"Gewerkschaftlich erkämpfter Urlaubsplatz..." Das Urlaubswesen in der DDR - Ein Teil der staatlichen Sozialpolitik

AutorIn Name
Patrick
Benoit
Art der Arbeit
Lizentiatsarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Judit
Garamvölgyi
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
1996/1997
Abstract

Während der Zeit der Massenfluchtbewegung aus der DDR nach der BRD in den Sommermonaten des Jahres 1989, als die Grenzen der DDR zum westlichen Ausland noch geschlossen waren, wurde von den Ausreisewilligen oftmals die fehlende „Reisefreiheit" als ein wichtiger Grund für die Flucht aus der Heimat angegeben. Ungehindertes, ,.grenzenloses" Reisen stand somit auch für den Wunsch nach Freiheit, Abwechslung und Inspiration und gleichzeitig wurde mit diesen Forderungen manifest, welch hohen Stellenwert Reisen und Urlaub im Leben vieler DDR-Bürger einnahmen. Innerhalb des Ostblocks wenigstens nahm die DDR in Bezug auf die unternommenen Urlaubsreisen den ersten Rang ein. Trotz einer hohen Urlaubsquote (1987 verreisten ca. 60% der erwachsenen Bevölkerung einmal jährlich) gilt es zu bedenken, dass Reisen und Ferien in der DDR unter ganz anderen Rahmenbedingungen stattfanden, als wir sie von unserer westlichen Tourismus-Kultur her kennen. So ist zwar allgemein bekannt, dass der SED-Staat Fahrten ins westliche Ausland strengstens untersagte - abgeshen von einigen ausgewählten „Reise-Kadern" - und dadurch den DDR-Bürgern für ihre Urlaubsplanung nur das eigene Land und die sozialistischen Bruderstaaten zur Auswahl standen. Dass jedoch beinahe das gesamte Urlaubswesen, genauso wie alle anderen Wirtschaftszweige in der DDR, vom Staate geplant, reglementiert und durchgeführt worden war, ist in der westlichen Welt eine nur wenig bekannte Tatsache. So fand das Thema des Tourismus in der aktuellen DDR-Forschung bis zum heutigen Zeitpunkt kaum wissenschaftlich-publizistische Beachtung. Zwar beschäftigten sich seit der Öffnung der Archive Historiker und Sozialwissenschaftler mit den unterschiedlichsten sozial-, mentalitäts- und alltagsgeschichtlichen Fragestellungen der DDR-Geschichte, der Bereich des Urlaubs und Reisens jedoch wurde im besten Falle nur kurz angesprochen, nie aber zum Untersuchungsgegenstand selbst gemacht.

 

Ausgehend von der in der aktuellen DDR-Historikerdebatte, kontrovers diskutierten Frage, ob die diktatorische Herrschaft von Partei und Staat die DDR-Gesellschaft in allen Lebensbereichen „total" bestimmte oder nicht, wird in der lizentiatsarbeit der Themenkreis des „Reisens und Urlaubs" als wichtiger Aspekt des gesellschaftlichen Lebens und Alltags der DDR-Bürger unter eben dieser Fragestellung ausführlich betrachtet. Da nach offiziellem Verständnis im Staatssozialismus der DDR der Bereich des Tourismus dem Gebiete der Sozialpolitik zugerechnet wurde, ergibt sich ein zweiter wichtiger Fragen komplex, der sich mit der Herstellung von Legitimation durch Sozialpolitik in der DDR beschäftigt. Der ourismus, als zentraler Teilaspekt der DDR-Sozialpolitik, übernimmt dabei die Rolle eines Fallbeispiels.

 

Bei der "Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv"' (Berlin) konnte ich einen beinahe idealen und bisher kaum konsultierten Quellenbestand zur Tätigkeit des FDGB-Feriendienstes wie auch der einschlägigen Beschlüsse des ZK der SED aufarbeiten. In der Studienbibliothek zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Zürich fand ich ergänzend eine Fülle an gegenstandsbezogenen Publikationen und Periodika. Drei ausführliche Oral-History-lnterviews schliesslich vermitteln einen illustrativen Einblick in die Erfahrungen der Menschen mit dem touristischen Alltag in der DDR.

 

Die Untersuchung selbst gliedert sich in drei Hauptteile. Der erste Teil ist dem FDGB (der Einheitsgewerkschaft der DDR) und seinen Funktionen im Rahmen der staatlichen Sozialpolitik gewidmet, der zweite Teil befasst sich mit dem FDGB-Feriendienst, und der dritte Teil schliesslich wirft einen Blick auf die Möglichkeiten alternativer Feriengestaltung, in erster Linie auf den Camping-Tourismus.

 

In der noch jungen DDR begann der FDGB im Auftrag der SED mit dem Aufbau eines gewerkschaftlich organisierten Tourismus, in welchem sich die ideologischen Grundgedanken des neuen gesellschaftlichen Systems des Sozialismus wiederfinden sollten. So entstand 1947 der Feriendienst der Gewerkschaften, der einen breiten Sozialtourismus schaffen sollte. In der Anfangsphase kamen jedoch nur relativ wenige Arbeiter in den Genuss dieser äusserst preisgünstigen Erholungsmöglichkeiten, und die Vergabe der Urlaubsreisen diente nicht zuletzt der ideologischen Indoktrination. Unter dem Einsatz von hohen Subventionen errichtete der Feriendienst in der Folge ein ansehnliches Netz von Ferienheimen und anderen Erholungseinrichtungen und steigerte fortlaufend dessen Kapazitäten, nicht zuletzt auch immer mehr durch den Einbezug der quantitativ bedeutenderen betrieblichen Erholungseinrichtungen. Der massive Ausbau des Erholungswesens erfolgte nach entsprechenden Partei- und Gewerkschaftsbeschlüssen seit 1972: so konnten 1985 5 Mio. DDR-Bürger von einer gewerkschaftlich vermittelten Erholungsmöglichkeit Gebrauch machen (bei 9,4 Mio. FDGB-Mitgliedern). Die gewerkschaftlichen Reisegutscheine waren bis zu zwei Dritteln subventioniert und ermöglichten den Mitglidern somit ausserordentlich günstigen Urlaub, wenn auch nicht immer am gewünschten Ort und zur gewünschten Zeit. Dennoch gelang es der SED und dem FDGB, mit der Institution des Feriendienstes der Gewerkschaften eine funktionierende Form von Sozialtourismus zu schaffen, welche in der Bevölkerung auch dementsprechend als „soziale Errungenschatr· anerkannt und gewürdigt wurde. Der FDGB gewann aus diesem Angebot seine wichtigste Legitimation und auch für die SED wurde die Sozialpolitik - und damit auch das Erholungswesen - ab den 70er Jahren immer mehr zur zentralen Legitimationsbasis ihrer Herrschaft. Trotz des beschleunigten Kapazitätsausbaus vermochte das Angebot des Feriendienstes der Nachfrage in keiner Weise zu genügen und auch der Qualitätsstandard liess in vielen Bereichen zu wünschen übrig. Die legitimatorische Leistung des Feriendienstes gilt es deshalb nicht zu überschätzen, denn einerseits sind die Ansprüche der Bevölkerung stets schneller gewachsen als das Angebot und andererseits wurde die Anerkennung der "sozialen Errungenschaften" keineswegs automatisch auf das gesamte politische System übertragen. Die verstärkte Nutzung der Sozialpolitik als Legitimationsersatz barg zudem die Gefahr in sich, dass Erwartungshaltungen und Anspruchsniveaus geschaffen wurden, welche bei ausbleibendem Erfolg als Angriffsflächen für Kritik gegenüber dem Regime benutzt werden konnten. So geschehen bei dem Tourismus-Angebot des FDGB. Ebenfalls gilt es in diesem Zusammenhang den ökonomischen Aspekt zu beachten: Die enormen staatlichen Subventionen, die in das gewerkschaftliche Urlaubswesen flossen, waren einer der Mosaiksteine, die den wirtschaftlichen Kollaps der DDR mitverursacht haben 

 

Das Scheitern des staatlich-gewerkschaftlichen Monopolanspruchs auf das Ferienwesen ist jedoch nicht nur auf das ungenügende Angebot zurückzuführen, vielmehr zeigte sich in dem seit Ende der 60er Jahren stark anwachsenden Campingtourismus der Wunsch nach individueller Ferien- und Freizeitgestaltung. Mit dem Campingtourismus entwickelte sich in der DDR einer dieser Lebensbereiche, bei welchem die staatlich-parteiliche Durchdringung auf Grenzen stiess. Das Urlaubswesen der DDR zeigt somit, dass der Anspruch der SED, alle gesellschaftlichen Bereiche mit ihrer Herrschaft zu durchdringen, letztlich eine „Fiktion" blieb.

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