Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
PD Dr.
Stephan
Scheuzger
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2020/2021
Abstract
Am 28. März 1981 lancierte die Erklärung von Bern die Aktion (EvB) «Hunger ist ein Skandal». Der Verein, der sich heute Public Eye nennt, beleuchtete damit mittels verschiedener Fallbeispiele Hunger als Folge ungleicher Verteilung. Ziel der Aktion war es, in der Schweiz den antimalthusianischen Hungerdiskurs zu verbreiten. Gleichzeitig präsentierte die EvB der Bevölkerung Handlungsmöglichkeiten, um sich den Praktiken der multinationalen Lebensmittelunternehmen zu widersetzen. Während der mehrjährigen, dezentral organisierten Aktion arbeitete die entwicklungspolitische Organisation mit grossen Schweizer Hilfswerken, einer Vielzahl von Akteur*innen aus dem alternativen Milieu, transnational bekannten entwicklungspolitischen Akteur*innen und Vertreter* innen aus der philippinischen Befreiungsbewegung zusammen.
Die Masterarbeit beleuchtet die transnationale Verflechtung der Tätigkeit der deutschschweizerischen Sektion der EvB im Bereich Ernährung und Landwirtschaft anhand der Aktion «Hunger ist ein Skandal» aus einer schweizerischen Perspektive. Sie zeigt auf, was die Kampagne beinhaltete, an welchen Diskursen und Akteur*innen sich der Verein orientierte, wie er die Aktion erarbeitete und mit wem er diesbezüglich kollaborierte. Die Studie enthüllt, in welchen transnationalen Netzwerken sich die EvB bewegte und wie diese ihre Arbeit konzeptuell und thematisch beeinflussten. Basierend auf diesen Erkenntnissen ermöglicht die Untersuchung Rückschlüsse über die Rolle der EvB innerhalb der transnationalen entwicklungspolitischen Solidaritäts- und Konsumentenbewegung. Die Studie basiert auf Dokumentsbeständen der EvB aus dem Schweizerischen Sozialarchiv Zürich und den Archives Cantonales Vaudoises in Chavannes-près-Renens aus den Jahren 1978 – 1984.
Die EvB verfügte mit Anne-Marie Holenstein über eine ausgewiesene Fachperson für die didaktische Vermittlung von dependenztheoretischen Entwicklungskonzepten im Bereich der Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik, die die Kampagne mit ihrer Expertise denn auch massgebend prägte. Sie hatte sich ihre Kenntnisse insbesondere während ihrer Arbeit bei der Organisation durch die zahlreichen Aktionen in der Schweiz und der Teilnahme an der FAO-Konferenz 1974, ihrer Koordinationsrolle bei der International Peace Research Association, der Gegenkonferenz zur World Conference on Agrarian Reform and Rural Development und Reisen nach Südostasien angeeignet. Sie verfügte über ein breit gefächertes Kontaktnetz zu entwicklungspolitischen Akteur* innen, die weitgehend aus dem angelsächsischen Raum stammten. Dieses schloss bekannte Wissenschaftler*innen und Autor*innen wie Rainer Tetzlaff, Dieter Senghaas, Johan Galtung, Frances Moore Lappé, Joseph Collins und Susan George ein. Während ihrer Reisen erhielt sie aber auch Zugang zu gewerkschaftsähnlichen Gruppen auf den Philippinen und der malaysischen Konsumentenbewegung.
Die EvB griff mit «Hunger ist ein Skandal» transnationale Diskurse und Ereignisse auf. Sie versuchte diese mit ihrem Leitbild, das vorsah die inländische Debatte und Politik zu beeinflussen, zu verweben. Trotz ihrer Beteiligung an grenzüberschreitenden Netzwerken spielte die entwicklungspolitische Organisation keine wichtige Rolle in der transnationalen Dritte-Welt-Bewegung. Dennoch arbeiteten verschiedene Konsumentenorganisationen und Netzwerke für Ernährungs- und Pestizidfragen mit dem kleinen Verein zusammen. Diese schätzten die Koordinations- und Vermittlungsfähigkeit der EvB. Als politisch unabhängige und konfessionslose Organisation war sie eine anschlussfähige Institution für viele Akteur*innen der heterogenen Bewegung, die dependenztheoretische Entwicklungsstrategien verfolgte. Sie genoss für ihre pädagogischen Kompetenzen und ihr entwicklungspolitisches Wissen hohes Ansehen.
Eine relevante Rolle spielte die EvB so gleichwohl für die Dritte-Welt-Bewegung in der BRD und Österreich. Sie beeinflusste mit ihren Publikationen und Referaten den deutschsprachigen Diskurs, indem sie die entwicklungspolitischen Werke und Erkenntnisse aus dem angelsächsischen Raum über das Hungerproblem weiterverbreitete. Insbesondere zwischen der EvB und den österreichischen Entwicklungsorganisationen fand ein intensiver Austausch statt, wie die ähnlichen Aktionen letzterer deutlich machten.
Neben den ausländischen waren aber vor allem inländische Akteur*innen von Bedeutung für die Aktion «Hunger ist ein Skandal». Die EvB engagierte Regionalkoordinator*innen, um in der Schweiz ihr Beziehungsnetz und ihren Einfluss über die Dritte-Welt-Bewegung hinaus zu verbreitern. So arbeitete sie auch mit dem Südafrika-Boykott, den Bananenfrauen, dem M-Frühling und den Hilfswerken HEKS, Brot für Brüder, Terre des Hommes, Fastenopfer sowie Kleinbauernvereinigungen und Umweltgruppen zusammen. So sparte die Organisation nicht zuletzt auch erhebliche Ressourcen und kaschierte, dass sie ausserhalb Südostasiens kaum über Kontakte zu Basisgruppen verfügte.