Das christliche Bild der Juden in Schweizer Schulbüchern des 19. Jahrhunderts

AutorIn Name
Hans
Baumann
Art der Arbeit
Lizentiatsarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Beatrix
Mesmer
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
1989/1990
Abstract

Die vorliegende Arbeit versucht, auf Grund des christlichen Bildes der Juden in Schulbüchern einen wichtigen Aspekt von Judenfeindschaft in der Schweiz aufzuzeigen. Denn die antijüdischen Tendenzen sind tief in der christlichen Tradi­ tion verwurzelt. Der christliche Hauptvorwurf an das Judentum lautet, das jüdische Volk habe Jesus nicht als Messias anerkannt und seine Kreuzigung veranlasst. Ohne die alte, theologisch begründete (christliche) Judenfeindschaft ist mo­ derner, nationalistisch bzw. rassistisch begründeter Antisemitismus nicht denkbar: Die Stereotypen sind dieselben geblieben.

Schulbücher aus der deutschen Schweiz des 19. Jahrhunderts bilden die Grundlage meiner vergleichenden Quellenar­ beit. Mit Ausnahme zweier berücksichtigter Texte stammen die restlichen von Schweizer Autoren. Auf Grund des verfüg­ baren Quellenmaterials habe ich den Begriff "Schulbuch" bewusst weit gefasst, ist doch eine Verwendung für Schul­ zwecke vor allem von frühen Büchern öfters nicht eindeutig gegeben. Die Grenze zwischen Schulbuch und sogenanntem Volksbuch sind fliessend. Die verwendeten Schulbücher lassen sich vom Stoffe her grob den drei Kategorien allgemeine Geschichte, Morallehre (Ethik) und Lesebücher zuordnen. Die Lesebücher wiederum zeichnen sich im 19. Jahrhundert häufig durch eine grosse Stoffvielfalt aus.

Schulbücher bieten sich aus mehreren Gründen als Quellen an, um den theologisch begründeten Stereotypen des Has­ ses nachzugeben. Im Verlaufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird in den Kantonen die obligatorische allge­ meine Volksschule eingeführt. Ihr kommt durch die Vermittlung von Werten eine immer grössere Bedeutung zu. Bei den Schulbüchern kann ganz allgemein eine beträchtliche Breitenwirkung vorausgesetzt werden, weil andere Bildungsele­ mente weitgehend fehlen. Die meisten Schulbücher stehen zudem während langer Zeit in Gebrauch. Für meine Arbeit ist der Aspekt nicht zu unterschätzen, dass ein Thema wie das (christliche) Judenbild in den untersuchten Schulbüchern dem unmittelbaren Tagesgeschehen weitgehend entzogen ist.

Es hätte den Rahmen der vorliegenden Arbeit gesprengt, einen direkten Zusammenhang herstellen zu wollen zwischen dem in den Schulbüchern anzutreffenden negativen christlichen Judenbild auf der einen und der rechtlichen, politischen und sozialen Situation der Juden in der Schweiz auf der anderen Seite. Erfolgt doch die politische und bürgerliche Gleichberechtigung der Juden, ihre Emanzipation, im letzten Jahrhundert in der Schweiz nur äusserst langsam und - verglichen mit den liberalen Staaten Europas - spät. Erst die Totalrevision der Bundesverfassung im Jahre 1874 gewährt ihnen die volle Glaubens- und Kultusfreiheit. Allerdings schränkt das 1893 erlassene Schächtverbot die Juden erneut in ihren religiösen Vorschriften (Kultus) ein. Mit anderen Worten: Für die Juden in der Schweiz geht das Mittelalter erst vor gut hundert Jahren zu Ende.

Welche Aussagen lassen sich zum christlichen Judenbild der Schulbücher machen? Das christliche Bild der Juden ist stark negativ geprägt: Es steht voll in der antijüdischen Tendenz der christlichen Tradition mit dem ihr eigenen religiösen Antisemitismus. Das Verhältnis des Christentums zum Judentum bildet die zentrale Frage vieler Quellen, beispielsweise thematisiert anhand der Trennung von Christentum und Judentum oder der Wirkungsgeschichte von Jesus Christus. Die entsprechenden Textstellen sind häufig knapp gehalten. In kurzen Sätzen wird dann unter Umständen sehr viel gesagt. Die Unterschiede zwischen Christentum und Judentum nehmen breiten Raum ein. Auf diese Weise wird gleichzeitig der

Absolutheitsanspruch des Christentums als der vollkommenen, "neuen Weltreligion" gegenüber dem Judentum mit Ent­ schiedenheit erhoben und/oder verteidigt. Das Judentum wird immer wieder am Christentum, d.h. den chrisUichen Wer­ ten bzw. Tugenden gemessen und in keiner Art und Weise als eine eigenständige, vom Christentum unabhängige Reli­ gionsgemeinschaft zur Kenntnis genommen. Die Juden werden als Nicht-Rechtgläubige, Nichtdazugehörige dargestellt. Indem das Judentum im Gegensatz zum Christentum gesehen wird, werden der christlichen Seite automatisch die posi­ tiven Werte zugeordnet. "Echte Juden" erfüllen beispielsweise den 'WorUaut", den 'Buchstaben" des Gebotes, statt den "Geisr. Die Beispiele in Form von Gegensatzbegriffen, sogenannten Dichotomien, liessen sich beliebig fortsetzen. Aus der christlichen Sicht des Judentums in den Schulbüchern folgt, dass im Grunde nicht das Judentum, sondern umge­ kehrt, das Christentum über das Judentum definiert wird. Daher kann von einer Art (Selbst)Definition des Christentums vor dem Hintergrund des Judentums gesprochen werden. Dem Judentum werden im Prinzip nur zwei Verdienste ange­ rechnet, nämlich als eine monotheistische Religion "Wegbereiter" des Christentums gewesen zu sein. Mit der Erfüllung dieser historischen Aufgabe hat das Judentum jedoch seine Existenzberechtigung als eine eigenständige Religions­ gemeinschaft verloren.

Die Darstellung der Schulbücher zeichnet sich im übrigen vielfach durch blosse An�eutung, "Zwischentöne·, aus, die aber vom damaligen Zielpublikum sehr wohl verstanden worden sein müssen. So wird auch der Hauptvorwurf, Jesus Christus abgelehnt bzw. ermordet zu haben, lange nicht immer direkt erhoben. Meine Untersuchungen haben im weite­ ren ergeben, dass die politischen Umwälzungen in verschiedenen Kantonen (Regeneration) nicht mit einer Aenderung des traditionellen, religiös bedingten Judenbildes verbunden gewesen sind. Dieses bleibt während des ganzen 19. Jahr­ hunderts im wesentlichen unverändert. Ebenso sind in den SchulbOChern in Bezug auf den christlichen Absolutheitsan­ spruch gegenüber dem Judentum keine grundsätzlichen Unterschiede festzustellen: Auch sonst aufgeklärte bzw. tole­ rante Autoren vermögen sich nicht einem theologisch begründeten chrisUichen Antijudaismus zu entziehen. Die Zwie­ spältigkeit des durch die Schulbücher gezeichneten (Juden)Bildes bleibt bestehen.

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