Die Masterarbeit untersucht die Royal Botanic Gardens, Kew (London) als öffentlichen Raum im Zeitraum von 1841–1885. Kew Gardens hatten im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert als private Pleasure Gardens der englischen Königsfamilie und als wissenschaftliche Einrichtung unter der Leitung des Naturforschers Sir Joseph Banks gedient. 1841 wurde Kew als National Botanical Gardens mit angrenzenden Pleasure Grounds für eine breite Öffentlichkeit zugänglich. Die bisherige Erforschung von Kew Gardens hat sich weitestgehend mit der Vorstellung von Kew als Zentrum eines globalen und schliesslich imperialen Austauschnetzes botanischer und landwirtschaftlicher Wissensströme auseinandergesetzt. In diesem Zentrum wurde sowohl unter Banks als auch im hier relevanten Zeitraum unter Leitung der Naturalisten-Familie Hooker die Botanik als Disziplin vorangetrieben, die Welt durch globale Verbindungen erschlossen und koloniales Wissen generiert. Die Bedürfnisse der nicht wissenschaftlich orientierten Besucher:innen aus der Mittel- und Arbeiterklasse wurden dabei, wenn überhaupt, meist als Bedrohung der wissenschaftlichen Ansprüche der Institution gesehen. Nur Einzelteile der Gärten wie das Musuem of Economic Botany oder das Palmenhaus wurden bisher tiefergehender auf die eigentliche Erfahrung untersucht, die ein öffentliches Publikum beim Besuch in den Gärten machte. Die Arbeit geht der Frage nach, welche öffentlichen Funktionen Kew für seine Freizeitbesuchenden erfüllte. Sie betrachtet die Gärten aus Sicht dieses Publikums als Ort, der als komplexer Erlebnisraum begriffen werden muss und gleichzeitig mehrere Funktionen erfüllte. Dabei wird Kew Gardens als Park, öffentliches Museum und Reiseerlebnis gefasst. Dies geschieht durch die Analyse verschiedener Quellentypen, wie die interne Korrespondenz mit der Regierung, Parlamentsdebatten und die Schilderung von Besuchen in Zeitungsartikeln, Stadt- und Reisführern und literarischen Texten. Dieser Ansatz zeigt, dass durch die Kombination aus monarchischem Erbe, wissenschaftlicher Forschung, globalen Vernetzungen und erholsamer Freizeitnutzung für die Besuchenden Kew nicht als Summe unvereinbarer Elemente angesehen wurde. Vielmehr wirkten die einzelnen Raumfunktionen vor dem Hintergrund öffentlicher Reformen, nationaler und imperialer Herrschaft, urbaner Entwicklung, sich verändernder Alltagsgeschichte und Tourismus in Form eines modernen Freizeitorts zusammen. Dies zeigt beispielhaft, dass sich das viktorianische Freizeitverhalten gerade durch dieses Zusammenspiel von Bildung, Erholung und Unterhaltung definierte. Kew kann als Heterotopie verstanden werden, die eine wichtige Funktion für die städtische Mittelklasse erfüllte. Kew spiegelte einen wachsenden Zugang zu Kultur, Mobilität und Wissen wider, der vor dem Hintergrund von Reform-Bewegungen und der wachsenden politischen Partizipation entstand. Gruppen, die oftmals nicht in gleichem Masse in diese Entwicklungen einbezogen waren, wie Angehörige der Arbeiterklasse und Frauen, nahmen ebenfalls an der sich in Kew ausbildenden Öffentlichkeit teil. Die Teilnahme an dieser Öffentlichkeit bedingte jedoch die Anpassung an einen gehobeneren Habitus. Dies umfasste nicht nur Verhaltens- und Kleidungsvorgaben. Die Gestaltung des Raumes wurden auch durch Vorstellungen von Rationalität und Gesundheit der Bevölkerung geprägt. Kew machte es in diesem Rahmen sowohl möglich als auch notwendig, dass sich Angehörige der Unterschicht einer Mittelklasse-Identität annäherten. Damit waren die Gärten zwar kein Einzelfall unter den viktorianischen Freizeitorten. Sie vereinten jedoch mehr als andere Räume viele unterschiedliche Anforderungen an die Freizeitgestaltung der Mittelklasse: Die Kombination aus Erholung und Bildung vermittelte Ideen von individueller Selbstverbesserung, ökonomischem Fortschritt, nationaler und imperialer Macht, politischem Spektakel und der Interaktion mit der natürlichen Umwelt. Die Besuchenden mit komplexen Erwartungen, Wahrnehmungen und Imaginationen trugen wiederum die Erfahrungen, die sie im städtischen Alltag gemacht hatten mit in den Raum von Kew Gardens. Dieser war also geprägt durch die Erfahrungen der Besuchenden mit durch ein wachsendes Bedürfnis nach Freizeit. Industrialisierung und sozialen Hierarchien sowie