Tipo di ricerca
Dottorato
Stato
abgeschlossen/terminé
Cognome del docente
Prof.
Christian
Hesse
Istituzione
Historisches Institut
Luogo
Bern
Anno
2019/2020
Abstract
Solothurn ist eines der ältesten städtischen Zentren in der heutigen Schweiz. Während die spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen politischen Führungsgruppen anderer eidgenössischer Städte von der Städteforschung eingehend untersucht wurden, blieben Studien zu den politischen Akteuren dieser Führungsgruppe zu Solothurn bislang aus. In der vorliegenden Dissertationsschrift wird in einer politisch-prosopografischen Studie die politische Führungsgruppe der Stadt Solothurn im Zeitraum zwischen 1454 und 1536 untersucht. Als Führungsgruppe wird dabei jener Personenkreis verstanden, der formelle Positionen und Ämter besetzte und dadurch einen entschei- denden Einfluss auf die Geschicke der Stadt geltend machen konnte. Die Arbeit greift dabei auf den reichhaltigen Quellenkorpus aus dem Staatsarchiv Solothurn zurück, der in diesem Umfang erstmals systematisch untersucht wurde. Besonders zu erwähnen sind die seit der Mitte des 15. Jahrhunderts fast lückenlos überlieferten Ratsprotokolle, Missiven sowie die verschiedenen Rechnungs- und Zinsbücher der Stadt, die einen tiefen und aufschlussreichen Einblick in das Leben und Handeln der politischen Führungsgruppe der Stadt erlauben.
Im ersten Hauptteil wird die innere Organisation der Stadt Solothurn untersucht, wobei Fragen nach der Entstehung, Veränderung, Ausgestaltung sowie der Wahlmodi und Besetzung der einzelnen Ämter im Zentrum stehen. Gelenkt und geleitet wurde die Stadt vom Kleinen Rat, der erstmals 1252 urkundlich erwähnt wurde. Dieser setzte sich im Untersuchungszeitraum aus dem Schultheissen, elf Alträten und 22 Jungräten zusammen. Ihm zur Seite stand der aus 66 Mitgliedern bestehende Grosse Rat. Die stark kooptativ geprägten Wahlen fanden einmal jährlich öffentlich, das heisst unter Einbezug aller mit dem Bürgerrecht ausgestatteten Männer Solothurns, statt.
Für den gewählten Untersuchungszeitraum von 1454 bis 1536 konnten insgesamt 227 Solothurner Bürger aus ungefähr 154 verschiedenen Familien namentlich ausfindig gemacht werden, die mindestens ein Jahr im Kleinen Rat vertreten waren. Die Fluktuation der Mitglieder im Kleinen Rat war aufgrund der fehlenden Abkömmlichkeit, der Übernahme von Vogteien und sich verändernden politischen Konstellationen relativ gross. Der Eintritt in den Kleinen Rat eröffnete dem Gewählten die Möglichkeit einzelne Ämter, welche zum Teil mit einem hohen Sozialprestige verbunden waren, zu übernehmen. Wie die Wahlordnungen deutlich machen, galt es, an den jährlichen Wahlen eine Vielzahl von Ämtern mit den unterschiedlichsten Funktionen und Machtbefugnissen zu besetzen. Insgesamt kann gezeigt werden, dass in Solothurn ein relativ grosser Familienkreis regimentsfähig war und dass sich zumindest bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts noch kaum Abschliessungstendenzen festmachen lassen – und zwar sowohl für die politischen Gremien als auch für die städtische Gesellschaft per se.
Im zweiten Teil werden Zugehörigkeitsmerkmale, die im Zusammenhang mit möglichen Aufstiegszielen und -wegen stehen, kategorisiert und anschliessend empirisch auf die politische Führungsgruppe Solothurns angewandt. Der Aufstieg und die Zugehörigkeit zur Führungsgruppe der Stadt spiegelt sich in der Übernahme von wichtigen politischen Stadtämtern und Gesandtschaften, des Weiteren in familiärem Besitz sowie der Fähigkeit, Heiratsallianzen zu knüpfen. Das Vermögen galt dabei als Grundvoraussetzung für die Teilhabe an der politischen Macht. Das dafür nötige ökonomische Kapital generierte die Führungsgruppe Solothurns aus dem familiären Güterbesitz, durch den lokalen und regionalen Handel mit Gütern wie Salz, Wein oder Käse und ab den 1470er Jahren zunehmend durch das äusserst lukrative Pensionenwesen.
Die Untersuchung kann zeigen, dass in Solothurn gegen Ende des15.Jahrhunderts Tendenzen einer sich konstituierenden idealtypischen Ämterlaufbahn erkennbar sind. Vor der Wahl in ein Spitzenamt, wie beispielsweise jener des Seckelmeisters, Venners oder Schultheissens, mussten spätestens ab den 1470er Jahren ausnahmslos alle potenziellen Kandidaten Erfahrungen in weniger prestigeträchtigen Ämter gesammelt haben. Dies galt gleichermassen für Kleinratsmitglieder zugezogener Familien wie auch für Männer aus alteingesessenen Familien. Ergänzend zur Übernahme von Ämtern waren Heiratsverbindungen ein zentrales Aufstiegsmittel. Darüber hinaus wirkte das Konnubium in Bezug auf die Etablierung in der Führungsgruppe verstärkend. Eheliche Verbindungen sind jedoch nicht nur innerhalb der Stadtmauern geschlossen worden. Am Beispiel der beiden Solothurner Familien Ochsenbein und Conrat wird veranschaulicht, wie die in der Führungsgruppe etablierten Familien ihre Beziehungsnetze erweiterten und Verbindungen mit Familien führender Geschlechter anderer Städte, wie beispielsweise Basel, Bern, Biel oder Luzern, eingingen. Insgesamt, so die Erkenntnis, zeichnet sich Solothurn im Untersuchungszeitraum durch seine offene Führungsgruppe aus, der Aufstieg war auch zu Beginn des 16. Jahrhunderts noch immer möglich.
Die deutsche Stadtgeschichtsforschung hat den konkurrierenden politischen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen innerhalb der städtischen Führungsgruppen bis heute wenig Beachtung geschenkt. So werden im letzten Teil der Untersuchung zwei detaillierte Studien zu ratsinternen Konflikten präsentiert, anhand derer die jeweiligen Akteure, ihre Interessen und Handlungsweisen analysiert werden. In der ersten Fallstudie geht es um eine mögliche Heirat mit Küngold von Spiegelberg, Alleinerbin des verstorbenen Solothurner Schultheissen Henmann von Spiegelberg. Im Zentrum stehen dabei die beiden Solothurner Altschultheissen Niklaus von Wengi und Hartmann vom Stein. In diesen Konflikt waren mit zunehmender Dauer, neben dem Kleinen Rat von Solothurn, viele weitere Akteure, wie etwa die Bürgermeister, Schultheissen und Räte der Städte Basel, Bern und Zürich sowie der Bischof von Basel, der Probst von Zürich, die eidgenössische Tagsatzung, ja sogar der Papst, involviert.
Der «Fall Spiegelberg» zeigt deutlich, dass Politik immer als Handlung einzelner Individuen verstanden werden muss. Dabei war das mitgebrachte ökonomische, soziale und kulturelle Kapital von entscheidender Bedeutung für das Verfolgen und Erreichen der eigenen Interessen. Ein gewisser Reichtum bildete dabei die Grundvoraussetzung für die politische Partizipation, wie sich am Beispiel Niklaus von Wengis und Hartmann vom Stein manifestierte. Als eminent für das Verfolgen der eigenen Ziele erwiesen sich die persönlichen Beziehungsnetze inner- und ausserhalb der Stadtmauern, wodurch sich den Hauptprotagonisten unterschiedliche Handlungsspielräume eröffneten. Der Streit um die Braut ist auch deshalb von besonderem Interesse, weil er sich auf unterschiedlichen Konfliktebenen abgespielt hat: erstens als Streit um die Braut, dann – zweitens – aber auch als persönlicher Konflikt zwischen Niklaus von Wengi und Hartmann vom Stein. Drittens schliesslich zeigt sich die Auseinandersetzung als Interessenskonflikt zwischen den Städten Bern und Solothurn. Die verschiedenen Konfliktebenen bedurften dabei verschiedener Lösungsstrategien, wobei der Streit um die Braut mit einem formaljuristischen Entscheid durch ein geistliches Gericht beendet wurde.
Abschliessend steht in der Studie nochmals die politische Führungsgruppe als Ganzes im Fokus. Es wird der Frage nachgegangen, wie sich die Mitglieder des Kleinen Rates während der Reformationsunruhen (1522 – 1534) verhalten haben und welche Auswirkungen das Scheitern der Reformation auf die Ratszusammensetzung und die Sozialstruktur der politischen Führungsgruppe in Solothurn hatte. Spätestens ab 1522 wurden reformatorische Gedanken auch in Solothurn diskutiert. Die Zahl der Neugläubigen in der Stadt sowie im Kleinen und Grossen Rat nahm vor allem ab 1525 stetig zu und erreichte wohl um 1530 ihren Höhepunkt. Der Kleine Rat versuchte die Ordnung und den Frieden in der Stadt zu wahren, indem er den Forderungen der Neugläubigen in weiten Teilen nachkam, ohne aber einen konfessionellen Wechsel in der Stadt anzustreben. So garantierte der Kleine Rat die Glaubensfreiheit und erlaubte den Neugläubigen die Einsetzung eines Prädikanten in der Stadt. Diese um einen Ausgleich bemühte Vorgehensweise wurde vom Rat bis 1533 konsequent verfolgt. Zum Ausschluss der Neugläubigen aus ihren Ämtern kam es erst infolge des Aufstandes im Herbst 1533. Aber trotz allem durften die meisten Neugläubigen in Solothurn wohnhaft bleiben, sofern sie die von der Stadt veranschlagten Bussen bezahlten. An den Wahlen vom Juni 1534 mussten schliesslich die grossen Lücken, die der Ämterausschluss mit sich brachte, wieder geschlossen werden. Dies eröffnete neuen Familien die Chance, sich in der städtischen Führungsgruppe zu etablieren.
Die Untersuchung versteht sich als Beitrag zur Schliessung der Forschungslücke im Hinblick auf den Vergleich politischer Führungsgruppen im Raum der spätmittelalterlichen Eidgenossenschaft. Die Studie eröffnet einen detaillierten Blick auf die innere Organisationsstruktur der Stadt Solothurn gegen Ende des 15. Jahrhunderts. Erstmals wurden die verschiedenen städtischen Ämter und ihre personelle Besetzung systematisch untersucht. Des Weiteren konnten neue Erkenntnisse in Bezug auf die soziale Mobilität und der Konfliktlösungskultur einer Stadtgesellschaft gewonnen werden. Die vorliegende Arbeit bietet damit eine ideale Ausgangslage für weiterführende Forschungen, gerade in den Bereichen der prosopographischen Studien, der innerstädtischen und überregionalen Netzwerkanalysen, der Administrationskultur sowie der herrschaftlichen Verwaltung der solothurnischen Landschaft.