrieb einer regelmässigen Busverbindung durch die Sahara und einer Kette an luxuriösen Hotels an der Strecke vom touristischen Aufschwung zu profitieren. Je mehr sich die Mission in Richtung des Tschad-Sees bewegte, desto evidenter wurde die Abwesenheit französischer Infrastruktur und desto stärker wurde die Wichtigkeit der mission civilisatrice betont. Aufnahmen von „unzivilisierten“ Völkern und der prekären medizinischen Versorgung sollten die Menschen in Frankreich davon überzeugen, dass die Kolonialmacht einen wichtigen und ehrenvollen Auftrag zu erfüllen habe. Bei der Darstellung der Menschen aus den afrikanischen Kolonien wurde die „Andersartigkeit“ grösstmöglich hervorgehoben. Insbesondere anhand der Dokumentation der Expedition durch Belgisch-Kongo wird deutlich, dass sich die Europäer:innen gegenüber der lokalen Bevölkerung in einer überlegenen Position wahrnahmen.
Die Bilder der Expedition transportierten das Bild der eigenen kulturellen Überlegenheit nach Europa, indem die Menschen in den afrikanischen Kolonien als möglichst „fremd“ dargestellt wurden. Dabei bediente man sich gängiger Klischees und festigte diese. In der Dokumentation wird ersichtlich, dass die Expedition in zahlreichen Fällen auf die Hilfe der lokalen Bevölkerung angewiesen war. Die Hilfestellungen finden aber keine Erwähnung. Das Bild der „heldenhaften“ Franzosen in ihren modernen, französischen Autos setzte sich durch.
Die Mission Citroën Centre-Afrique war für Citroën eine hervorragende Werbemöglichkeit mit grosser Reichweite. Auch wenn sich die Abschöpfung des touristischen Potentials nicht erfüllte und die Verkäufe der autochenilles in bescheidenem Rahmen blieben, sind die Expedition und die produzierten Bilder bis heute in Erinnerung geblieben. Die Vermittlung der Wichtigkeit der mission civilisatrice brachte aber keinen bleibenden Nachhall.