Der Grossraum Basel als Zentrum eines länderübergreifenden Widerstandes. Die Anti-AKW-Bewegung in der Schweiz am Beispiel des AKW-Projekts Kaiseraugst

AutorIn Name
Ivo
Lüthy
Art der Arbeit
Lizentiatsarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christian
Pfister
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2001/2002
Abstract

Ende der sechziger Jahre formierten sich erste Widerstände gegen den Bau von Atomkraftwerken (AKW) in der Schweiz. Zunächst gingen diese lediglich von der ansässigen Bevölkerung aus und waren wirtschaftlich motiviert. Der Sprung zur Massenbewegung gelang der Anti-AKW-Bewegung (AAB) 1973 durch die Gründung der „Gewaltfreien Aktion Kaiseraugst“ (GAK), bei welcher die Idee des gewaltfreien Widerstandes im Mittelpunkt stand. Dieser fand seinen Ausdruck in der Besetzung des Kaiseraugster Baugeländes (vom 1. April bis zum 14. Juni 1975), wo ein AKW projektiert war. Der Kampf gegen dieses AKW war zentral für die Schweizer AAB, Kaiseraugst wurde zum Symbol für den Widerstand. Der grösste Widerstand gegen AKW kam in der Schweiz aus den Basler Kantonen, wobei verschiedene Faktoren eine Rolle spielten: Die Kantone waren durch die Folgeprobleme des Wachstumsprozesses besonders betroffen und deswegen schweizerisch in der Umweltpolitik führend. Problematisch für Basel war auch, dass in angrenzenden Kantonen und im angrenzenden Ausland eine Vielzahl von AKW projektiert war, in den Kantonen Baselland und Basel-Stadt aber kein einziges. Dies bedeutete, dass die Basler Kantone einerseits die negativen Folgen der AKW ertragen mussten, andererseits jedoch nicht einmal auf Steuereinkünfte zählen konnten. Unterstützung erhielten die Basler Kantone von der deutschen und der französischen AAB, denn das Zentrum der AAB dieser Länder befand sich im Dreiländereck (Nordwestschweiz, Baden, Elsass). Schon bei den frühen Demonstrationen im französischen Fessenheim (1971) waren deutsche und schweizerische AKW-GegnerInnen anwesend. In der Folge arbeitete man eng zusammen, die Besetzung des Baugeländes von Kaiseraugst wurde während einer Rede in Wyhl (Südbaden, AKW-Baugelände besetzt vom 23. Februar bis 7. November 1975) angekündigt. Von deutschen und französischen Anti-AKW-Gruppen kamen diverse Einsprachen und Unterschriftensammlungen gegen AKW-Projekte in der Schweiz.

 

Die Motive der AKW-GegnerInnen waren vielfältig: So trat in den frühen siebziger Jahren vor allem die betroffene Bevölkerung gegen AKW ein, bei der es nicht um einen Kampf gegen alle AKW, sondern um die Verhinderung des AKW vor der eigenen Haustüre ging. Die Motivation lag vorwiegend in der Angst vor der Schädigung der wirtschaftlichen Grundlage (insbesondere Landwirtschaft und Tourismus) und einer Zerstörung der Lebensqualität. Hinzu kamen einzelne AKW-GegnerInnen, für die AKW prinzipiell nicht zu verantworten waren. Diese wiesen auf die Unfallgefahr und auf die Atommüllproblematik hin. Im Laufe der siebziger Jahre rückten diese Gesichtspunkte immer mehr ins Zentrum, auch kamen vermehrt Umweltargumente wie die Angst vor klimatischen Veränderungen vor. Durch die Aktionen der GAK wurden Mitglieder der „Progressiven Organisationen der Schweiz“ und der „Revolutionären Marxistischen Liga“ auf die AAB aufmerksam. Die Anhänger dieser Gruppierungen strebten nach einer Änderung der Gesellschaftsordnung und vermuteten hinter der AKW-Problematik bloss ein Beispiel von Kapitalismus und Monopolismus. Bald darauf nahmen sie führende Positionen in der AAB ein, wobei die Anzahl dieser Personen nicht zu hoch veranschlagt werden darf. Nicht zu unterschätzen ist der Vorwurf „mangelndes Demokratieverständnis“ (keine politische Mitbestimmung von Standortkantonen und -gemeinden), der viele Personen erst zu AKW-GegnerInnen werden liess. Während vorerst noch institutionalisierte Mittel wie Petitionen genutzt wurden, stellte die Gründung der GAK den Übergang zu direkten Aktionen dar. Aufrufe zu Boykotten oder Veranstaltungen mit Festcharakter machten nur einen Teil der neuen Methoden aus. Mit der Besetzung des Baugeländes in Kaiseraugst gelang es der AAB, die Medien auf ihre Seite zu ziehen und grosse Bevölkerungsteile von der AKW-Problematik zu überzeugen.

 

Eine wichtige Rolle spielte in der AAB die so genannte „Intelligenz“, nicht zufällig waren erstaunlich viele LehrerInnen und ÄrztInnen in der AAB zu finden. Jedoch war die AAB viel heterogener zusammengesetzt. Bürgerliche PolitikerInnen blieben zwar in der Minderheit, waren aber durchaus in der AAB vertreten, insbesondere in der Frühphase bei der Gründung der ersten Anti-AKW-Gruppen. Eine wichtige Rolle spielte zu dieser Zeit auch der „Landesring der Unabhängigen“.

 

Die schweizerische AAB war eine durchaus erfolgreiche Bewegung. Zwar gelang es ihr nicht direkt, ein AKW zu verhindern. Das Projekt Kaiseraugst liess man schliesslich 1988 aus „wirtschaftlichen“ Gründen fallen. Die AAB erreichte aber, dass sich Verzögerungen beim AKW-Bau ergaben, was die überhöhten Strombedarfsprognosen relativierte. Zudem schaffte die AAB eines: Die Atomenergie entwickelte sich zu einem öffentlichen Thema, wie dies Ende der achtziger Jahre der „Gruppe für eine Schweiz ohne Armee“ beim Thema Militär gelang. In den siebziger Jahren begannen sich immer mehr Menschen mit der Thematik Atomenergie auseinander zu setzen. Man erkannte nun Gefahren und diskutierte darüber. Durch die Präsenz der AAB nahm fast die Hälfte der Schweizer Bevölkerung eine negative Haltung gegenüber der Atomenergie ein.

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