Audiovisuelle Spuren, Quellen der Freude (und der historischen Forschung!)

Autor / Autorin des Berichts
Ella
Müller
Universität Zürich
Zitierweise: Müller, Ella: Audiovisuelle Spuren, Quellen der Freude (und der historischen Forschung!), infoclio.ch Tagungsberichte, 01.12.2021. Online: <https://www.doi.org/10.13098/infoclio.ch-tb-0233>, Stand: 19.04.2024

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Audiovisuelle Quellen haben eine starke Wirkmacht und begleiten Historikerinnen und Historiker seit der Entwicklung technischer Verfahren zur Speicherung von Bild und Ton im 19. Jahrhundert. Allerdings werden Bilder in den Geschichtswissenschaften noch immer vorrangig zur Illustration verwendet und die Forschung mit audiovisuellen Quellen ist nach wie vor die Ausnahme. Während Bilder und im Besonderen Fotografien zwar seit einigen Jahren vermehrt Aufmerksamkeit erfahren, befinden sich die Methoden zur Analyse und Kritik von Film, Video und den vielfältigen Audioaufnahmen noch immer in ihren Anfängen. Um den Austausch zur Visual History in Forschung und Lehre zu stärken, widmete sich der Workshop «Audiovisuelle Spuren, Quellen der Freude (und der historischen Forschung)», zu dem CHRISTINE GRUNDIG (Zürich) gemeinsam mit STEFAN LÄNZLINGER (Zürich) und JONAS ARNOLD (Zürich) eingeladen haben, der Betrachtung audiovisueller Quellen sowie den methodischen Ansätzen für ihre Analyse.1

In ihrer Begrüssung stellte Christine Grundig das Digital History Lab vor, dessen Direktor MARTIN DUSINBERRE (Zürich) sowie auch MONIKA DOMMAN (Zürich) als Mitglieder des Ausschusses vor Ort waren. Das Digital History Lab der Universität Zürich soll ein Forum für den Austausch zwischen Historikerinnen und Historikern bieten und Fragen zum Einsatz von digitalen Tools und Methoden in Lehre und Forschung beantworten. Neben dem Vermitteln von digital skills an Studierende und Lehrende sowie eigener Forschung organisiert das Digital History Lab Veranstaltungen und Workshops, um den Austausch im Bereich der Digital History weiter anzuregen. Im aktuellen Workshop referierten Jonas Arnold vom Archiv für Zeitgeschichte (AfZ) und Stefan Länzlinger vom Schweizerischen Sozialarchiv als Experten für audiovisuelle Quellen, um Einblicke in die Methoden der Visual History sowie die Digitalisierungspraktiken in den Archiven zu geben.

Jonas Arnold bot mit seinem Vortrag einen Einstieg in die Visual History. Er gab einen Überblick zum Forschungsstand, wobei er für Bilder, Bewegtbilder und Töne als eigene Quellengattung argumentierte. Anhand einiger Fotografien stellte er Besonderheiten dieses Abbildungsverfahrens vor, etwa dass Fotografien im ersten Betrachtungsmoment nur eine zweidimensional belichtete Fläche seien, die aber das Geschehende zum Zeitpunkt der Aufnahme einfangen und somit im Gegensatz zur Historienmalerei keine Rekonstruktionen sind. Aus diesem Grund stellen Fotografien eine wichtige Quellengattung dar, mit der sorgfältig umgegangen werden muss. Er wies darauf hin, dass ein Bild – anders als oft angenommen – inhaltlich nicht schnell erfasst werde und deswegen für eine sorgfältige Quellenanalyse von Bildern die Methoden der Visual History wichtig seien. Im Anschluss führte Arnold mit den Workshopteilnehmenden eine visuelle Diskursanalyse anhand einer Fotografie durch, wobei er die Beschreibung des Bildes im ersten Schritt betonte. Ihm zufolge ist eine distanzierte Betrachtung für eine reflektierte Analyse notwendig, erst anschliessend beginnen die inhaltliche Quellenkritik, die Kontextualisierung sowie die Einordnung und Betrachtung der Rezeption der Fotografien. Das Referat führte zu einer angeregten Diskussion über unterschiedliche Betrachtungen von Fotografien durch Archivarinnen und Historiker mit dem Fazit, dass man bei der Analyse von Fotografien grundsätzlich davon ausgehen sollte, dass diese Bilder gestellt sind. Insbesondere ein Zugang über die Materialität des Bildes – ob dieses nun analog oder digital vorliegt – könne helfen, solche Fragen zu beantworten.

FELIX RAUH (Bern) stellte anschliessend das Angebot von Memoriav vor, das mit Memobase ein audiovisuelles Medienportal führt. Memobase bietet Zugang zu grossen Beständen verschiedener Archive in digitalisierter Form und mit Metadaten. Verfügbar sind über diese Datenbank beispielsweise alle Ausgaben der Schweizer Filmwochenschau.

Stefan Länzlinger setzte den Workshop mit seinem Vortrag zum Film als historische Quelle fort. Für ein vertiefteres Verständnis erläuterte er einleitend, wie Archive in der Auswahl und Digitalisierung von Filmen vorgehen. Dies betonte er vor allem auch deswegen, weil Historikerinnen und Historiker fast immer mit Digitalisaten arbeiten. Anschliessend bot er einen Überblick zur Rolle des Films in der Geschichtswissenschaft. Er stellte für dieses Medium fest, dass derzeit noch wenig eigenständige Theoriebildung existiert. Allerdings, so ergänzte er, bietet die Visual History neue Fragestellungen für die Zeitgeschichte. Zum geschichtswissenschaftlichen Umgang mit Filmen bot der Referent schliesslich fünf Zutaten: Demnach sollte der Film erstens in seiner historischen Bedingtheit verstanden werden, zweitens sollte man sich die Filmlesetechnik aneignen, um beispielsweise Belichtung, Ton oder mise en scène zu verstehen, drittens müssen Fragen der Rezeption und Aufführungspraktiken gestellt werden, viertens materielle Hinterlassenschaften wie Drehbuchvarianten oder Zensurakten betrachtet werden und fünftes sollte der Film in einen Vergleich gestellt werden. Anschliessend führte der Referent zusammen mit dem Publikum des Workshops anhand zweier Beispiele eine mögliche Quellenanalyse durch. Länzlinger konnte anhand der ausgewählten Videoausschnitte überzeugend darlegen, wie Videomaterial den Historikerinnen und Historikern ermöglicht, sich ein Bild davon zu machen, wie unterschiedliche Generationen kommuniziert haben, da viele neue Aspekte wie Tonarten, das Gegenübertreten oder die Mimik der Menschen zum Zeitpunkt der Interaktion betrachtet werden können, zu denen schriftliche Quellen oder die Oral History keinen Zugang bieten.

In der Abschlussdiskussion bemerkte Monika Domman die Fragilität der audiovisuellen Quellen, die ohne Digitalisierung bereits verloren wären. Trotzdem sei es wichtig, die ursprüngliche Materialität der Quellen nicht zu vergessen, wenn der Inhalt digital betrachtet wird. Die Digitalisierung von Archivmaterialien bietet also Chancen für eine bessere Zugänglichkeit der Quellenbestände, gerade bei audiovisuellen Quellen; zugleich ist auch ein Verständnis für die Digitalisierungsschritte wichtig, um eine vertiefte Quellenkritik ausführen zu können. Für den Umgang mit solchen digitalisierten Archivbeständen bräuchten wir mehr Medienkompetenz, argumentierte Jonas Arnold. Er sprach sich zudem für den Erhalt des Objektes trotz Digitalisierung aus, denn mit der digitalen Transformation rette man zwar den Inhalt, aber eben auch nur diesen.

Nach den Präsentationen und den daraus entstandenen Diskussionen zu Möglichkeiten der Analyse audiovisueller Quellen waren sich die Teilnehmenden des Workshops daher einig, dass die Sicherung und Nutzbarmachung des Archivgutes intensiviert werden muss, da dies unter anderem auch ermöglicht, oft verborgene audiovisuelle Quellen vermehrt in der historischen Forschung einzusetzen. In den Diskussionen hat sich nämlich auch gezeigt, dass die Betrachtung audiovisueller Quellen als Quellen sui generis neue Fragestellungen und Betrachtungsweisen ermöglicht. Nicht zuletzt, so fügten Arnold und Domman hinzu, sind die von Archiven nach archivarischen Standards professionell erschlossenen Inhalte sowie die zur Verfügung gestellten Metadaten für Nutzerinnen und Nutzer als verlässliche Angaben sehr wichtig und wertvoll, um eine saubere Quellenkritik durchführen zu können.


Anmerkungen

1 Ella Müller ist Tutorin in einem Seminar von Christine Grundig zu Digital History an der Universität Zürich. Dieser Bericht entstand im Auftrag der Organisierenden des Workshops.


Programm:

  • Christine Grundig (Digital History Lab, Universität Zürich): Begrüssung und Einleitung
  • Jonas Arnold (Archiv für Zeitgeschichte): Fotoanalyse
  • Felix Rauh (Memoriav): Memoriav und Memobase
  • Stefan Länzlinger (Schweizerisches Sozialarchiv): Filmanalyse
  • "Wrap-up" und Verabschiedung durch die Organisierenden
Veranstaltung
Audiovisuelle Spuren, Quellen der Freude (und der historischen Forschung!)
Organisiert von
Christine Grundig (Digital History Lab, Universität Zürich), Stefan Länzlinger (Schweizerisches Sozialarchiv), Jonas Arnold (Archiv für Zeitgeschichte, ETH Zürich)
Veranstaltungsdatum
Ort

Zürich

Sprache
Deutsch
Art des Berichts
Conference