Der Streit um das Wahlverfahren für den Bündner Grossen Rat im 20. Jahrhundert - Vertretungsansprüche und normative Zielkonflikte

AutorIn Name
Rudolf
Haltiner
Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Siegfried
Weichlein
Institution
Seminar für Zeitgeschichte
Ort
Fribourg
Jahr
2019/2020
Abstract
Ausgehend von der Tatsache, dass im Kanton Graubünden seit 1931 bis zum Ende des 20. Jahrhunderts erfolglos zehn Motionen, drei Volksinitiativen und eine Petition zum Wechsel vom Majorz- zum Proporzwahlsystem fürs Bündner Parlament eingereicht wurden, wird untersucht, an welchen Differenzen das Vorhaben gescheitert ist. Im Zentrum steht dabei die Hypothese, dass es nicht allein der Machtanspruch der Parteien war, der zu dieser Blockade führte, sondern dass schliesslich und wesentlich unterschiedliche Auffassungen von demokratischen Grundsätzen dazu beigetragen haben. Es waren die Vorstellungen von Gleichheit und Gerechtigkeit, von Stabilität, Transparenz und Effizienz, die die Debatten geprägt haben. Ziel der Arbeit ist die Identifikation von Zielkonflikten zwischen demokratischen Normvorstellungen vor dem Hintergrund historischer sowie partei- und sozialpolitischer Entwicklungen im 20. Jahrhundert. Theoretische Grundlage bilden neben verfassungsrechtlichen und politikgeschichtlichen Abrissen, schwerpunktmässig demokratietheoretische Erkenntnisse, Forschungsresultate zum Wahlrecht und zur Bewertung von Wahlsystemen. Im empirischen Teil der Arbeit werden die Protokolle der Debatten im Bündner Parlament, die Botschaften der Regierung sowie die jeweils vor den Volksabstimmungen erschienen Beiträge in den überregional erschienen Bündner Zeitungen hinsichtlich der zum Ausdruck gebrachten normativen Zielkonflikte analysiert. Diese Analyse zeigt, dass tatsächlich unterschiedliche Vorstellungen von Demokratie, Pluralismus und Partizipation wesentliche Treiber des Konflikts waren. Zwar mögen etliche Differenzen ihren Ursprung in historisch gewachsenen Strukturen haben, die unterschiedlichen Vorstellungen von Demokratie, Pluralismus und Partizipation – und letztlich vom adäquaten Wahlverfahren – vermögen sie allein jedoch nicht zu begründen. Die besonders auch in den Medien hartnäckig vertretene These, wonach der Dissens um das passende Wahlsystem für das Bündner Parlament letztlich lediglich eine Machtfrage der Parteien sei, kann nicht grundsätzlich widerlegt, aber doch in ihrer Ausschliesslichkeit relativiert werden. Festgestellt wird, dass Gleichheit stets in Konkurrenz zu Effizienz und Stabilität steht. Mit dem Kampf für Gleichheit wird dem Anspruch nach Gerechtigkeit Genüge getan. In den Debatten um den Wechsel vom Majorz- zum Proporzwahlverfahren für das Bündner Parlament kommen die unterschiedlichen Auffassungen über Gerechtigkeit klar zum Ausdruck. Und weil gegen Ende des Jahrhunderts etliche Argumente der Proporzgegner aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen obsolet geworden waren, konzentrierte sich die Diskussion zunehmend auf die Frage, was bzw. wer denn zum Anspruch nach Gleichheit legitimiert sei. Bei zukünftigen Debatten wäre – so die Schlussfolgerung – eine gemeinsame Klärung des Grundsatzes der Gleichheit und der damit verknüpften Wahrnehmung von Gerechtigkeit hilfreich. Und für die historische Forschung wird angeregt, eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Einfluss spezifisch-historischer Bedingungen auf die Geschichte des bündnerischen Gesetzgebungsprozesses zu lancieren, um neue Erkenntnisse zum Wandel von Bedingungen politischer Institutionen in einem multikulturellen Gebirgskanton zu generieren.

Zugang zur Arbeit

Bibliothek

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