Tipo di ricerca
Tesi di master
Stato
abgeschlossen/terminé
Cognome del docente
Prof.
Christian
Gerlach
Istituzione
Historisches Institut
Luogo
Bern
Anno
2019/2020
Abstract
Die Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki repräsentierten einen Wendepunkt innerhalb der Menschheitsgeschichte und einen drastischen Einschnitt in das Leben der Betroffenen. Diese Masterarbeit setzt den Fokus auf die sozialen Konstrukte während und kurz nach dem Abwurf der Bombe. Die soziale Praxis in der Not wird anhand der Familienstrukturen, der Hilfe des Staates, dem Glauben und der Religiosität, der Zivilbevölkerung und der Wahrnehmung des japanischen Kaisers betrachtet. Zusätzlich wird untersucht, welche Handlungsstrategien die Menschen in der Not entwickelten und anwendeten. Für die Analyse werden Selbstzeugnisse der Betroffenen der Atombombenabwürfe verwendet, welche aus Tagebüchern und Erlebnisberichten bestehen. Diese Erinnerungen werden mit Hilfe der klanggeschichtlichen Methode untersucht. Dabei stehen die von Überlebenden vernommenen Klänge und Geräusche im Fokus. Somit dienen aus den Quellen nur jene Erinnerungen und Erlebnisse der Betroffenen, welche von der akustischen Wahrnehmung berichten. Zu diesen Klängen zählt insbesondere die zwischenmenschliche Kommunikation in der Not. Aus der Analyse ergibt sich die Soundscape (Klanglandschaft) der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki.
Die Arbeit zeigt auf, dass in der Katastrophe für die Betroffenen ihre Familie der wichtigste Orientierungspunkt war. Die zwischenmenschliche Kommunikation mit den Angerhörigen stand im Vordergrund. Innerhalb der chaotischen Zustände und der Zerstörung entwickelten die Menschen eine akustische Strategie, um ihre Familienmitglieder einerseits unter den Trümmern zu finden, und andererseits die Angehörigen trotz entstellender Verletzungen mittels des Klangs ihrer Stimme zu erkennen. Die Stimme verblieb oftmals als einziger Identitätsmarker. In der Notsituation wird die Hierarchie innerhalb der Familie gut erkennbar, an welcher sich die Angehörigen orientierten.
Der Staat bot mit dem Eintreten der Katastrophe oftmals unzureichende Hilfeleistung. Individuen waren diejenigen, welche den Betroffenen Führung boten und in der Not Hilfe leisteten. Dazu zählen beispielsweise in staatlichen Spitälern arbeitende Ärzte, Lehrer oder als Einzelpersonen agierende Armeeangehörige. Für die Suche der verschütteten Personen waren die Familien in den meisten Fällen allein zuständig. Die Armee vor Ort arbeitete im ersten Moment an der Aufrechterhaltung der eigenen militärischen Strukturen, bevor sie Hilfe leistete. Zwischen dem Staat und der Zivilbevölkerung herrschte zudem anfangs kein stabiler Informationsaustausch. Dies änderte sich erst mit der Rundfunkansprache des japanischen Kaisers am 15. August 1945, mit welcher er die Kapitulation Japans im Zweiten Weltkrieg kundtat. In den Erinnerungen der Betroffenen tritt die Rede zwar als akustisch wahrgenommenes Ereignis auf, besass jedoch für die Bevölkerung einen relativ niedrigen Stellenwert.
Innerhalb der beiden betroffenen Städte war die Klanglandschaft von den Geräuschen des Lei- dens, der Qualen und des Sterbens geprägt. Der Glaube und die Religiosität wurden mit dem Unglück zu einer unterstützenden Kraft. Das Beten und die akustische Zelebration von bekannten Ritualen dienten den Menschen als Ablenkung von dem Leiden und den Schmerzen. Gleichzeitig bot das geistliche Personal Leitlinien und Handlungsstrategien in der Not.
Die klanggeschichtliche Methode ermöglicht in diesem bereits vielseitig untersuchten Forschungsfeld eine neue Sicht- und Hörweise auf die Ereignisse. Wenn in den Selbstzeugnissen die Akustik betrachtet wird, ist erkennbar, in welcher klanglichen Umgebung sich die Menschen befanden. Die Analyse zeigt, dass mit Hilfe der Methode neue Erkenntnisse über die sozialen Strukturen und Interaktionen in der Bevölkerung zu gewinnen sind.