Im wirtschaftlichen und sozialen Umbruch von der Agrar- zur teilindustrialisierten Gesellschaft, vom handwerklichen Kleinbetrieb zum industriellen Grossbetrieb und von der Heimarbeit zur zentralisierten Industriearbeit vermochten die Gewerkschaften sich in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg allmählich in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik zu etablieren. Die Probleme, die sich dabei den frühen Gewerkschaften stellten, lassen sich am Beispiel der „Federation des Ouvriers de !'Industrie Horlogere" (FOIH) illustrieren, die am 1. Januar 1912 gegründet wurde und anfangs Juli 1915 mit dem „Schweizerischen Metallarbeiter-Verband" (SMUV) fusionierte. Daher behandelt die Dissertation trotz ihres monographischen Ansatzes nicht nur die einzelnen sozialgeschichtlich relevanten Aspekte dieses Arbeitnehmerverbandes, sondern sie ermöglicht auch einen repräsentativen Querschnitt durch die frühe Arbeiterbewegung. Das SMUV-Archiv enthält ausserordentlich umfangreiches Quellenmaterial zur FOIH; zu zwei Streiks standen für diese Arbeit überdies Zusammenstellungen von Arbeitgeberseite zur Verfügung, und zur weiteren Abrundung der Quellenlage wurden das Staatsarchiv des Kantons Solothurn, das Stadtarchiv Grenchen, Material des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes und anderer Gewerkschaftsverbände, die Presse und das zeitgenössische Schrifttum zur schweizerischen und zur ausländischen Gewerkschaftsbewegung beigezogen.
Die FOIH entstand anfangs 1912 durch die Fusion von drei Vorläuferorganisationen, und bis anfangs 1914 schlossen sich noch mehrere kleine Organisationen dem Verband an. Die Notwendigkeit von gewerkschaftlichen Zusammenschlüssen ergab sich durch das Aufkommen von industriellen Grossbetrieben und auch durch die Bildung von Arbeitgebervereinigungen, denen die herkömmlichen, vielfach auf einzelne Branchen oder kleine Regionen beschränkten Berufsorganisationen der Arbeitnehmer nicht mehr gewachsen waren; dies galt ganz besonders im Hinblick auf Streiks und Aussperrungen, die nur von mitgliederstarken Organisationen finanziert werden konnten und überdies ein geschlossenes Auftreten aller Arbeiten der betreffenden Branche erforderten. Die Bildung eines gewerkschaftlichen Landesverbands mit zentraler Führung entsprach dem Muster der deutsch-englischen Gewerkschaftsverbände, nicht aber der französischen Gewerkschaftsbewegung, für die eine föderalistische Organisation typisch war. Opposition gegen die Errichtung eines zentralistischen Verbandes mit verhältnismässig hohen Mitgliederbeiträgen wurde insbesondere in den Kreisen der revolutionären Syndikalisten geäussert, die vor allem in den ersten beiden Jahren das Zentralbüro der FOIH dauernd attackierten. Die Mitgliederzahl der FOIH stieg von anfangs etwa 11 '000 bis zum Frühling 1914 auf mehr als 17'000 an. Zu diesem Mitgliederzuwachs trug neben der verhältnismässig guten Konjunkturlage, die für die einzelnen Arbeiter den Beitritt zur Gewerkschaft als lohnend erscheinen liess, auch eine vielfach recht aggressiv Mitgliederbewerbung bei, in der beitrittsunwilligen Arbeitern manchmal auch Streiks beim Arbeitgeber angedroht wurden. Auf der anderen Seite gab es vor allem in der Region Solothurn-Grenchen und im Waldenburgertal, wo die FOIH besonders viele Neueintritte verzeichnen konnte, eine Anzahl von Uhrenfabrikanten, die den Eintritt ihrer Arbeiter in die Gewerkschafts sehr ungern sahen und der jungen Organisation erhebliche Schwierigkeiten machten; dazu gehörten nicht nur Versuche, ,,gelbe" oder christlich-soziale Konkurrenzorganisationen zu errichten, sondern auch Entlassungen von gewerkschaftlich stark engagierten Arbeitern und überdies mehrere Arbeitskämpfe.
Die Anliegen der FOIH gegenüber den Arbeitgebern waren zum Teil noch ausgesprochen zünftisch geprägt: Ihre Vertreter bemühten sich mit Erfolg, für verschiedene Partien (Produktionsstadien) in der Uhrenindustrie eine Sperre für Frauen und eine Kontingentierung der Anzahl Lehrlinge und Hilfsarbeiter zu erreichen, weil diese als Lohndrücker und als unwillkommene Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt galten. Daneben vertrat die FOIH aber auch fortschrittliche Anliegen, so zum Beispiel die Einführung des freien Samstagnachmittags. Die Beziehung zu den einzelnen Arbeitgeberorganisationen waren sehr unterschiedlich: Die Verbände der Gold- und Silberschalenfabrikanten akzeptierten die FOIH als vollwertigen Partner und schlossen mit ihr Gesamtarbeitsverträge ab, die Uhrenfabrikanten in Grenchen und Bettlach vertraten dagegen unbekümmert den „Herr im Haus"-Standpunkt und wiesen die gewerkschaftlichen Interventionen in ihren Betrieben immer wieder als „Hineinregieren" ab. Partner und Gegner zugleich war für die FOIH das „Syndicat suisse des Fabriques de Montres", das einerseits bei mehreren Arbeitskämpfen geschickt vermittelte und auch bei einzelnen Arbeitgeberfirmen intervnierte, andererseits aber bei verschiedenen Gelegenheiten Spielchen hinter dem Rücken der FOIH trieb.
Politisch war die FOIH bereits gut integriert, und sie wurde bereits in eidgenössische und kantonale Vernehmlassungen einbezogen. Dabei stand sie trotz ihres offiziellen Bekenntnisses zur parteipolitischen und konfessionellen Neutralität stets in enger Beziehung zur Sozialdemokratischen Partei und zu den übrigen Organisationen der Arbeiterbewegung, insbesondere zu den Konsum- und Produktionsgenossenschaften, mit denen sie auch finanziell eng verflochten war. Besonders unter den Zentralsekretären der FOIH gab es die für die frühe Arbeiterbewegung typischen Multifunktionäre, die das Spiel auf verschiedenen Klavieren bereits virtuos betrieben. Die FOIH engagierte sich auch im Schweizerischen Gewerkschaftsbund und im „Internationalen Metallarbeiter-Bund", der in dieser Zeit ein grosszügiges Unterstützungswesen zur Finanzierung von Arbeitskämpfen ausländischer Schwesterverbände errichtete. Belastet wurden die internationalen Beziehungen der FOIH allerdings durch Streitigkeiten wegen der Verbandszugehörigkeit französischer Sektionen, die sie von ihren Vorläuferorganisationen übernommen hatte.
Die FOIH führte in den ersten zweieinhalb Jahren ihres Bestehens 22 Arbeitskämpfe (20 Streiks, 2 Aussperrungen). Bei fast der Hälfte dieser Konflikte ging es um Lohnfragen, bei sechs Arbeitskämpfen um das Organisationsrecht und die Anerkennung der FOIH als Verhandlungspartnerin. Bei den übrigen Arbeitskämpfen fällt ein Streik auf, in dem die Entfernung einer Frau von einer gesperrten Partie erzwungen wurde. Mehrere Streiks wurden ohne klare Zielsetzung geführt, vielmehr hatten diese Konflikte ihre Ursache in einem sehr gespannten Verhältnis zwischen Firmenleitung und Arbeiterschaft. Wegen eigenmächtiger Streikbeschlüsse der Sektionen und wegen der Nichteinhaltung der vierzehntägigen Kündigungsfrist vor der jeweiligen Arbeitsniederlegung kam das Zentralbüro der FOIH immer wieder in heikle Situationen. Ein Teil der Arbeitskämpfe führte zum Erfolg oder zumindest zu einer Kompromisslösung, verschiedene Auseinandersetzungen endeten jedoch mit einem vollkommenen Fehlschlag und hatten überdies zur Folge, dass alle beteiligten Arbeiter sich nach einer anderen Stelle umsehen mussten.
Der Niedergang der FOIH setzte anfangs 1914 ein, als die Arbeiter einer Grenchner Firma leichthin einen Streik beschlossen, auf den der "Verband leberbergischer Uhrenindustrieller'' mit einer Aussperrung aller gewerkschaftlich organisierten Arbeiter reagierte. In diesem Arbeitskampf, der mehr als drei zehn Wochen dauerte und von dem über 1700 Arbeiter betroffen waren, verbrauchte die FOIH nicht nur ihre eigenen Mittel, sondern sie musste sich auch noch bei anderen gewerkschaftlichen Organisationen im In- und Ausland hoch verschulden, um den beteiligten Arbeitern das Streikgeld bezahlen zu können. Wegen ihrer schlechten Finanzlage musste sie im Mai 1914 schliesslich einem für sie wenig vorteilhaften Einigungsabkommen zustimmen, gemäss dem die Arbeitgeber nicht einmal verpflichtet waren, alle ausgesperrten Arbeiter wieder einzustellen, so dass die FOIH weitere Darlehen aufnehmen musste, um noch während Monaten mehrere hundert Arbeiter unterstützen zu können.
Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges traf die FOIH daher in einem äusserst ungünstigen Moment, ganz besonders weil die Uhrenindustrie in den ersten Monaten nach dem Kriegsausbruch vollkommen zusammenbrach und überdies die Mitgliederzahl der FOIH bis zum April 1914 auf etwa 8000 zurück ging. Die FOIH-Funktionäre hatten in den Verhandlungen mit den Arbeitgebern eine entsprechend schwache Position und konnten lediglich noch als Vermittlungsdienste leisten. In einer Kommission zur Bekämpfung von Kriegsabzügen, also von Dumpingpreisen, die Lohnreduktionen zur Folge hatten, bekam die FOIH keinen Einsitz. Erst durch die Fusion der FOIH mit dem „Schweizerischen Metallarbeiter-Verband", der ihr ausserordentlich faire Bedingungen anbot, und durch das allmähliche Wiederanziehen der Konjunktur im Jahr 1915 konnte die Stellung der gewerkschaftlichen Organisation der Uhrenarbeiter wieder gefestigt werden.