Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts bestimmt der Tourismus zu einem wesentlichen Teil das Eigen-, vor allem aber das Fremdbild der Schweiz. Zudem ist die Tourismusbranche mit einem Umsatz von über 20 Milliarden Franken eine der wichtigsten Einnahmequellen der Schweiz. Angesichts der kaum zu unterschätzenden Bedeutung, die der bis in die 1970er Jahre als „Fremdenverkehr“ bezeichnete Wirtschaftszweig seit der Mitte des 19. Jahrhunderts für die Entwicklung der Schweiz innehatte, sind die Lücken in der historischen Aufarbeitung erstaunlich zahlreich. Lange Zeit überliess die Geschichtswissenschaft den Tourismus den Ökonomen, Geographen und Soziologen, erst in den zwei letzten Dekaden des vorherigen Jahrhunderts begannen sich auch Historiker für das Thema zu interessieren.
Anknüpfend an Arbeiten von Christoph Maria Merki, vor allem aber an jene des deutschen Tourismusforschers Christoph Hennig, verfolgte diese Lizentiatsarbeit das Ziel, die Formierung, die Ausformung sowie die Nutzung des touristischen Images anhand der Destination St. Moritz zu untersuchen. Besonderes Augenmerk wurde hierbei auf die Instrumentalisierung von grossen Sportanlässen zugunsten des touristischen Images gelegt. Obwohl nämlich die Marketingtheorie und -wissenschaft bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts im deutschen Sprachraum unterentwickelt blieb, hatten die Verantwortlichen in St. Moritz die Bedeutung von Sportanlässen schon um die Jahrhundertwende gleichsam intuitiv erfasst. „Viele Ferienorte haben Event-Marketing praktiziert, bevor es diesen Begriff in der betriebswissenschaftlichen Theorie überhaupt gab“, beschreibt der St. Moritzer Tourismusdirektor Hanspeter Danuser diesen Prozess treffend.
Der Beginn der touristischen Nutzung des Oberengadins ist in den 1850er Jahren zu verorten, als die seit dem Mittelalter bekannten Heilquellen attraktiviert wurden und erste Hotels entstanden. In den folgenden Jahrzehnten erlebte das verschlafene Bergdorf einen rasanten Aufstieg, der vor dem Ersten Weltkrieg in den glamourösen Jahren der Belle Epoque kulminierte. Parallel zum Aufstieg der Destination St. Moritz – und durchaus in Wechselwirkung mit diesem – entwickelte sich der Wintersport, insbesondere der Skisport, vom exotischen Zeitvertreib zum Massenvergnügen. Im Gegensatz etwa zu Davos, das seinen Ruf als Heilstätte für Tuberkulose kultivierte, setzte St. Moritz schon seit der Wende zum 20. Jahrhundert konsequent auf den Wintersport und so früh wie an kaum einem anderen Ort der Alpen fanden im Engadin sportliche Wettkämpfe auf Schnee und Eis statt. Für diese Arbeit wurden drei Sportanlässe mit besonders grossem Publikumsinteresse ausgewählt: die 1907 erstmals durchgeführten Pferderennen auf dem St. Moritzer See sowie die Olympischen Winterspiele von 1928 und 1948. Trotz dieser Fokussierung blieb aus methodischer Sicht das Problem, wie ein immaterieller Wert wie „Image“ gemessen und beschrieben werden sollte. Als Lösung boten sich zum einen Berichte in Zeitungen und Zeitschriften an, zum anderen wurde versucht, dem Image der Destination mittels der Fremdbeschreibung in Reiseführern sowie der Selbstdarstellung in der Tourismuswerbung näher zu kommen. Die mediale Berichterstattung über die St. Moritzer Sportanlässe erwies sich tatsächlich als bemerkenswert ausführlich. Besonders die Pferderennen riefen vor dem Ersten Weltkrieg gemessen an anderen Sportereignissen in der nationalen wie internationalen Presse ein überdurchschnittliches Echo hervor.
Als aufschlussreich erwies sich jedoch vor allem die Betrachtung von Reiseführern und Tourismusplakaten: In den Reisehandbüchern ist seit der Wende zum 20. Jahrhundert – in der englischsprachigen Literatur schon gut zwanzig Jahre früher – eine Fokussierung auf den Wintersport festzustellen. In der Werbung tauchen die ersten Plakate mit Motiven aus dem Bereich Wintersport ebenfalls bereits in der Belle Epoque auf, ein Beweis dafür, dass der federführende St. Moritzer Kur- und Verkehrsverein den touristischen Nutzen des neuen Zeitvertreibs schon früh erkannt hatte. Spätestens in der Zwischenkriegszeit trat dann der Durchbruch des Skifahrens zum eigentlichen Volkssport auch in der Werbung endgültig zu Tage.
Die Bedeutung sportlicher Grossanlässe auf die Entwicklung von St. Moritz zur weltweit bekanntesten Alpindestination ist heute unbestritten und die Arbeit zeigt, dass dieser Effekt nicht dem Zufall geschuldet war. Im Jahr der Fussball-Europameisterschaft in der Schweiz werden die Auswirkungen von Sportanlässen auf die Wirtschaft im Allgemeinen und den Tourismus im Speziellen sowohl in der Öffentlichkeit wie in der Wissenschaft immer wieder thematisiert. Die vorliegende Arbeit mag helfen, den Blick von der kurzfristigen ökonomischen Sichtweise zu lösen und auch die langfristigen Imagewirkungen in Betracht zu ziehen.