„Die schönste Sammlung“. Notarielle Praxis und Transaktionsräumlichkeiten im Spätmittelalter. Die Freiburger Notariatsregister von Fülistorf und Manot (1410 – 1425)

AutorIn Name
Simona
Generelli
Art der Arbeit
Dissertation
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christian
Hesse
Kodirektion
Prof. Dr. Martine Ostorero (Universität Lausanne)
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2023/2024
Abstract

Im Staatsarchiv Freiburg (StAF) wird die umfangsreichste Sammlung von mittelalterlichen Notariatsregistern der heutigen Schweiz aufbewahrt – insgesamt sind es 175 Register. Obwohl diese Quelle wertvolle Informationen über die damalige Gesellschaft, die Wirtschaft einer mittelgrossen Gewerbestadt und deren Produktion enthält, wurde sie bis heute nur punktuell untersucht. Es existieren kaum gesamthafte Auswertungen, sondern vor allem Studien zu spezifischen Themen, wie zum Pferdehandel, zur Tuchproduktion oder zu den in der Stadt tätigen Geldverleihern. Lediglich zwei Register wurden bislang ediert, beide von Katrin Utz Tremp: das älteste Register, das sogenannte Registrum Lombardorum (zusammen mit L. Dorthe, 2016) und das Register des Notars Johann Albi (2021). Dementsprechend sind auch die Transaktionen in ihrer Gesamtheit kaum erforscht, sodass unklar bleibt, wozu die Dienste der Notare gebraucht und welche Geschäfte überhaupt in die Register eingetragen wurden. Diese Dissertation hat sich das Ziel gesetzt, diese Forschungslücke zu schliessen.

Folgende zwei Fragestellungen bilden den Kern dieser Arbeit: Zunächst geht es um die Fragen, wie ein Notariatsregister aussieht, welche Informationen man darin finden kann und in welcher Form diese dargestellt sind. Diese Analyse gibt die Möglichkeit, auch allgemeine Beobachtungen über die notarielle Praxis im Spätmittelalter – zum Beispiel zu den Arbeitsbedingungen und -rhythmen oder zu den Geschäftsbeziehungen der Notare – zu machen. Diese Aspekte werden im ersten Hauptteil der Dissertation behandelt. Im zweiten Hauptteil werden die Geschäfte in Hinblick auf ihre räumliche Dimension untersucht. Ausgangspunkt bildet die von zahlreichen Historiker:innen in Anknüpfung an die Forschungen von Hektor Ammann vertretene These, wonach die Notariatsregister als Beleg für die überregionale Bedeutung der Freiburger Produkte (insbesondere Tücher, Leder und Metalle) dienen können. Um diese These zu überprüfen, wurde der Wohnort der Parteien ausgewertet und zwischen lokalen und überregionalen Transaktionen unterschieden.

Da sich – wie erwähnt – sehr viele Register bis heute erhalten haben, spielte die Quellenauswahl eine wichtige Rolle. Ein Vergleich zwischen zwei Notaren war unabdingbar, um Tendenzen, Ausnahmen und Unterschiede beobachten zu können. Wegen der zahlreichen Register (ungefähr je zehn) und ihrer gleichzeitigen Tätigkeit (1410 – 1425) fiel die Wahl auf die Notare Richard Fülistorf und Ülrich Manot. Das beginnende 15. Jahrhundert war für die Untersuchung deshalb interessant, weil in diesem Zeitraum Freiburg einen wirtschaftlichen Aufschwung und einen Anstieg der Warenproduktion erlebte. Durch den Vergleich der Register dieser beiden Notare konnte verschiedenen Fragen nachgegangen werden: Spiegelt sich diese Blüte des städtischen Gewerbes in der Quelle wider? Weshalb entschied man sich für einen bestimmten Notar? Woher stammte die Kundschaft? Welche Geschäfte wurden am meisten aufgenommen? Für diese Analyse wurden folgende Angabe berücksichtigt: Beruf, Wohnort, Geschlecht der Kundschaft, Typologie (Gegenstand) und Datum der Transaktionen. Mit diesen Informationen war es möglich, verschiedene Aspekte der notariellen Praxis sowie auch der städtischen Wirtschaft einer spätmittelalterlichen Stadt herauszuarbeiten.

Im ersten Teil der Arbeit konnte festgestellt werden, dass die Kundschaft der zwei Notare sehr ähnlich war: 75% der ermittelten Klient:innen lebten in der Stadt Freiburg oder in der angrenzenden Region. Es gab allerdings einen grossen Unterschied: Die Kund:innen des deutschsprachigen Notars Fülistorf waren vor allem deutschsprachig und die des französischsprachigen Notars Manot vor allem französischsprachig. Da Freiburg schon damals zweisprachig war, zeigt sich anhand dieser Aufteilung, dass die Muttersprache bei der Wahl des Notars eine wichtige Rolle gespielt zu haben schien. Beide Notare zeigten einen ähnlichen Arbeitsrhythmus: Sie arbeiteten meistens im Frühling und Herbst, was eher einem ländlichen statt einem städtisch-gewerblichen Rhythmus entspricht. Durchschnittlich verfassten die Notare ein oder zwei Geschäfte pro Tag. Sie arbeiteten vor allem samstags, was darauf hindeuten könnte, dass sie am Wochenmarkt vor Ort anwesend waren oder dass die Kunden vor allem dann Zeit hatten, Geschäfte abzuschliessen. Durch die Analyse der Geschäfte war es zudem möglich, private und berufliche Beziehungen zwischen den Notaren zu beobachten. Schwieriger war es hingegen den Verdienst der Notare zu ermitteln, da sich hierzu keine eindeutigen Angaben finden liessen.

Im zweiten Teil der Dissertation wurden die Geschäfte näher untersucht. Diese wurden mit Blick auf die gehandelten Produkte 14 Kategorien zugeordnet: Geldgeschäfte, Transaktionen von Häusern, Grundstücke, Tücher, Tiere (vor allem Pferde, Schafe und Kühe), Feldfrüchte, Leder, Wolle, Sensen sowie Schenkungen, Vereinbarungen betreffend Mitgiften und Zehnten, Arbeitsund Lehrlingsverträge und Diverses. So konnte festgestellt werden, dass beide Notare trotz der unterschiedlichen Kundschaft vor allem Kleinkredite beurkundeten (30% bis 40% der gesamten Transaktionen). Die Bedingungen und die Rückzahlungsmöglichkeiten wurden manchmal sehr detailliert festgehalten und konnten – je nach Abmachung – sehr unterschiedlich sein. Oft waren Bürgen involviert und Pfandobjekte wurden definiert. Etwas weniger häufig wurden Regeln zur Geldnutzung aufgestellt oder die Entstehung von Arbeitsbeziehungen zwischen Kreditgebern und Schuldnern festgelegt. All diese Aspekte zeigen die grosse Bedeutung des Geldes in der damaligen Gesellschaft, gerade in einer Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs.

Ausserdem konnte gezeigt werden, dass die meisten Geschäfte lokal, zwischen Personen aus Freiburg, der Region oder auch aus Nachbarstädten, erfolgten. Ausnahmen bildeten vor allem die eher seltenen Transaktionen von Leder, Metallen und Sensen, bei denen Grosshändler aus wirtschaftlich bedeutenden Städten wie Strassburg oder süddeutschen Reichsstädten involviert waren. Diese Transaktionen hatten eine klare Richtung: Nach Freiburg wurden Tierhäute aus der Westschweiz verkauft, dort vermutlich in der Stadt verarbeitet und später als Leder in den Norden verkauft. Umgekehrt kamen Metalle aus Süddeutschland nach Freiburg, wo daraus Sensen gemacht und dann in der Region verkauft wurden. Die wichtigsten Exportprodukte Freiburgs stellten aber die Tücher dar. Von diesen Exportwaren gibt es in den Registern jedoch kaum Spuren, weil sie vermutlich vorwiegend an den grossen Messen verkauft wurden. Das einzige Indiz dieser überregionalen Bedeutung besteht in den zahlreichen Lehrlingsverträgen im Bereich der Tuchproduktion. Diese Jugendlichen kamen oft von weit her, um den Beruf zu lernen, verliessen aber meistens die Stadt nach Ablauf des Vertrags wieder.

Durch die gesamte Auswertung und den Vergleich zwischen den Registern von zwei gleichzeitig tätigen Notaren war es möglich, verschiedene Aspekte der notariellen Praxis zu untersuchen und hervorzuheben. Gleichzeitig gelang es, die bisherige Forschung zu korrigieren und zu erweitern. Statt der vielen überregionalen Transaktionen der Freiburger Produkte, wie dies bislang in der Forschung betont wurde, finden sich in den Registern vor allem Hinweise auf regionale Transaktionen. Die Freiburger Notariatsregister sind dementsprechend vielmehr eine Quelle zur Stadtgeschichte und für die Rekonstruktion unterschiedlichster Beziehungen innerhalb der Stadt sowie zwischen der Stadt und ihrem Umland.

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