Bürokratiekritik im 19. Jahrhundert. Eine historische Spurensuche anhand der Eisenbahn-Systemfrage.

AutorIn Name
David
Dahinden
Art der Arbeit
Lizentiatsarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christian
Pfister
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2008/2009
Abstract


Seit Gründung des modernen Bundesstaates sah sich die eidgenössische Bundesverwaltung immer wieder mit Kritik konfrontiert. Gemeinhin unter dem Synonym „Bürokratiekritik“ zusammengefasst, nahmen Teile der Bevölkerung den Staatsapparat als zu teuer, zu wenig leistungsorientiert und „kundenfeindlich“ wahr. Kommuniziert wurde diese Kritik in mannigfaltiger Form. In den letzten Jahren nahmen insbesondere neoliberale Vordenker der bürgerlichen Parteien in der Vorschriftenfülle der Bundesverwaltung und der ausgedehnten Staatstätigkeit des Bundes eine Gefahr für die Markteffizienz der Schweizer Wirtschaft wahr. Die dauerhaften Angriffe auf die Organisationsstrukturen der Bundesverwaltung verfehlten ihre Ziele nicht. Anfangs der 1990er Jahre geriet der in der Vergangenheit sehr beständige Verwaltungsaufbau in den Fokus verschiedener Reformvorlagen. Bürokratiekritik hat in den letzten Jahren dazu beigetragen, die Bundesverwaltung grundlegend umzubauen.

Ursache, Entstehung und Inhalt einer „Bürokratiekritik“ liegen aber weitgehend im Dunkeln. Im Vordergrund der vorliegenden Studie stand demnach speziell die Frage, inwiefern die aktuell wirkungsvolle „Bürokratiekritik“ ein Phänomen jüngerer Zeitrechnung ist, oder ob dieselben Kritikpunkte bereits in der Gründungszeit der Bundesverwaltung ihren Einfluss auf diese bemerkbar machten. Anhand einer historischen Spurensuche wurden bürokratiekritische Argumentationslinien seit Gründung des Bundesstaates 1848 bis zur Jahrhundertwende verfolgt und bewertet. Im speziellen stand das zeitgenössische Verständnis der Begriffe „Bürokratie“ und „Bürokratiekritik“ unter besonderer Beachtung. Parallel interessierten ebenfalls die Verknüpfungen zwischen der „Bürokratiekritik“ als eigenständigen Argumentationskomplex und weiteren gesellschaftlichen Konfliktlinien und Ideologien.

Aus arbeitsökonomischer Sicht erschien allerdings eine thematische Eingrenzung des Untersuchungsraumes als sinnvoll. An dieser Stelle bot sich im fokussierten Zeitraum speziell eine nähere Betrachtung der „Eisenbahndebatte“ an. Fragestellungen, die den Eisenbahnbau betrafen, stiessen in der Öffentlichkeit auf einen kontroversen Boden und gipfelten in politischen Auseinandersetzungen. Besonders die Frage nach privater oder staatlicher Eisenbahnhoheit beschäftige die Politik und Gesellschaft über einen langen Zeitraum. Im Kontext dieser Lizentiatsarbeit interessierte besonders die Konsequenz einer potentiellen Eisenbahnverstaatlichung speziell. Mit der diskutierten Übernahme der Betriebsund Unterhaltsverantwortung der Bahnen durch den Bund, ging zwangsweise ein Ausbau des Verwaltungsapparates einher. Grundsätzlich strukturieren vier Hauptteile die Studie. Während der erste Teil sein Augenmerk auf theoretische Betrachtungen zu den Begriffen „Bürokratie“ und „Bürokratiekritik“ legt, widerspiegeln drei chronologisch geordnete Kapitel einschneidende Zäsuren der eidgenössischen Eisenbahngeschichte.

Im zweiten Teil dient das erste Eisenbahngesetz von 1852 als Zäsurpunkt, das die vorläufige private Hoheit über Bau und Betrieb der Eisenbahnen für einen langen Zeitraum bekräftigte. Im Vordergrund standen die Diskussionen im Gesetzgebungsprozess innerhalb der eidgenössischen Räten und Expertengremien und damit verbundene organisationsspezifische Argumentationslinien, die als „Bürokratiekritik“ verstanden werden konnten. Der dritte Teil beschäftigt sich mit der Entwicklung hin zum revidierten Eisenbahngesetz von 18 2 und der damit verbundenen Stärkung des bundesstaatlichen Einflusses.

Schlussendlich bildet im letzten Teil der Verstaatlichungsvorgang die grundlegendste Zäsur der ältern Eisenbahngeschichte. Untersucht wurden die finalen Diskussionen der “Systemfrage“ der 1880er und 1890er Jahre und die Abstimmungsdebatten 1897.

Zusammengefasst resultierten aus der Studie drei Erkenntnispunkte:
1.„Bürokratiekritik“ war und ist nicht ausschliesslich ein Phänomen der jüngsten Zeitepoche. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts liessen sich in der Schweiz organisationsspezifische Debatten nachweisen, die unter die Begrifflichkeit der „Bürokratiekritik“ fallen. Tendenziell verband sich mit „Bürokratie“ ein negativ besetzter und umgangssprachlich genutzter Begriff, der eine ablehnende Haltung zur öffentlichen Verwaltung und einer ausgedehnten Bundestätigkeit zum Ausdruck brachte.

2. Grundsätzlich wurden innerhalb des Eisenbahndiskurses zwei unterschiedliche bürokratiekritische Argumentationslinien gefunden. Einerseits thematisierte eine liberale Kritikform vornehmlich ökonomische Aspekte der Verwaltungsorganisation, während eine konservative, föderalistische Form politische „Gefahren“ in den Vordergrund stellte. Beide Formen charakterisierten sich durch die politische Einstellung ihrer Trägerschaft.

3. Innerhalb des Eisenbahndiskurses war die geäusserte „Bürokratiekritik“ durchgehend an übergeordnete ideologische Vorstellungen gekoppelt. In diesem Sinne konnte „Bürokratiekritik“ nie als eigenständiger Argumentationskomplex gesehen werden.

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