Das Eisenbahngesetz vom 23. Dezember 1872 hielt fest, dass die Bestrebungen zu fördern sind, im Osten, Zentrum und Westen der schweizerischen Alpen die Verkehrsverbindungen mit Italien und dem Mittelmeer zu verbessern. Heute besteht im Zentrum und im Westen der Schweiz eine Transitlinie nach Italien, im Osten aber fehlt sie. Dies erscheint insofern aufgrund der Tatsache erstaunlich, dass gerade im Osten, oder genauer gesagt, im Kanton Graubünden die ersten Pläne für eine Transitlinie durch die Alpen entstanden.
Bei den Bestrebungen um eine bündnerische Alpentransversale spielte die Splügenbahn eine herausragende Rolle. Die ersten Studien überhaupt begannen 1838 am Splügen. Ab 1845 bildete der Lukmanier das Ziel der Bemühungen. Vom Jahre 1853 an trat der Gotthard als zunehmend ernster Rivale des Lukmaniers auf. Die Auseinandersetzungen dauerten bis 1869, als der definitive Entscheid zugunsten des Gotthards fiel.
1869 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs stand beim Kanton Graubünden mit zwei zeitlichen Unterbrüchen beinahe ausschliesslich der Splügen im Vordergrund. Die ersten Anstrengungen stellten den Versuch dar, mit einem Sparprojekt die direkte Bahnverbindung in den Süden herzustellen. Zweimal schien die Finanzierung gesichert (1870 und 1872). Beide Male jedoch platzte diese durch unvorhersehbare Ereignisse. Die Realisierung dieser Pläne hätte den Bündnern jedoch nicht die erwünschte leistungsfähige Transitstrecke, sondern höchstens eine Regional- oder Touristikbahn beschert. Nach dem Ausbruch der 1873 beginnenden schweren Wirtschaftskrise brachen die Bündner ihre Bemühungen ab.
Obschon die Betriebsaufnahme der Gotthardbahn 1882 den Verkehr über die Bündner Pässe und damit auch die Wirtschaft Graubündens enorm beeinträchtigte, waren es erst italienische Initiativen um die Splügenbahn, welche die Bündner mobilisierten. 1887 entstand ein Splügenkomitee, welches neben dem Kanton Graubünden auch andere Ostschweizer Kantone umfasste. Das Komitee gab ein eigenes Projekt in Auftrag, als sich die italienische Projektstudie als zu teuer erwies. Nach dem Abschluss der Projektarbeiten 1890 stellte es seine Aktivitäten überraschend ein. Die beiden Planexemplare für das Splügenkomitee verschwanden im Bündner Staatsarchiv.
Der zweite Unterbruch dauerte bis 1898. Dann entwickelten sich im Kanton Tessin Bestrebungen, mit einem Durchstich durch den Lukmanier eine direkte Bahnverbindung zur Ostschweiz zu erhalten. Diese Aktivitäten passten den Bündnern nicht. Sie wollten unbedingt eine direkte Verbindung mit Italien. Dafür eignete sich der Splügen am besten. Ein neues Splügenkomitee nahm seine Arbeit auf. 1906 reichte die Regierung des Kantons Graubünden beim Eisenbahndepartement das Konzessionsgesuch um eine Bahn Chur-Splügen-Chiavenna ein. Drei Wochen zuvor erhielt das Departement allerdings auch ein Konzessionsgesuch für eine Ostalpenbahn Chur-Greina-Biasca.
Zwei private Konzessionsbegehren standen sich damit gegenüber. Nur die Erstellung von höchstens einer Linie erschien wirtschaftlich sinnvoll. Beide Projekte besassen ihre Vorzüge und Schwächen. Zudem bestand die Gefahr, dass das neue Unternehmen die seit 1901 betriebene SBB konkurrenzierte. Das Eidg. Eisenbahndepartement ordnete deshalb die Erstellung von Gutachten an. Die verschiedenen Projektänderungen beider Parteien verlängerten das Prozedere und gegenseitige Blockierung.
1909 verstaatlichte die Eidgenossenschaft programmgemäss die Gotthardbahn. Dieser Akt löste Schwierigkeiten mit Deutschland, aber vor allem mit Italien aus, welche hauptsächlich den Bau der Gotthardbahn subventionierten. Da eine Konzession zugunsten der Splügenbahn erneut schwierige Verhandlungen mit Italien erwarten liess, beschloss der Bundesrat, den Entscheid über die Ostalpenbahn erst nach der Ratifikation der Gotthardverträge von 1909 zu fällen (erst Ende 1913 erfolgt). Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 beendete die Ostalpenbahnfrage für lange Zeit.
Splügenbahnprojekte kamen bei den Planungsstudien für die NEAT (Neue Alpentransversale) ebenfalls in die Evaluation, doch besassen 1990 die Basis-Tunnels unter dem Gotthard und dem Lötschberg vor allem wirtschaftlich die besseren Argumente.
Die Beurteilung der jeweiligen allgemeinen Lage ergibt, dass ungefähr in der Zeit von 1890 bis gegen 1905 die günstigsten Voraussetzungen für die Entstehung einer Splügenbahn bestanden. Die Wirtschaft entwickelte sich von 1890 bis nach 1910 günstig. In dieser Periode realisierten die Westschweizer Kantone die Simplonbahn sowie der Kanton Bern die Lötschbergbahn.
Gleichzeitig erstellte der Kanton Graubünden die Rhätische Bahn, welche einen massgeblichen Wirtschaftsaufschwung auslöste. Diese Tatsache kann wenigstens teilweise erklären, warum zwischen 1890 und 1898 von den Bündnern keine Aktivitäten zugunsten der Splügenbahn ausgingen.
Bereits bei der Neuaufnahme ihrer Arbeiten 1898 beurteilten die Splügeninitianten die sich
entwickelnde Lage falsch. Sie unterschätzten sowohl die Wirkung der 1898 beschlossenen SBB, als auch die Gefahr des Konkurrenzprojektes durch den Greina. Die Initiative für dieses Bahnprojekt stammte aus dem Tessin und entzweite ab 1902 die Ostschweiz in zunehmendem Masse bis zur Pattsituation durch die beiden Konzessionsbegehren ab 1906.
Die Bündner verpassten für ihre Splügenbahn zunächst die Gunst der Stunde durch eigene Passivität. Anschliessend verhinderten sie durch ihr stures Festhalten am direkten Anschluss nach Italien auch den Kompromissvorschlag einer Bernhardinbahn.
Entscheidend für das Fehlen der Transitverbindung im Osten erwies sich aber das Verhalten der übrigen Ostschweiz. Diese liess nie einen wirksamen politischen Willen erkennen, die richtigen Massnahmen zur rechten Zeit für die Realisierung einer Ostalpenbahn zu treffen. Dazu passt, dass sich weder die Splügennoch die Greinapartei jemals ernsthaft mit der Suche nach Finanzquellen für ihr Projekt auseinander setzten.