„Die Geschichte hat immer Recht“. Die Völkische Bewegung im Spiegel ihrer Geschichtsbilder

AutorIn Name
Julian
Köck
Art der Arbeit
Dissertation
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Stefan
Rebenich
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2013/2014
Abstract
In den letzten Jahren fand die Völkische Bewegung das gesteigerte Interesse der Forschung. Wurde sie lange als direkte Vorläuferin des Nationalsozialismus gesehen, so wird sie nun meist als eigenständige historische Erscheinung verstanden, die Kontinuitäten, aber eben auch Brüche zum Nationalsozialismus aufweist. Trotz einer Reihe wichtiger Studien zur Bewegung bestehen immer noch Desiderate, die gleichermaßen die Erforschung der völkischen Ideologie, der Struktur der Bewegung und des Lebens und Werkes völkischer Meinungsführer betreffen. Ziel der Dissertation ist es, einen Beitrag zur Schließung dieser Lücken zu leisten. Im Kern der Untersuchung steht die Klärung des V erhältnisses der Völkischen zur Geschichte und deren Bedeutung für die völkische Ideologie. Ein grundsätzliches Problem bei der Erforschung der Bewegung stellt die Publizierwut der Völkischen dar. Allein die Menge der Zeitschriften- und Zeitungsartikel, Pamphlete und Bücher, die im späten 19. Jahrhundert und bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts erschienen sind, ist kaum überschaubar. Entsprechend schwierig ist es, eine geeignete und repräsentative Quellenauswahl zu treffen. Für die Dissertation wurde darum der heuristische Grundsatz formuliert, eine möglichst große Zahl von Veröffentlichungen heranzuziehen, deren Bedeutung für die Völkischen von diesen selbst anerkannt wurden. Dafür wurden Literaturempfehlungen, Rezensionen und die Querverweise in völkischen Büchern ausgewertet. Zusätzlich wurden die wichtigsten völkischen Zeitschriften herangezogen und der umfangreiche Nachlass des völkischen Multiplikators Ludwig Schemann (1852– 1938) teilweise ausgewertet. Auf die Analyse von grauer Literatur wurde ebenso wie auf die Untersuchung von Kleinstzeitschriften und Monographien verzichtet, die innerhalb der Völkischen Bewegung selbst auf keine Resonanz stießen. Um das Themenspektrum Völkische Bewegung und Geschichte möglichst breit abzudecken, wurde die Arbeit in vier thematische Teile gegliedert. Im ersten Teil der Arbeit wird die Bedeutung der Geschichte und der Rasse für die völkische Ideologie in den Blick genommen. Dabei wird deutlich, dass Geschichte ein integraler Bestandteil der Ideologie der Völkischen ist. Diese beschäftigten sich nicht etwa deshalb mit der Geschichte, um in der Gegenwart vergangene Zeiten zu reproduzieren, sondern um die ewigen und wahren Werte zu entdecken und die künftige Entwicklung des Volkes zu erkennen. Die Völkischen verstanden unter Völkern Organismen, die sich nach ihnen eingeschriebenen Gesetzen entwickeln sollten. Der Verlust der eigenen Geschichte war in dieser Vorstellung mit dem Niedergang des ganzen Volkes verbunden, das nun nicht mehr seine Bestimmung erkennen konnte. Geschichte war für die Völkischen eine überzeitliche Kategorie. Eng damit war das völkische Rasseverständnis verbunden. Eine Hauptthese der Dissertation ist, dass nicht die Rassentheorie den inhaltlichen Kern der völkischen Ideologie ausmachte, sondern vielmehr eine Ergänzungs- und Vertiefungsideologie war, die der argumentativen Unterfütterung von Leitbildern diente, die aus der Geschichte gewonnen wurden. Der zweite Teil der Arbeit untersucht die welthistorischen Entwürfe einzelner völkischer Publizisten. Hier kann vor allem gezeigt werden, dass sich die Völkischen keineswegs nur auf das germanische Altertum bezogen, sieht man von der verhältnismäßig kleinen Zahl der Neuheiden in der Bewegung ab. Der bürgerliche völkische Mainstream schloss ausdrücklich die klassische (griechische) Antike in das eigene Denken mit ein und verstand das alte, vor-hellenistische Griechenland als wesensverwandt. Als Höhepunkt der deutschen Geschichte wurde in der Regel die Zeit der Freiheitskriege und der Weimarer Klassik verstanden. Ein weiterer wichtiger Befund ist, dass die Völkischen ihre Geschichtsbilder im Detail zwar sehr unterschiedlich gestalteten, in einer Reihe von zentralen Fragen aber übereinstimmten. Die weltanschauliche Heterogenität ließ sich so durch eine kongruente politische Ideologie überbrücken, in deren Mittelpunkt eine Reihe von Gegensatzpaaren stand: Idealismus vs. Materialismus, Nationalismus vs. Internationalismus, Protestantismus (und seltener Neuheidentum) vs. Katholizismus; mittelständische Staatsordnung vs. Kapitalismus und Kommunismus gleichermaßen. Die hohe Bedeutung dieser Dualismen lässt sich in nahezu allen völkischen Weltgeschichten erkennen. Die Konstruktion des Eigenen gelang den Völkischen nur durch die Konstruktion des als feindlich empfundenen Fremden. Im dritten Teil wird der Blickwinkel geweitet und eine größere Anzahl von Monographien und völkischen Beiträgen in Periodika untersucht; die Ergebnisse bestätigen den bisherigen Befund. Zudem kann der Nachweis erbracht werden, dass sich die Völkischen mit damals modernen Einflüssen beschäftigten. Dies betrifft besonders die Anwendung von naturwissenschaftlichen Gedanken auf die Geschichte, aber auch die Milieu-Theorie wurde von den Völkischen vereinnahmt und für die eigenen Positionen nutzbar gemacht. Allein an diesen Beispielen lässt sich die antihistoristische Stoßrichtung des völkischen Geschichtsdenkens erkennen. Die grundsätzliche Ablehnung des als ungenügend empfundenen Historismus führte dazu, dass sich die Völkischen geradezu als wissenschaftliche Avantgarde empfanden, wie im vierten Teil der Arbeit, der das Verhältnis von Völkischen und der historischen Zunft thematisiert, gezeigt wird. Umgekehrt wurden die Völkischen von der Zunft anfänglich durchaus wahrgenommen, wie Rezensionen in den fachwissenschaftlichen Zeitschriften bestätigen. Meist fiel das Urteil der Zünftigen allerdings schlecht aus, obwohl einzelnen Völkischen immer wieder innovative Gedanken zugestanden wurden. Nach dem Ersten Weltkrieg lässt sich eine immer stärker werdende V erbreitung von antisemitischen und rassentheoretischen Überlegungen in der Geschichtswissenschaft erkennen, die sich mit ideologischen Positionen der Völkischen häufig überschnitten. Vor diesem Hintergrund lässt sich die These formulieren, dass die Völkische Bewegung spätestens nach 1918 weit in bürgerliche Kreise hineinwirken konnte und damit dem später folgenden Nationalsozialismus vorgearbeitet hat. In der Arbeit wird nachdrücklich dafür plädiert, dass sich die Forschung in Zukunft weniger mit randständigen Völkischen beschäftigen und stattdessen den bildungsbürgerlichen Kern der Bewegung sowie dessen Strahlkraft über 1933 bzw. 1945 hinaus in den Blick nehmen soll. Veröffentlicht in der Reihe "Historische Studien" des Campus-Verlags, Frankfurt a.M. 2015

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