Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Rainer C.
Schwinges
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2015/2016
Abstract
Mit der Eroberung des Aargaus durch die Eidgenossen im Jahre 1415 verloren die Habsburger nicht nur wichtige Gebiete, sondern mit ihrem Archiv auch das Gedächtnis der Vorlande. Die Schriftstücke, bekannt unter dem „Habsburger Archiv“, wurden von den Eidgenossen von der Burg Stein in Baden nach Luzern gebracht, wo sie im Wasserturm eingelagert wurden. Die Wegnahme und der Verbleib des Archivs prägten das Verhältnis zwischen den Eidgenossen und den Habsburgern für die nächsten rund 60 Jahre bis zum Abschluss der Ewigen Richtung 1474. Damals wurde unter anderem beschlossen, das habsburgische Schriftgut seinen ursprünglichen Besitzern zurückzugeben, jedoch unter gewissen Vorbehalten. Sämtliche Urkunden, welche die eroberten Gebiete betrafen, sollten bei den Eidgenossen verbleiben.
In der Arbeit sollte nun geklärt werden, welche Urkunden aus dem Archiv nicht mehr nach Österreich zurückfanden. Die Quellengrundlage bilden dabei das Inventar des Archivs aus Baden sowie die vier im Zuge der Rückgaben angefertigten Urkundenverzeichnisse. Um die nicht retournierten Schriftstücke identi zieren zu können, wurden die Einträge im Badener Archivinventar mit jenen in den Rückgabeverzeichnissen verglichen.
Das Inventar aus Baden wurde in den Jahren 1384/85 unter Herzog Leopold III. angefertigt, und zwar unter der Zuhilfenahme von sogenannten Dorsualnotizen. Es wurde also eine Zusammenfassung des Inhalts auf der Rückseite der Urkunden vermerkt, welche zugleich den Eintrag im Inventar bildete. Ebenfalls wurde eine Archivordnung angelegt. Zusammengehörende Urkunden bildeten eine Abteilung, eine sogenannte Lade. Da laufend Urkunden im Archiv aufgenommen wurden, musste auch das Inventar entsprechend angepasst werden. Das bisher als ältestes bekanntes Rückgabeinventar bezeichnete Schriftstück ist ein Verzeichnis aus dem Jahr 1477, welches 37 Urkundenregesten enthält. Angefertigt wurde es vom Luzerner Melchior Russ. Er war es auch, der die 37 Urkunden zurückbrachte. Das zweite Rückgabeinventar entstand nach Juli 1478 und listet 224 Urkunden auf, die schon im Juli 1476 zurückgegeben worden waren. Geschrieben wurde es vom herzoglichen Hofmarschall Hiltprand Rasp. Das dritte Rückgabeverzeichnis ist datiert auf den 20. März 1480. Es verzeichnet Urkunden, die von den Eidgenossen nach einer Intervention von habsburgischer Seite bei der Tagsatzung im Juli 1478 herausgegeben wurden. Das vierte Rückgabeverzeichnis listet endlich eine grosse Menge an Urkunden auf, nämlich 1’397 Stück, unterteilt in 39 Rubriken. Auf dem Titelblatt ist nebst der Aufschrift „Brief zu Lucern“ die Jahreszahl 1470 vermerkt, ebenso der Ort Innsbruck. Die betreffende Schrift stammt aber, wie in der Arbeit nachgewiesen werden konnte, aus dem frühen 16. Jahrhundert.
Um die zurückbehaltenen Urkunden zu identi zieren wurden 232 Einträge aus drei verschiedenen Rubriken aus dem „Brief zu Lucern“ herangezogen. Nur gerade 101 Einträge konnten sicher im Badener Archivinventar identi ziert werden. Für 31 Regesten gibt es eine mögliche Übereinstimmung, eine sichere Zuordnung kann aber nicht erfolgen, da es mehrere Regesten mit ähnlichem Inhalt gibt. Bei 100 Einträgen konnte keine Übereinstimmung im Badener Inventar gefunden werden. Alleine durch den Vergleich der Inventare kann also nicht geklärt werden, welche Urkunden wirklich bei den Eidgenossen verblieben. Hingegen liefert der Vergleich wichtige Erkenntnisse über die Umstände der Anfertigung des „Brief zu Lucern“ und damit auch über den Ablauf der Urkundenrückgaben. Die These, wonach der „Brief von Lucern“ ein von den Eidgenossen 1470 in Luzern angefertigtes Verzeichnis sei, ist nicht zutreffend. Die Eidgenossen hätten in diesem Fall das ganze Archiv neu ordnen müssen und hätten so die Arbeit für die Österreicher gemacht, selbst aber keinen Nutzen daraus gezogen. Ausserdem war 1470 noch nicht sicher, ob das Archiv überhaupt zurückgegeben werden sollte. Das Verzeichnis muss also de nitiv nach Abschluss der Ewigen Richtung 1474 angefertigt worden sein. Da im Rückgabeverzeichnis von 1478 zudem noch nahezu die gleiche Ordnung wie im Badener Inventar vorliegt, kann es bis dahin keine Neuordnung in Luzern gegeben haben. Werden die Inventare von 1477 und 1478 hingegen mit dem „Brief zu Lucern“ verglichen, stellt sich heraus, dass es kaum Übereinstimmungen gibt. Das führt unweigerlich zur These, dass der „Brief zu Lucern“ in Österreich angefertigt wurde, und zwar als Eingangskontrolle für die wiedergewonnenen Urkunden. Das erklärt die Neuordnung und auch das Fehlen der Einträge aus den Inventaren von 1477 und 1478. Diese stellen nämlich nicht – wie bislang angenommen – den Beginn der Rückgaben dar, sondern erste Nachlieferungen. Da die dort eingetragenen Dokumente noch gar nicht in Österreich waren, wurden sie im „Brief zu Lucern“ auch nicht verzeichnet.
Publikation: Carmen Tellenbach, Das Habsburger Archiv nach seinen Inventaren, in: Eroberung und Inbesitznahme. Die Eroberung des Aargaus im europäischen Vergleich, hg. von Christian Hesse/ Regula Schmid/Roland Gerber/, Ost ldern 2017, S. 237–247.