CfP: Öffentliche Auftragskunst in der Schweiz in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

4. Juni 2023
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Dem komplexen Verhältnis von autonomem Kunstschaffen und Auftragskunst gilt die vom Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft (SIK-ISEA) geplante Tagung. Sie wird anlässlich der Herausgabe des Catalogue raisonné der Gemälde, Wandbilder und Glasmalereien von Augusto Giacometti organisiert. Der Bergeller Künstler hinterliess nicht nur ein umfangreiches Auftragswerk, er hatte als Mitglied und späterer Präsident der Eidgenössischen Kunstkommission (EKK) ebenso die Positionen der Jury und der Auftraggeberschaft inne. In den Fokus soll die auf die Schweiz bezogene Auftragskunst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts rücken, einer vom Aufbruch in die Kunst der Moderne und von den zwei Weltkriegen geprägten Epoche. Neue Denk- und Schaffensmodelle der Moderne, die Suche nach einer schweizerischen kulturellen Identität in einer vom Nationalismus bestimmten Zeit, das Transportieren propagandistischer Aussagen durch die visuellen Künste sowie nicht zuletzt das staatliche Unterstützungsprogramm für arbeitslose Kunstschaffende, das sich in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit idealerweise an möglichst viele Kunstschaffende richten sollte, wirkten gleichermassen auf die Kunst ein. Diese fand sich so in einem Spannungsverhältnis zwischen politischem Nationalismus und identitätsstiftendem Regionalismus auf der einen sowie autonomem künstlerischem Interesse und wirtschaftlicher Abhängigkeit ihrer Urheberinnen und Urheber auf der anderen Seite.

Weniger als eine Abfolge innovativer Schritte, sondern vielmehr als ein facettenreicher und vielschichtiger Prozess, an dem sich Akteure mehrerer Generationen beteiligten, ist das Kunstschaffen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu verstehen. Als Reaktion auf die traditionelle Kunst und die Dominanz der figurativ arbeitenden Kunstschaffenden – wichtige Wettbewerbe waren in der Regel Mitgliedern der konservativen Künstlervereinigung GSMBA vorbehalten – gründeten Künstlerinnen und Künstler gegen Ende des Ersten Weltkriegs und in der Zwischenkriegszeit Bewegungen wie Dada, Das Neue Leben oder Der Moderne Bund. Wenngleich einzelne Bewegungen sich mit der Ausschliesslichkeit eines Manifests zu einer modernen Kunst bekannten, balancierten nicht zuletzt im Bereich der Auftragskunst Kunstschaffende zwischen den vermeintlich unauflöslichen Gegensätzen von figurativen Darstellungen und abstrahiertem, ungegenständlichem Schaffen. Im Kontext der sogenannten Geistigen Landesverteidigung setzte in den 1930er-Jahren zusehends eine gesellschaftliche Instrumentalisierung der Bilder ein, um ideologische und politische Ziele zu legitimieren und zu festigen. Die bundesrätliche Botschaft von 1938 proklamierte mit ihrer Losung «Einheit in der Vielfalt, Vielfalt in der Einheit» eine vermeintlich helvetische Kunst im öffentlichen Raum, die abgewandt von avantgardistischen Tendenzen eine national aufgeladene Ikonografie beförderte. Die Instrumentalisierung der Kunst fand in der Landesausstellung von 1939 in Zürich einen Kulminationspunkt. Im Spannungsfeld von restriktiver Kulturpolitik und selbstbestimmtem Schaffen positionierten sich Künstlerinnen und Künstler, die in ihren Auftragswerken dennoch versuchten, ihren Grundsätzen treu zu bleiben, oder aber Zugeständnisse an den Publikumsgeschmack und an die Politik machten. Konnten die männlichen Kunstschaffenden der marginalisierten avantgardistischen Kunstströmungen auf diese Weise von der staatlichen Unterstützung profitieren, so hatten es Künstlerinnen von Grund auf schwerer, überhaupt an Auftragswerke zu gelangen, basierten doch die geschaffenen Strukturen weitgehend auf von Männern dominierten Seilschaften. Die EKK beispielsweise bestand bis in die frühen 1920er Jahre ausschliesslich aus Männern, und die GSMBA weigerte sich bis 1971, Frauen als Aktivmitglieder aufzunehmen.

Die Tagung soll anhand von Fallbeispielen die Rolle der verschiedenen Beteiligten an Auftragskunst – beispielsweise jene der Kunstschaffenden, Auftraggeberinnen, Kritiker und Politikerinnen – diskutieren und historisch verorten. Sie soll die Rolle der Netzwerke bei der Vergabe von Aufträgen beleuchten. Zu den Netzwerken zählten Jurys, Amtsstellen, staatliche und kirchliche Institutionen, Bauplanung und Kunstkritik gleichermassen. Ferner gilt es, die künstlerische Autonomie in Hinsicht auf das Verhältnis zwischen Auftragskunst und selbst initiierten Projekten kritisch zu beleuchten. Bezogen auf die künstlerische Eigenständigkeit soll gefragt werden, inwieweit die Künstlerinnen und Künstler in ihrem Schaffen eine Nachfrage mit Blick auf die Vergabe von Aufträgen antizipieren. Die Tagung widmet sich Problemstellungen, die über das Historische hinaus Geschichte und Gegenwart aufeinander beziehen. Dazu zählen Fragen nach der aktuellen Vergabe und Ausführung von Auftragswerken, nach der künstlerischen Konformität, nach Erhaltung und Konservierung sowie die anhaltende, in einer breiten Öffentlichkeit geführte Diskussion um historisch und politisch negativ aufgeladene Denkmäler.

Themenvorschlägen
Auch der wissenschaftliche Nachwuchs wird ausdrücklich zur Einsendung von Themenvorschlägen eingeladen. Für die Referate sind jeweils 20 Minuten vorgesehen; Tagungssprachen sind Deutsch, Französisch und Englisch, wobei mindestens passive Kenntnisse in allen Sprachen vorausgesetzt werden. Aufenthaltskosten und Reisespesen (2. Kl. / economy) werden gegen Vorlage der Belege von den Veranstaltern übernommen. SIK- ISEA erbittet Exposés für Referate (max. 1 Seite) mit kurzem Lebenslauf bis 4. Juni 2023 per E-Mail an Marianne Wackernagel (marianne.wackernagel@sik-isea.ch).

Organisiert von
Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft (SIK-ISEA)

Veranstaltungsort

SIK-ISEA
Zollikerstrasse 32
8032 
Zürich

Zusätzliche Informationen

Kosten

CHF 0.00

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