Am 20. September 1845 berichtete das Oberrheintaler Bezirksamt dem Regierungsrat des Kantons St. Gallen von erschreckenden Zuständen auf den Kartoffelfeldern. Die Kraut- und Knollenfäule, verursacht durch den Pilz phytophthora infestans, von deren Auftreten im Nordwesten Europas die einheimischen Zeitungen seit einigen Wochen schrieben, kam nun auch in der Schweiz vor.
Die vorliegende Arbeit setzt sich mit dem Umgang und den Folgen dieser Erscheinung auseinander. Während die Entwicklung in dieser Zeit in den westeuropäischen Staaten, insbesondere in Irland, ein wichtiges Forschungsthema in der Geschichtswissenschaft darstellt, gibt es im schweizerischen Kontext bisher wenige spezifische Studien dazu.
Von der letzten grossen Hungerkrise von 1816/1817 waren die östlichen Kantone speziell betroffen. Obwohl die Ausfälle in der Kartoffel- und Getreideernte sowie die dadurch entstandene Teuerung vom Frühjahr 1846 bis zum Herbst 1847 für missliche Umstände im Kanton St. Gallen sorgten, litten die ärmeren Menschen nicht so stark wie 30 Jahre zuvor. Die Regierung war weitaus aktiver und unterstützte die Bevölkerung mit Einkäufen von Samen, um die Aussaat des jeweiligen Frühlings trotz der Kartoffelkrankheit zu sichern. Darüber hinaus kümmerte sie sich um den Import von Lebensmitteln, welcher durch die Einführung kantonaler und ausländischer Zölle erschwert war. Schlechter bemittelte Menschen konnten sich die günstigeren „Staatsfrüchte“ dennoch nicht leisten.
Die Auswertung der Berichte aus den St. Galler Bezirken zeigt, wie ausgeprägt die Abhängigkeit der ärmeren Bürger:innen von der Kartoffel war. Die Heimarbeiter:innen betraf die Krise auf doppelte Weise: Einerseits konnten sie auf ihr bedeutendstes Nahrungsmittel infolge der herrschenden Pflanzenkrankheit nur in bedingtem Mass zurückgreifen. Andererseits sanken ihre Reallöhne während des Jahres 1846 angesichts der ansteigenden Preise. In den dicht besiedelten Regionen des Toggenburgs und des Rheintals war das Verlangen nach staatlicher Unterstützung am höchsten.
Zur Einschätzung der Dringlichkeit der Not wurden quantitative Parameter aus der Hunger- und Krisenforschung eingesetzt. Die Zahlen zu den Eheschliessungen, den Geburten und aufgegriffenen Bettler:innen im Kanton sowie zur Entwicklung des Getreidepreises auf dem Rorschacher Markt belegen, dass die schlechten Ernten speziell im Frühjahr 1847 für eine Notsituation unter den bedürftigen Menschen sowie für Versorgungsschwierigkeiten im Kanton sorgten. Erstere waren zwar nicht einer Mangelernährung ausgesetzt, mussten aber teilweise längere Zeit auf Lebensmittel warten und auf unkonventionelle Produkte zurückgreifen.
Kartoffeln wurden seit ihrer Einführung in die Ernährung der Schweizer:innen im Lauf des 18. Jahrhunderts regelmässig von Krankheiten befallen, jedoch nicht in einem solchen Ausmass wie 1845 und 1846. Landwirtschaftliche Vereine setzten sich mit der Ursache der bisher unbekannten Erscheinung intensiv auseinander, vermochten es aber nicht, in dieser Angelegenheit Klarheit zu verschaffen. Die Ratschläge der Botaniker, Naturforscher sowie Landwirt:innen zur Behandlung angesteckter Kartoffeln widersprachen sich teilweise massiv. Erst als die Pflanzenkrankheit in den späten 1840er Jahren nur noch in gelinderter Form auftrat, berichteten die Landwirt:innen wieder von ergiebigen Ernten.
Neben der Thematik der Massenarmut entwickelte sich die zunehmende Auswanderung aus dem Kanton nach Übersee zu einer bedeutenden Frage, welche die Behörden zu dieser Zeit beschäftigte. Allerdings zeigt eine genauere Analyse der Migrationsbewegung, dass sich diese im Kanton St. Gallen auf die Bezirke Werdenberg, Sargans und Gaster beschränkte. Da die Zahl der Emigrierten bereits im Jahr 1845 einen zwischenzeitlichen Höchststand erreichte, ist das Phänomen nicht direkt mit der Krise von 1846/1847 in Verbindung zu setzen. Allerdings nahm die Menge der Ausreisenden vor Beginn der 1850er Jahre nochmals zu. Obwohl die Teuerung sicherlich einen Einfluss auf die Auswanderung hatte, zählten strukturelle Probleme wie der Mangel an Erwerbsmöglichkeiten im Süden des Kantons, der von der Protoindustrialisierung nur wenig profitierte, zu den wichtigsten anstossenden Kräften.