Der Fall Carmen Mory. Eine Untersuchung zur Behandlung einer Täterin im ersten Ravensbrücker-Prozess von 1946/47 unter besonderer Berücksichtigung der weiblichen Komponenten

AutorIn Name
Stefanie
Braendli
Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Dr. habil.
Carmen
Scheide
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2022/2023
Abstract

Am 3. Februar 1947 wurde Carmen Maria Mory in Hamburg zum Tode verurteilt. Der Schweizerin, welche am 2. Juli 1906 im kleinen Dorf Adelboden im Berner Oberland geboren worden war, wurden vom britischen Kriegstribunal diverse Morde und Folterungen im Konzentrationslager Ravensbrück während dem zweiten Weltkrieg zur Last gelegt. Es war nicht aussergewöhnlich, dass Kriegsverbrechern nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs der Prozess gemacht wurde. Bei Carmen Moy waren jedoch drei Tatsachen bemerkenswert: Sie war Schweizerin, sie war eine Frau und sie war selbst im Konzentrationslager als Häftling interniert. Nach der Befreiung des Lagers stand sie im ersten Ravensbrücker-Prozess mit anderen Angeklagten aus dem Lager vor Gericht.

Die Arbeit geht der Frage nach, wie die Anklage, das Gericht und die Verteidigung sowie die Öffentlichkeit mit einer weiblichen Täterschaft umgegangen sind. Dabei wurden Zeugenaussagen, Plädoyers, Berichte und Briefe untersucht, welche im Zusammenhang und rund um den Prozess entstanden sind und sich heute im schweizerischen Bundesarchiv in Bern befinden. Untersucht wurde, wie mit der Gewalt im Lager vor Gericht selbst umgegangen wurde, wie sie definiert und wie darüber gesprochen wurde und welche verschiedenen Arten von Gewalt definiert und verhandelt wurden. Zusätzlich wurde untersucht, wie die Schweiz auf die Vorwürfe und auf den Prozess reagierte. Dafür wurden Zeitungsartikel, Berichte und Briefe analysiert.

Diese Untersuchungen haben ergeben, dass die britischen Militärbehörden versucht hatten, Carmen Mory jegliche Weiblichkeit abzusprechen, damit ihr Verhalten mit den damals stereotypischen Vorstellungen einer Frau in Einklang gebracht werden konnte. Die Anklage versuchte aufzuzeigen, dass Carmen Mory keine „richtige“ Frau war, weil sie nach diesem Ansatz ansonsten gar nicht zu solchen Taten fähig gewesen wäre. Mit Hilfe der Unterstellung von negativen Charakterzügen wie beispielsweise dem aggressiven und aufbrausenden Auftritt vor Gericht, versuchte die Anklage ein Bild von Carmen Mory zu zeichnen, das dem vorherrschenden, stereotypischen Frauenbild widersprach. Sie betonte immer wieder, wie intelligent und gerissen sie gewesen war und dass sie die Taten ganz bewusst begangen hatte, weil es ihr Freude bereitetet habe und nicht nur etwa, um sich selbst zu retten und die Grausamkeiten des Lagers zu überstehen, was die Taten allenfalls hätte rechtfertigen können. Ausserdem wurde sie wegen ihren guten Beziehungen zum Lagerpersonal den im Lager dienenden SS-Leuten gleichgesetzt. Dass auch sie ein Opfer der Willkür des Regimes war, wurde von der Anklage nicht einmal ansatzweise beachtet.

Die Nachforschungen über die Rolle der offiziellen Schweiz hat ergeben, dass die Schweizer Regierung sich zunächst kaum für den Fall interessierte. Sie wollte lediglich sicherstellen, dass Mory einen fairen Prozess bekommen konnte und dass ihr ein guter Anwalt zur Verfügung stand. Erst nachdem sie zum Tode verurteilt worden war, beschloss der Bundesrat, zu intervenieren. Am 9. April 1947 verlor Carmen Mory jedoch die Hoffnung auf eine Rettung und nahm sich in ihrer Zelle das Leben. Während die Haltung der Schweizer Regierung vor allem durch Desinteresse geprägt war, so waren die Schweizer Zeitungen durchaus am Fall interessiert. Dies beweisen diverse Zeitungsartikel, die ihr und ihrem Prozess gewidmet waren. Auch dort spielte das Geschlecht eine entscheidende Rolle, wurde doch beispielsweise ihr Aussehen immer wieder kommentiert, während dies bei männlichen Angeklagten keine Rolle spielte. Die Analyse der Briefe, welche von Schweizer Bürger:innen an die Schweizer Regierung oder an den Generalkonsul Jean de Rham in Deutschland gesendet wurden, zeigt ferner, dass es durchaus Personen gab, die sich für Carmen Mory einsetzen wollten. Sie waren zwar nicht von ihrer Unschuld überzeugt, aber alle waren sich einig, dass es ungerecht und falsch war, eine Schweizer Staatsangehörige hinzurichten. Mit Hilfe dieser Untersuchung konnte zumindest ein kleiner Einblick gewonnen werden, wie die zeitgenössische Schweizer Bevölkerung zum Fall eingestellt war.

Durch diese Fragestellungen gelingt es der Arbeit, einen Beitrag zum Fall der Carmen Mory im Speziellen, zur weiblichen Täterschaft im Ravensbrücker-Prozess im Allgemeinen und zum Umgang der Schweiz mit Schweizer Bürger:innen, welche für Kriegsverbrechen nach dem Zweiten Weltkrieg von den Siegermächten in den Nachkriegsprozessen angeklagt wurden, zu leisten.

 

Zugang zur Arbeit

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