In der Arbeit Antike aus Polygonen. Körpergeschichtliche Rezeptionen in digitalen Spielen konnte festgehalten werden, dass sich digitale Spiele als lohnendes Untersuchungsfeld für die Rezeptionsgeschichte der Antike eignen. Hierbei kann auf der Transformationstheorie von Hartmut Böhme aufgebaut werden, die von einer wechselseitigen Beeinflussung der Aufnahme- und Rezeptionskultur ausgeht. Als einflussreiches Populärmedium erreichen digitale Spiele ein Millionenpublikum und wirken sich auf kollektive Geschichtsbilder und Geschichtsvorstellungen aus. Dabei, wie bei allen Rezeptionen, sind die digitalen Spiele und deren Entwicklerstudios nicht isoliert analysierbar und müssen in einen (zeit-)historischen Kontext gestellt werden. Wie werden die historischen Figuren der Kleopatra VII und Gaius Iulius Caesars in den digitalen Spielen rezipiert und präsentiert? Welche Sehgewohnheiten beeinflussen diese Darstellung und wie werden Besonderheiten der Figuren spielemechanisch umgesetzt? Welche vermeintlich antiken Bilder von Weiblichkeit und Männlichkeit werden in den untersuchten digitalen Spielen (re-) konstruiert? Welchen Rollen dienen diese Bilder und differenzieren sie sich? Dabei soll auch die Frage der Authentizität berücksichtigt werden, während nicht von einem simplen „richtig“ oder „falsch“ ausgegangen wird und die Debatten der historical accuracy zwischen Entwickler:innen und Spielenden miteinbezogen werden. Mit diesen Fragen wurden die digitale Spiele Total War. Rome 2 (2013) und Assassin’s Creed: Origins (2017) analysiert.
Die Rezeption der historischen Figuren der Kleopatra VII und des Gaius Iulius Caesar in den untersuchten digitalen Spielen ist eng verknüpft mit den Sehgewohnheiten, die sich bereits in anderen Populärmedien, wie in den Spielfilmen als audiovisuell nahverwandtes Medium, etabliert haben. So ist die Figur der Kleopatra gekennzeichnet vom Topos der femme fatale, der Verführerin, die sexuelle Reize ausspielt und diesen Vorstellungen körperlich entspricht. Ihre Darstellung ist massiv von einer jahrtausendealten Rezeptionstradition beeinflusst, die mit der augusteischen Propaganda einsetzte und bis ins digitale Zeitalter anhält. Die Entwickler:innen sind sich diesem Umstand bewusst, so wurden bei der Entwicklung einige Expert:innen wie Ägyptologinnen, Archäologen und Historikerinnen beigezogen. Aber auch die von Populärmedien geprägten Sehgewohnheiten fliessen in bestimmtem Mass in die Präsentation des digitalen Spiels ein, da sich das Publikum ansonsten zu sehr vor den Kopf gestossen fühlen würde. Die zeithistorischen Zustände in den Entwicklerstudios, allen voran bei Ubisoft, dem Studio hinter Assassin’s Creed: Origins, wo eine Atmosphäre von toxischer Männlichkeit und Machismus relevante Stellen beherrschte, wirkten sich auch auf die Darstellung der Antike in digitalen Spielen aus. Bei der Betrachtung von weiteren Figuren fiel auf, dass ein zu starker Ausbau von weiblichen Figuren bei einigen Spielenden eine enorm negative Reaktion auslöste. Die untersuchten digitalen Spiele sind beste Beispiele für die Aushandlung dieses Kulturkampfphänomens, das in einer digitalen Antike ausgetragen wird. In den angesprochenen Zielgruppen greift der Ansatz einer Geek Masculinity besonders, nach der sich bestimmte männliche Spieler von einer zunehmenden Repräsentation weiblicher Spielfiguren im Medium des digitalen Spiels angegriffen fühlen und unter dem Deckmantel der historical accuracy einen regelrechten Kulturkampf führen. Die Analyse und Kontextualisierung aus einer ahistorischen Perspektive bietet sich hier an, um aufzuzeigen, inwiefern sich diese Verhandlungen und Transformationen bereits in einen langfristigen Reproduktions- und Rezeptionsprozess eingliedern und durch gewisse Seh- und Erlebnisgewohnheiten befangen sind.
Körperlichkeit(en) und Sexualität sind in den betrachteten Spielen fast ausschliesslich im Rollenspiel Assassin’s Creed: Origins anzutreffen, da diese Aspekte in Total War. Rome 2 allein genrebedingt keine grosse spielmechanische Funktion einnehmen. Der Topos der sexuellen femme fatale ist in Assassin’s Creed: Origins mit Kleopatra sowie weiteren non playable characters (NPCs) präsent und in einer orientalisierenden Rolle festgeschrieben. Eine interessante Beobachtung ist zudem die negative Assoziation der Sexualität, die nicht der heutigen heteronormativen Ansicht entspricht. Aufgrund der hier veranschaulichten Männlichkeitsbilder muss aber festgestellt werden, dass diese im Vergleich zur gezeigten Weiblichkeit begrenzt und weniger komplex auftreten, was wiederum auf das Quellenkorpus zurückzuführen ist. Bei der Untersuchung der Quellen liess sich zudem bereits im Verlauf weniger Jahre eine Entwicklungstendenz und Veränderung der Körperlichkeit(en) feststellen.