Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Heinrich Richard
Schmidt
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2013/2014
Abstract
Um den Bildungsstand der Bevölkerung in der Frühen Neuzeit zu messen, hat sich die Alphabetisierungsforschung auf die Auswertung von unterschiedlichen Quellenarten gestützt. Mittels Heiratsregistern und Hausvisitationsakten konnten dabei Aussagen zu den betreffenden Lese- und Schreibfähigkeiten seit dem 17. Jahrhundert gemacht werden. Die Untersuchungen haben jeweils versucht, Gründe für den unterschiedlichen Alphabetisierungsstand der einzelnen Regionen bzw. Länder zu machen. Begründet wurde die differenzierte Entwicklung mehrheitlich mit dem Stadt-Land-Gegensatz, konfessionellen Un- terschieden oder den ökonomischen Gegebenheiten. Für eine Analyse der schulischen Leistungen im 19. Jahrhundert betreffend Lese- und Schreib- fähigkeit eignen sich die pädagogischen Rekrutenprüfungen als Quelle. Im Unterschied zu den Heiratsregistern bzw. Haushaltsrödeln können anhand der pädagogischen Rekrutenprüfungen detaillierte Angaben auf der individuellen Ebene gewonnen werden. In der Schweiz wurden ab 1875 die eidgenössisch pädagogischen Rekrutenprüfungen als Teil der Aushebung der Wehrmannschaft eingeführt. Im Zuge der Verfassungsrevision von 1874 wurde den Kantonen auferlegt, für genügend Primarunterricht zu sorgen. Weil entsprechende Kontrollmechanismen seitens des Bundes nicht vorhanden waren, konnte mittels pädagogischer Rekrutenprüfung die schulische Bildung der Rekruten und somit die Leistungen der jeweiligen Kantone überprüft werden.
Die Masterarbeit erarbeitet die verschiedenen Faktoren, die sich auf die Erlernung der elementaren Kulturtechniken Lesen und Schreiben im 19. Jahrhundert ausgewirkt haben. Die pädagogischen Rekrutenprüfungen eignen sich dafür als Quelle, da sie einem standardisierten Verfahren folgten und die Vergabe der Noten nachvollziehbar ist, weil die entsprechenden Reglemente und Wegweisungen vorhanden sind. Eine Untersuchung der Rekruten aus dem Kanton Basel- Landschaft ist dahingehend von Interesse, weil sie im interkantonalen Vergleich im ausgehenden 19. Jahrhundert jeweils bloss mittelmässig abgeschnitten haben. Zudem ist das Schulwesen des Kantons Basel-Landschaft bisher grösstenteils unerforscht. In einem ersten Teil der Arbeit werden die fünf im Staatsarchiv Baselland vorhandenen pädagogischen Rekrutenprüfungen ausgewertet. Es handelt sich hierbei um die Erhebungsjahre 1875 bis 1877, 1882 und 1904. Bei der Auswertung wurde darauf geachtet, dass nur Rekruten in die Bewertung mit einbezogen wer- den, die ihre Primarschulbildung im Kanton Basel-Landschaft absolviert haben. Nach einer kantonalen Auswertung folgt die Analyse der vier Bezirke, um dadurch die Rekruten von zwei Gemeinden einer detaillierten Betrachtung zu unterziehen. Bei der Auswahl wurde darauf geachtet, dass es sich um Gemeinden handelt, deren Schüler besonders positiv bzw. negativ bei den pädagogischen Rekrutenprüfungen aufgefallen waren. Die Gemeinde Allschwil sticht bei der Analyse als negatives Beispiel hervor, im Gegensatz dazu überzeugten die Rekruten aus der Gemeinde Gelterkinden mit durchwegs positiven Leistungen. Aus diesem Grund werden in einem weiteren Schritt die beiden Beispielgemeinden auf deren wirtschaftliche, politische und soziale Eigenheiten während des 19. Jahrhunderts hin bearbeitet. Daraus lassen sich Einflussfaktoren der schulischen Leistung ableiten. Im Rahmen einer Masterarbeit ist eine Betrachtung aller Gemeinden des Kantons Basel-Landschaft nicht möglich, weshalb die Bewertung der Einflussfaktoren zu Trendaussagen führt. Durch die Betrachtung der Gegebenheiten in den Beispielgemeinden konnten unterschiedliche schulinterne wie auch externe Faktoren ermittelt werden.
Entgegen der Erwartungen waren die schulischen Leistungen der Rekruten aus der stadtnahen Gemeinde Allschwil im Vergleich zu den Rekruten aus Gelterkinden, geprägt von der Posamenterei, bedeutend schlechter. Die in der Forschung gängige Ansicht, dass sich die Nähe zur Stadt positiv auf die Erlernung der elementaren Kulturtechniken auswirkt, kann deshalb nicht oder nur teilweise geteilt werden. Es zeigt sich im Verlauf der Untersuchung, dass die wirtschaftliche Vrbundenheit Gelterkindens zur Stadt Basel einen durchaus grösseren Einfluss auf die schulische Leistungsfähigkeit der Gemeindemitglieder ausübte, als die geographische Stadtnähe von Allschwil. Letztere hatte wiederum Auswirkungen auf die Schulversäumnisse in der Gemeinde. Die Begründung hierfür ist in der beruflichen Tätigkeit zu suchen und in der Tatsache, dass Kinderarbeit in den aufkommenden Fabriken im 19. Jahrhundert keine Seltenheit war. In den Familien der Posamentergemeinde entwickelte sich früher ein Bewusstsein für den Wert der Bildung. Diese Ansicht schlug sich auch im Gemeindewesen von Gelterkinden nieder, wo im gesamten 19. Jahrhundert fortdauernde Bildungsbestrebungen festgestellt werden können. Die Opferbereitschaft der Gemeinde und die Bildungswertschätzung der Bevölkerung waren demnach entscheidende Einflussfaktoren der schulischen Bildung.