Konfessionalismus im Irak. Eine Untersuchung zur Funktionalisierung konfessioneller Zugehörigkeit am Beispiel des schiitischem Islamismus im Irak, 1957-2010

AutorIn Name
Christian
Wyler
Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christian
Gerlach
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2012/2013
Abstract
Der schiitische Islamismus im Irak ist seit seiner Entstehung durch die Frage nach seiner konfessionellen Ausrichtung geprägt. Während sich bisherige Untersuchungen diesem Thema durch die Betrachtung der ideologischen Ausrichtung der Bewegung anzunähern versuchten, fragt diese Arbeit nach der Funktion, welche die Bezüge zur konfessionellen Zugehörigkeit für die Akteure erfüllen. Zur Beantwortung dieser Fragestellung werden Quellen verschiedener Exponenten aus verschiedenen Phasen und Ausprägungen des schiitischen Islamismus‘ im Irak (Muhammad Baqir al-Sadr, Muqtada al-Sadr und die Da‘wa-Partei) verglichen. Untersucht werden dabei konfessionelle Legitimationsstrategien sowie konfessionell abgestützte Konstruktionen von Identität und Alterität. Die detaillierten Quellenstudien werden durch die Betrachtung der wissenschaftlichen Literatur zum schiitischen Islamismus im Irak ergänzt. Durch diese Kombination von Quellenstudium und Auswertung der wissenschaftlichen Literatur wird der schwierigen Literaturund Quellenlage Rechnung getragen. Die Beschäftigung in der medialen wie der wissenschaftlichen Öffentlichkeit mit dem Irak wird durch die Einteilung der irakischen Bevölkerung entlang ethno-konfessioneller Grenzen bestimmt, die irakische Geschichte oft als Kampf zwischen Schiiten und Sunniten dargestellt. Der in dieser Arbeit gewählte Zugang erlaubt es, die vorherrschenden Bilder kollektiver Identitäten, welche die jeweiligen Akteure determinierten, kritisch zu hinterfragen. Die Beschäftigung mit der Nutzung konfessioneller Zugehörigkeit ersetzt den dominanten, an konfessionellen Konflikten orientierten Analyseansatz durch die Frage, wie eine konfessionelle Ausrichtung entsteht und welche Funktion sie für die jeweiligen Akteure erfüllt. Dadurch hat sich gezeigt, dass im schiitischen Islamismus weder eine konstante anti-sunnitische Ausrichtung festzustellen ist, noch von einem geschlossenen schiitischen Bevölkerungsblock gesprochen werden kann. Stattdessen erfüllt der Bezug auf die konfessionelle Zugehörigkeit jeweils unterschiedliche Funktionen. Die Arbeit kommt zum Schluss, dass es im irakischen schiitischen Islamismus aktive und passive Funktionalisierungen konfessioneller Zugehörigkeit gibt, woraus ein aktiver und ein passiver Konfessionalismus entsteht. Passiver Konfessionalismus strebt keine Konfessionalisierung an, stützt sich aber auf konfessionelle Strukturen. Er gründet im Falle des schiitischen Islamismus in der Integration der Bewegung in die Hierarchie der traditionellen schiitischen Geistlichkeit. Diese Unterordnung ist der zentralen Funktion der religiösen Gelehrten im schiitischen Islam geschuldet. Dem schiitischen Islamismus gelang es in der Folge trotz pan-islamischer Ideologie nicht, seine konfessionelle Prägung zu überwinden. Zentrale Exponenten des schiitischen Islamismus‘ waren zudem selber Geistliche, deren Legitimation sich auf die Autorität der Geistlichkeit stützte und so die konfessionelle Ausrichtung der Bewegung weiter festigte. Passiver Konfessionalismus findet sich im schiitischen Islamismus seit seiner Entstehung und stellt eine Konstante zwischen der frühen Da‘wa um Muhammad Baqir al-Sadr und den Sadristen des post-ba‘thistischen Iraks dar. Der aktive Konfessionalismus ist eine jüngere Erscheinung und stützt sich in seinen Legitimationsstrategien und der Konstruktion von Identität und Alterität explizit auf konfessionelle Zugehörigkeiten. Er entwickelte sich in der Folge der Exilierung grosser Teile der Daʿwa seit den 1980er Jahren; belegen lässt er sich seit der Zusammenarbeit der schiitisch-islamistischen Opposition mit der US-amerikanischen Regierung. Als eine Koalition unter amerikanischer Führung 2003 das Baʿth-Regime stürzte, wurde die im Anschluss eingesetzte Regierung vornehmlich aus den Exilparteien und nach konfessionellen Auswahlkriterien gebildet. Die Daʿwa etablierte sich in diesem neuen System und nahm in den Folgejahren eine dominierende Rolle in der irakischen Regierung ein. Sie gründete ihren Machtanspruch auf den Mehrheitsstatus der Schiiten im Irak, welche sie zu vertreten beanspruchte. Somit generierte die Daʿwa ihre politische Legitimation über die Betonung der konfessionellen Zugehörigkeit. Als Konsequenz entstand daraus eine Gleichstellung konfessioneller und ethnischer Trennlinien und dadurch eine „Ethnisierung“ der konfessionellen Zugehörigkeit.

Zugang zur Arbeit

Bibliothek

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