Verfassung und politische Kultur eines bäuerlichen Verbandes sind Gegenstand der vorzustellenden Arbeit. Das auf halbem Weg zwischen den Reichsstädten Isny und Wangen liegende Dorf Eglofs und die dazugehörigen, im oberen Allgäu siedelnden „Eglofser Freien“ sind der Historiographie seit über 150 Jahren bekannt. Interpretiert wurde der Personenverband zunächst als „Gemeinfreie“ (Franz Ludwig Baumann), sodann als „Rodungs-“ respektive „Königsfreie“ (Karl Weller, Theodor Mayer, Heinrich Dannenbauer), schliesslich als spätmittelalterliche „Republik“ (Peter Blickle). Stand von Baumann bis Dannenbauer die Besonderheit der Eglofser als reichsunmittelbare, freie Bauern im Zentrum und sollte deshalb im Rückgriff auf frühund hochmittelalterliche Gegebenheiten erklärt werden, rückte Blickle das in Eglofs zwar überscharf ausgeprägte kommunale Element, damit aber etwas in dieser Zeit und diesem Raum Allgemeines in den Mittelpunkt. Gemeinsam ist allen genannten Arbeiten, dass sie von der Einheit des Objekts „Eglofs“ respektive „Eglofser Freie“ ausgingen. Eine genauere Untersuchung zeigt jedoch, dass es sich bei „Eglofs“ und den „Eglofser Freien“ um zwei, wenn auch zusammengehörige Phänomene unterschiedlicher Provenienz und divergenter Geschichte handelt; zwei Teilverbände, die allerdings durch institutionelle Ver echtungen und Unterordnung unter einen gemeinsamen Herrn (eigentlich reichsunmittelbar, aber seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert war Eglofs durchgängig an wechselnde Herrschaftsträger verpfändet) ver ochten waren.
Einheit und Verschiedenheit der Objekte lassen sich institutionell greifen: Auf der einen Seite stand das spätmittelalterlich als „Herrschaft“ bezeichnete Eglofs, aus dem im 15. Jahrhundert ein kleines Territorium rund um das Dorf Eglofs respektive rund um die zur Eglofser Burg gehörige Grundherrschaft erwuchs. Personelles Substrat der Herrschaft waren in der Frühneuzeit leibeigene Untertanen, im Spätmittelalter die Eglofser Bürger und mit ihnen gleichberechtigte Genossen. Sie stellten das aus Ammann, vier Räten und acht Richtern gebildete Dinggericht. Frühneuzeitlich wurde die Herrschaft als „Grafschaft“ bezeichnet – eine Übertragung des Titels von der mittlerweile verschwundenen Grafschaft im Allgäu auf das Eglofser Territorium. Diese spätmittelalterliche, möglicherweise aber ins 9. Jahrhundert zurückreichende Grafschaft im Allgäu steht auf der anderen Seite: Ihr personelles Substrat waren die Freien im Allgäu respektive Eglofser Freien. Organisiert waren die Freien (kollektiv auch als „Freischaft“ oder „Freischaften“ bezeichnet) in zwei so genannten „Stürzen“, den oberen und den unteren. Beiden Stürzen standen je ein Schultheiss und je vier Vierer vor. Unter dem Vorsitz des Eglofser Ammanns und unter Mitwirkung der vier Eglofser Räte amtierten Schultheissen und Vierer als Freigericht.
Die Geschichte Eglofs’ ist zunächst eine bürgerlicher Emanzipation. Wohl im Zuge der Revindikationsmassnahmen König Rudolfs von Habsburg erhielten die Eglofser Bürger 1282 die Rechte der Lindauer Bürger, ohne dass eine Stadtgründung intendiert war. Bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts gelang es den Bürgern, ihr Gewicht innerhalb der Verfassung (z. B. durch das Recht jährlich den Ammann und zwei der Räte zu wählen) zu stärken und grundherrliche Befugnisse zurückzudrängen. Letztere spielten in der Folgezeit keine gewichtige Rolle mehr, doch schwächte der zwischen den 1450er und 1520er Jahren forciert ablaufende Territorialisierungsprozess im Allgäu die Stellung der Bürger in der Verfassung: Zwar nicht nur zum Nachteil der Eglofser gelang die Territorialisierung, sie glückte jedoch nur um den Preis der Nivellierung der Eglofser Bürger und Genossen zu leibeigenen Untertanen. Zwar behielten die Untertanen ihre starke Stellung im Gericht, sie mussten aber der Obrigkeit das Gesetzgebungsrecht und das Eigentum am Wald zugestehen und über ihre fixierte Pauschalsteuer hinaus die Reichssteuern der Pfandherrschaft mittragen helfen. Die so grundgelegte patrimoniale Verfassung wurde in den folgenden über 200 Jahren je nach Interessenlage der verschiedenen Obrigkeiten und gegen die erbitterte Gegenwehr der Eglofser ausgestaltet, bis in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts der verbleibende kommunalistisch-republikanische Gehalt der Verfassung
endgültig ausgetrieben war.
Anders die Eglofser Freien: Ihre Stellung als Freie war nicht kaiserlicher Privilegierung geschuldet. Zwar griffen auch sie auf kaiserliche Freiheiten zurück, um ihre Stellung zu sichern, doch gelang es nicht, diesen Personenverband zu territorialisieren. Die Territorialisierung des Allgäus liess sie seit dem 16. Jahrhundert als verstreut siedelnde Fremde in mehreren Territorien inmitten leibeigener Untertanen zurück. Schmerzhaft waren hauptsächlich drei Zugeständnisse der Freien an die sich formierenden Kleinstaaten: Im 15. Jahrhundert verlor die Freischaft weite Bereiche ihrer Gerichtsbarkeit an die jeweiligen Territorialherren; seit dem 16. Jahrhundert mussten sie einwilligen, im Falle einer Heirat mit Verbandsfremden möglicherweise ausgetauscht zu werden – Mann gegen Mann, Frau gegen Frau und Gut gegen Gut wechselten so die Zugehörigkeit, ohne dass die Standesdifferenz zwischen Freien und Leibeigenen noch berücksichtigt worden wäre; schliesslich mussten sie 1700 innerhalb des Eglofser Gesamtverbandes konzedieren, entgegen ihres Steuerprivilegs einen festen Teil der Kreissteuern zu übernehmen. Vor allem letzteres führte dazu, dass die Freien sich zunehmend von ihrem Verband abwandten.
Eglofs und die Eglofser Freien hatten im Spätmittelalter eine den Innerschweizer Länderorten vergleichbare Ausgangsbasis. Sie blieben allerdings isoliert, waren allein zu klein (im Spätmittelalter sind die Verbandsgrössen nicht schätzbar, im 16. Jahrhundert sind es je circa 200 Vollberechtigte) und im oberschwäbischen Raum auch unmittelbarerer herrschaftlicher Machtentfaltung ausgesetzt. Sie versuchten ihren Verband zwar zu stärken, gerieten aber spätestens seit dem 15. Jahrhundert durchgängig in die Defensive. Ausserdem wurden die Eglofser Bürger und die Eglofser Freien seit dem 15. Jahrhundert jeweils mit verschiedenen Problemen konfrontiert, was eine Kooperation der Teilverbände erschwerte, schliesslich gar verunmöglichte, weil Ende des 17. Jahrhunderts die Interessen von Untertanen und Freien in der Steuerfrage einander frontal entgegenstanden. Der Versuch, den Verband und seine Rechte gegen den Adel zu sichern, war während des gesamten Untersuchungszeitraums nur eine Option, nachweislich wählten die Eglofser seit dem Spätmittelalter auch einen anderen Weg, sistierten nämlich individuell die Verbandszugehörigkeit und begaben sich ins besser gesicherte Bürgerrecht einer Stadt. Im 18. Jahrhundert schliesslich resignierten beide Teilverbände angesichts der Übermacht dessen, was als „deutscher
Fürstenstaat“ bezeichnet werden kann, was nicht allein am nachlassenden Widerstand, sondern auch an der Wahrnehmung der und Mitarbeit in den Institutionen gemessen werden kann.