Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Kury
Patrick
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2013/2014
Abstract
Im Zuge der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ durch die Truppen der DDR, Bulgariens, Ungarns und der Sowjetunion am 21. August 1968 fanden rund 13‘000 tschechoslowakische Flüchtlinge Aufnahme in der Schweiz.
Die Masterarbeit untersucht anhand von zwei Zugängen die Aufnahme der tschechoslowakischen Flüchtlinge in der Schweiz. Zum einen wird die Arbeit der Bundesbehörden analysiert und der Frage nachgegangen, wie die schweizerischen Bundesbehörden die Aufnahme organisiert haben. Es werden die Strukturen und Bedingungen herausgearbeitet, mit welchen die tschechoslowakischen Flüchtlinge in der Schweiz konfrontiert waren. Neben der Frage nach der Organisation interessiert weiter, wie die schweizerischen Bundesbehörden die Aufnahme bewertet haben und welche Erfahrungen sie mit den tschechoslowakischen Flüchtlingen machten. Diesem strukturgeschichtlich angelegten Teil der Arbeit liegen Quellen des schweizerischen Bundesarchivs in Bern zugrunde. Es wurden Akten des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes hinzugezogen, welche Aufschlüsse über die Arbeit des für die Flüchtlingsaufnahme zuständigen Departementes geben.
Die Untersuchung bleibt jedoch nicht auf der Arbeit der Bundesbehörden stehen, sondern bezieht als zweiten Zugang zum anderen auch die Perspektive der ehemaligen Flüchtlinge mit ein. Es wird dabei ein möglichst ganzheitliches Bild der Aufnahme gezeichnet, welches nicht auf der offiziellen Ebene der Bundesbehörden stehen bleibt, sondern auch die Erfahrungen der ehemaligen Flüchtlinge versucht mit einzuschliessen. Dieser erfahrungsgeschichtlich angelegte Teil der Arbeit wurde anhand von Oral History erarbeitet. Es wurden vier ehemalige Flüchtlinge befragt, welche im Kanton Luzern Aufnahme gefunden haben. Hierbei interessiert, wie die vier Zeitzeuginnen und Zeitzeugen ihre Flucht und die Aufnahme in die Schweiz erlebt haben. Es stehen damit die subjektiven Erfahrungen der ehemaligen Flüchtlinge im Zentrum.
Die Arbeit zeigt auf, dass die Bundesbehörden eine äusserst weitherzige Aufnahmepraxis angewandt hatten. So wurden die Grenzen ab dem 30. August für alle tschechoslowakischen Staatsangehörigen geöffnet, und sie erhielten Zugang zum schweizerischen Arbeitsmarkt und zu finanzieller Hilfe – ungeachtet dessen, ob sie ein Asylgesuch stellten oder nicht. Auch die Asylerteilung ging äusserst weitherzig vonstatten. So fand eine tolerante Auslegung des Flüchtlingsbegriffes Anwendung, welche neben der Gefährdung an Leib und Leben auch das Kriterium der „regimebedingten inneren Zwangslage“ umfasste. Diese liberale Flüchtlingspolitik ist jedoch vor dem Hintergrund der asylpolitischen Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg zu betrachten. Ebenso zu beachten ist hierbei die grosse Sympathie der schweizerischen Bevölkerung mit den tschechoslowakischen Staatsangehörigen, die eine grosszügige Asylgewährung überhaupt erst möglich machte.
Die Aufnahme der tschechoslowakischen Flüchtlinge wurde von den Bundesbehörden als äusserst positiv bewertet. Die grosszügige Praxis bot in den Augen der Bundesbehörden die Möglichkeit, das Bild einer humanitären Schweiz aufrechtzuerhalten. Doch brachte diese Praxis auch einige Probleme mit sich. Vordergründig beschäftigten die Bundesbehörden vor allem die ungenügenden Unterkunftsmoöglichkeiten für die Flüchtlinge. Auch wurde diese Praxis innerhalb der zuständigen Kreise gegen Ende des Jahres 1968 immer stärker kritisiert. So sprach man von einer „Verwässerung des Asylbegriffes“, da durch die vollständige Öffnung der Grenzen und die ohne nähere Prüfung bewilligten Asylgesuche auch solche Personen Aufnahme fanden, welche aus wirtschaftlichen Gründen in die Schweiz gekommen waren. Grössere Probleme oder Schwierigkeiten wurden von den Bundesbehörden jedoch nicht festgestellt.
Die Erinnerungen der ehemaligen Flüchtlinge zeigen auf, dass die Schwierigkeiten der Bundesbehörden nicht deckungsgleich mit ihren Problemen waren. Während erstere sich vor allem um die schwierige Wohnsituation sorgte, hatten letztere mit Existenzsorgen zu kämpfen. Obwohl die Bundesbehörden sich um eine humanitäre Aufnahme bemühten, konnten sie die persönlichen Probleme und Schwierigkeiten der Flüchtlinge nicht beseitigen, welche vordergründig die Sorge um die zurückgebliebene Familie, die anfängliche Orientierungslosigkeit und die Notwendigkeit der Anpassung an eine neue Umgebung umfasste. Die befragten ehemaligen Flüchtlinge äusserten sich jedoch durchwegs positiv bezüglich der Organisation der Aufnahme. Dies lässt den Schluss zu, dass es wohl zu keinen grösseren Ungereimtheiten bei der Aufnahme gekommen war und diese damit nicht nur von Seiten der Bundesbehörden, sondern auch von Seiten der ehemaligen Flüchtlinge als erfolgreich bewertet wurde.