Globale katholische Mission wurde sowohl von den Zeitgenossen als auch in der älteren Forschung oft als organisierte Unternehmung und Erfolgsgeschichte dargestellt. Die Position der Missionare wurde dabei diskursiv klar festgehalten: Es bestanden Abneigungen und Abgrenzungen gegenüber konkurrierenden Missionsunternehmungen und vor allem gegenüber andersreligiösen Subjekten. Weiter wurden Konkurrenzen protonationalen Charakters konstruiert. Dagegen versuchte die Kurie entgegen der polyzentrischen Struktur des frühneuzeitlichen globalen Katholizismus Einheit unter ihrer eigenen Hoheit diskursiv zu inszenieren.
Diese Meistererzählungen sind Thema der vorliegenden Arbeit, die in Anlehnung an die Forschungsrichtungen der microstoria und der global microhistory die Missionarsreise von Jean-Ponce Louis und Etienne Méyère von Paris nach Tonkin in den Blick nimmt. Louis und Méyère waren Mitglieder der Pariser Missionsgesellschaft Missions Étrangères de Paris (MEP). Ihre Reise nach Südostasien wird vor dem Hintergrund des Österreichischen Erbfolgekrieges sowie der dadurch verschärften kolonialen Spannungen in Asien zwischen der französischen und der englischen Ostindiengesellschaft und der diese unterstützenden Höfe untersucht. Indem sie die Organisation der Reise, die Beziehungen, welche die beiden Missionare unterwegs nutzten, sowie die Verhältnisse, unter denen diese reisten, betrachtet, leuchtet die vorliegende Masterarbeit das Spannungsfeld zwischen sozialer Norm und persönlichen Handlungsspielräumen aus. Damit leistet sie auch einen Beitrag zur Erforschung der Bedingungen und Möglichkeiten globalen Reisens im 18. Jahrhundert.
Aufgrund der politischen Situation mussten Jean-Ponce Louis und Etienne Méyère bereits in Cádiz den Verlauf ihrer Reise verändern. Da ihnen die Reise auf einem Schiff der schwedischen Ostindienkompanie um das Kap der Guten Hoffnung verwehrt blieb, reisten sie – ebenfalls auf schwedischen Schiffen – über Italien und Ägypten nach Aleppo, von dort mit einer Karawane auf dem Landweg und auf Flussschiffen nach Basra und schliesslich mit einem Schiff der VOC nach Indien. Dort trennten sich die Wege von Louis und Méyère. Während Louis auf einem Schiff der East India Company direkt via Malakka nach Macao reiste, führte Méyères Weg zunächst nach Siam. Auch er reiste dann jedoch nach Macao, um – wie Louis zuvor – von dort aus nach Tonkin zu gelangen.
Unterwegs organisierten die beiden Missionare ihre Reise ad hoc über Kontaktpersonen mit unterschiedlichem religiösen und protonationalen Hintergrund. Auf religiöser Ebene sind neben Katholiken Juden, Protestanten, Ostchristen und Angehörige verschiedener asiatischer Religionen zu nennen, auf protonationaler Ebene neben Franzosen zum Beispiel Schweden, Engländer, Niederländer und Italiener. Mit Blick auf die verschiedenen Institutionen innerhalb des Katholizismus sind Angehörige kirchlicher Orden (inbesondere unbeschuhte Karmeliten, Kapuziner und Jesuiten) sowie Weltgeistliche der MEP und aus dem Umfeld der römischen Kurie zu nennen.
Bei der Auswertung mit Blick auf die übergeordnete Frage konnte Folgendes festgestellt werden. Die genannten Meistererzählungen sind allesamt zumindest zu relativieren. Mit Blick auf die Beschreibung der Mission als wohlorganisierter Unternehmung und Erfolgsgeschichte kann konstatiert werden, dass äussere Einflüsse eine Reise wesentlich beeinflussten und die Missionare das Vorankommen bereits in Europa situativ organisieren mussten. Ebenso greifen Meisterzählungen, welche die Bedeutung protonationaler oder religiöser Zugehörigkeiten sowie die absolute Konkurrenz zwischen verschiedenen Missionsunternehmungen voraussetzen, entschieden zu kurz. Zwar kann die Existenz solcher Spannungen nicht negiert werden, allerdings ordneten die Missionare diese der praktischen Notwendigkeit, auf ihrer Reise voranzukommen, unter. So schliefen sie z. B. bei Kapuzinern, liessen sich von einem Juden Empfehlungsschreiben ausstellen oder reisten auf einem Schiff der protestantischen englischen East India Company. Zur Kurie pflegten die beiden Missionare trotz sichtbarer Spannungspotentiale in diesem Fall ein ungestörtes Verhältnis.
Abschliessend kann festgehalten werden, dass globale Mobilität im 18. Jahrhundert von Ereignissen und Bedingungen geprägt war, welche die Akteure zur Flexibilität zwangen. Im vorliegenden Fall waren diese zu solcher Flexibilität bereit. Mit Blick auf die Beziehungen mit Personen unterschiedlicher Konfession und Religion legten Louis und Méyère trotz vielfach greifbarer Spannungen eine beachtliche Ambiguitätstoleranz an den Tag. Daneben konnte festgestellt werden, dass die Welt im 18. Jahrhundert bereits so integriert war, dass die beiden Missionare die Möglichkeit hatten, z. B. mit Blick auf die Route verschiedene Alternativen zu nutzen.