Mit dem Ewigen Frieden und der Soldallianz von 1516/21 festigten und verstetigten sich die Aussenbeziehungen zwischen Frankreich und dem Corpus helveticum und die Partner erneuerten ihr Bündnis bis 1663 regelmässig. Ein Kernbereich der Allianz, der die gemeinsamen Beziehungen ausserordentlich stark prägte, waren die Schweizer Solddienste in Frankreich und die finanziellen und symbolischen Ressourcen, die den eidgenössischen Orten und den am Geschäft beteiligten Regierungseliten aus diesen zuflossen. Während der langen Regierung König Ludwigs XIV. veränderten sich die Rahmenbedingungen im Solddienst markant und in der Literatur wird im Zusammenhang mit diesen Veränderungen der Name eines einflussreichen Akteurs herumgereicht. Gemeint ist Peter Stuppa (1619 – 1701), ein aus Chiavenna im damaligen Untertanengebiet der Drei Bünde stammender Solddienstoffizier, der von Mitte der 1630er Jahre bis zu seinem Tod 1701 in französischen Diensten stand. Da er über Zugang zu Ludwig XIV. und Kriegsminister Louvois verfügte, gelang ihm ein spektakulärer militärischer Aufstieg und er erwarb sich grossen Einfluss auf die Solddienst- und Aussenbeziehungen der französischen Krone mit dem Corpus helveticum.
Die aussergewöhnliche Karriere Peter Stuppas sowie dessen Position in den Solddiensten und am französischen Hof sind bis heute nur bruchstückhaft bekannt. Aktuelle Untersuchungen zu den Rahmenbedingungen und Veränderungen der eidgenössischen Solddienste unter Ludwig XIV. und zu den Akteuren, die auf diese einwirkten, fehlen ebenfalls. Die Dissertation setzt an diesen beiden Leerstellen an: Sie arbeitet zum einen Stuppas Biografie, dessen sozialen Status, Militärkarriere und weiteres Wirken u.a. als Agent und Vermittler auf und identifiziert die personalen Netzwerke, in denen er sich bewegte. Zum anderen zielt sie auf ein besseres Verständnis der von Frankreich engagierten Schweizer Truppen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ab, indem etwa die Rolle des Schweizer Garderegiments und der übrigen eidgenössischen Einheiten sowie deren Integration in die französische Armee untersucht werden. Weiter gilt das Augenmerk den Armeereformen und deren Folgen für die Truppen und die Militärunternehmer sowie der Beförderungspraxis und der Bedeutung von Offiziersstellen als Patronageressourcen und Mittel der Aussenpolitik. Die militärischen und administrativen Funktionen, mit denen die Krone Peter Stuppa betraute, erlaubten es diesem, direkt auf die Solddienste einzuwirken. Die Dissertation analysiert die Fähigkeiten und Erfahrungen Stuppas, die ihn für die Rolle des Entscheidungsträgers empfahlen, fragt nach dessen Auftraggebern und Partnern bzw. Kritikern oder Gegnern und auch nach der Wirkung seiner Einflussnahme.
Nach der vollständigen Übernahme der Regierungsgeschäfte 1661 und im Hinblick auf die geplanten Expansionskriege unternahm Ludwig XIV. grundlegende Reformen der Schweizer Soldtruppen. Diese dauerten bis 1672 und wirkten sich massiv auf die Beziehungen zum Corpus helveticum aus bzw. setzten die Bestimmungen der Allianz in gewissen Bereichen faktisch ausser Kraft. Das Schweizer Garderegiment wurde in seinem Bestand stark dezimiert und zu einer kleinen, loyalen Eliteeinheit umgeformt. Bei den übrigen Einheiten strebte Ludwig Kosteneinsparungen bei gleichzeitig massiver Bestandsvergrösserung an. Im Auftrag des Königs fand François Mouslier, der französische Resident in der Eidgenossenschaft, erfolgreich Wege, um der Krone einen möglichst unkomplizierten Zugang zu eidgenössischen Söldnern zu verschaffen etwa indem er verbotenerweise billige Freikompanien anwarb, betrügerische Werbeverträge ausstellte oder für Hauptmansstellen Offiziere aus den Zugewandten Orten bevorzugte, die in den XIII Orten als unerwünschte Konkurrenten wahrgenommen wurden. Weiter ging es der Krone um die Möglichkeit, die Schweizer Soldtruppen flexibel, d.h. auch für Angriffskriege einzusetzen, und allgemein mehr Kontrolle über die Truppen und die Beförderung der Offiziere auszuüben. Mehrere dieser Ziele verstiessen gegen Bestimmungen der Allianz (garantierter Sold, definierte Anwerbeverfahren, kein Einsatz der Truppen in Offensivkriegen). Im Wissen, dass ihm die eidgenössischen Bündnispartner aufgrund der Machtasymmetrie und ihrer Abhängigkeit von seinen materiellen und symbolischen Ressourcen ausgeliefert waren, nahm es Ludwig XIV. in Kauf, diese mit seinem Vorgehen zu brüskieren und das Vertrauen bei den eidgenössischen Orten zu beschädigen.
Die Reformen bis 1672 hatten weitreichende Folgen: Ludwig etablierte eine neue, kostengünstigere Tarifpolitik für Schweizer Söldner, indem er den Sold pro Mann und Monat langfristig auf 6 und 5 Ecus drückte (statt wie in der Allianz definiert, 7 Ecus). Das massive Truppenwachstum (phasenweise standen gleichzeitig 8 Schweizer Regimenter zu jeweils 12 oder mehr Kompanien, 50 Freikompanien und das Garderegiment im Dienst) und die jahrzehntelange, fast ununterbrochene französische Kriegführung führten mit dem stehenden Heer zu einer neuen Militärorganisation. Das immense Armeewachstum veränderte das Offiziersgefüge markant, denn der wachsende Stellenmarkt eröffnete Hunderten von Offizieren, die nicht aus den traditionellen Eliten der eidgenössischen Orte stammten, Chancen für Karrieren, Einkünfte und sozialen Aufstieg.
Im Netzwerk der Schweizer Gardehauptleute und im Umfeld des Kriegsministeriums nahm Peter Stuppa eine Sonderstellung ein, die sich diffus bereits in den 1650er Jahren und immer stärker ab Ende der 1660er Jahre abzeichnete. Stuppa, der zunächst kräftig bei der illegalen Aushebung von Freikompanien mitwirkte, stand dem Kriegsminister offensichtlich beratend zur Seite, als 1668 die Hälfte der Gardekompanien entlassen wurde. Nach dieser Personalbereinigung in der Elitetruppe traten Kriegsminister Louvois immer klarer als Stuppas Patron und Auftraggeber und Stuppa wiederum als dessen nützliche Kreatur und loyaler Untergebener in Erscheinung. Als Ludwig XIV. Stuppa 1671 zu einer grossen Werbemission in die Eidgenossenschaft entsandte, profilierte sich dieser als effizienter Unterhändler mit wirkungsvollen Beziehungen zu den Regierungseliten und als profunder Kenner der komplexen politischen Verhältnisse in den Orten. Stuppas Erfolg honorierte
die Krone mit Beförderungen und mit der zunehmenden Übertragung formeller und informeller Funktionen: 1672 mit dem Kommando über ein eigenes Regiment, 1672 – 1673 mit der Ernennung zum militärischen Gouverneur der Städte Neuss und Utrecht während des Holländischen Kriegs, mit Beförderungen bis in den Rang des Generalleutnants der französischen Armee und schliesslich 1685 mit der Ernennung zum Obersten des Schweizer Garderegiments. Informell übertrug der König Stuppa ausserdem ab 1674 mehr und mehr Funktionen, die er stellvertretend für den minderjährigen Generalobersten der Schweizer und Bündner Truppen, Louis Auguste de Bourbon, Duc du Maine (1670 – 1736), ausübte. In dieser einflussreichen Position befasste sich Stuppa bis zu seinem Tod 1701 mitsämtlichen Bereichender Schweizer Truppen, war an ihrer Organisation und Administration beteiligt und kam auch mit Fragen der Aussenbeziehungen in Berührung. In dieser Rolle wurde er auch zur wichtigsten Anlaufstelle für die Vermittlung von eidgenössischen Anliegen am Hof. Indem der König und Kriegsminister ihm die Personalempfehlungen für die Schweizer Truppen übertrugen und ihn ermächtigten, sämtliche subalternen Chargen zu besetzen, war Stuppa während mehr als 20 Jahren der unumgängliche militärische Patron und Patronagebroker für die Angehörigen des Corpus helveticum. Ludwig XIV. protegierte Stuppa in sämtlichen Funktionen, auch als der eigentlich amtierende Generaloberst du Maine die Volljährigkeit erreicht hatte, und stützte sich bei seinen Entscheidungen zu den Schweizer Truppen bis zu Stuppas Tod auf dessen Erfahrung und Empfehlungen.
Mit der Analyse der diversen Rollen, die Peter Stuppa in unterschiedlichen Kontexten eingenommen hat, legt die Dissertation eine Mikrogeschichte zu den französisch-eidgenössischen Beziehungen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts vor. Sie zeigt erstmals auf, wie stark sich die Militärreformen zwischen 1661 und 1672 auf die Aussenbeziehungen auswirkten und welche Bedeutung dem mehrheitlich informell wirkenden Akteur Peter Stuppa, einem Emporkömmling aus der Bündner Peripherie, im System Ludwigs XIV. zukam.