Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
André
Holenstein
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2012/2013
Abstract
Pestzüge gehörten als Konstante zur Frühen Neuzeit – sei es als erinnerte Vergangenheit, herrschende Realität oder als gefürchtete Bedrohung. Die Epidemie von 1627 bis 1629 war die letzte, die das Gebiet des Kantons Luzern erreichte und zugleich eine der schwersten: Sie hinterliess mit Sterberaten von bis zu vierzig Prozent grosse Lücken in der Bevölkerung. Die einzelnen Orte waren unterschiedlich stark betroffen, so blieb nach heutiger Kenntnis die Stadt Luzern von der Krankheit fast gänzlich verschont, was eine erstaunliche Leistung der zuständigen Obrigkeit und auch der Einwohner war. Ausgehend von dieser Situation untersucht die Masterarbeit die Wahrnehmungen, Interessen und Handlungsspielräume der Luzernerinnen und Luzerner verschiedener Gesellschaftsebenen. Diese verfügten im Angesicht der Pest über unterschiedliche Massnahmenkataloge, die vorwiegend anhand der zeitgenössischen Korrespondenzen herausgearbeitet wurden.
Der erste Fokus richtet sich auf die Informationspolitik vor und während der Krise. Über alle Schichten und Institutionshierarchien hinweg konnte eine ähnlich motivierte Neigung zu Verheimlichung, Verharmlosung und Desinformation festgestellt werden. Die Bedeutung von Transparenz und gegenseitiger Benachrichtigung für eine wirksame, flächendeckende Pestbekämpfung wurde zwar durchweg betont – sowohl innerhalb des Kantons, innerhalb der Eidgenossenschaft wie auch in Kontakt mit auswärtigen Herrschaften. Diesem Bewusstsein stand jedoch meist die übermächtige Furcht vor Nachteilen und Einschränkungen gegenüber. Solche bildeten jedoch vor allem im Bereich von Wirtschaft und Mobilität einen zentralen Bestandteil der Seuchenabwehr. Die Luzerner Obrigkeit unternahm zahlreiche Anstrengungen zur Regulierung von Handel und Wandel und entfaltete dabei einige Innovationskraft. Dies geschah zu wichtigen Teilen auch unter dem massiven Druck des Herzogtums Mailand, das mit seinem bereits relativ elaborierten Pestbekämpfungssystem klare Ziele verfolgte. Dem obrigkeitlichen Willen und der Bereitschaft, Nachteile in Kauf zu nehmen, standen die Interessen und Handlungsspielräume der vermittelnden Instanzen auf der Landschaft und vor allem der breiten Bevölkerung teilweise diametral entgegen. So waren Anordnungen zu Märkten, Grenzübergängen oder Transithandel am ehesten noch im engeren städtischen Bereich von Erfolg gekrönt.
Viel weniger geht aus den Quellen über Massnahmen aus den Feldern Medizin und Religion hervor. Es scheint, dass diese geringere Aufmerksamkeit von der zentralen Obrigkeit erhielten und mehr in den Verantwortungsund Gestaltungsbereich der lokalen Instanzen fielen. Eine Luzerner Pestschrift von 1611 zeigt die Möglichkeiten verschiedener Vermögensklassen zur medizinischen Prophylaxe und zur Behandlung der Krankheit auf. Daneben galten nach wie vor hygienische Massnahmen als wirkungsvolle Gegenwehr. Das Feld der (Laien-) Medizin macht besonders deutlich, dass zu dieser Zeit kaum von zwei entgegengesetzten Pestwahrnehmungen im Sinne von Miasma und Contagion, wie oft von der Forschung behauptet, gesprochen werden kann. Die religiöse Deutung der Seuche als Strafe Gottes stand wohl über allem, zeitigte jedoch gemäss Überlieferung kaum konkrete Anordnungen. Vor allem die Untersuchung personeller Aspekte zeigt hingegen eindrücklich, wie überaus stark die Geistlichkeit in die Alltagsbewältigung involviert war.
Beim Vergleich der Reaktionen, Handlungsweisen und Interessen der verschiedenen Akteure angesichts der Pest trat eine grosse, lebensweltlich bedingte Diskrepanz zu Tage.