Zwischen Eigennutz und Flüchtlingsschutz. Das „Intermezzo“ der Ungarnflüchtlinge in den Kasernen der Schweizer Armee 1956/57

Cognome dell'autore
Remo
Stämpfli
Tipo di ricerca
Tesi di master
Stato
abgeschlossen/terminé
Cognome del docente
Prof.
Julia
Richers
Istituzione
Historisches Institut
Luogo
Bern
Anno
2017/2018
Abstract
Die Schweiz nahm nach dem Ungarnaufstand 1956 über 10’000 Flüchtlinge auf, deren Einreise der Bundesrat durch Erlass von insgesamt zwei Kontingenten bewilligte. Die Flüchtlinge des ersten Kontingents wurden durch private Hilfsorganisationen betreut. Als diese an ihre Grenzen stiessen, sorgte der Bund durch das Aufgebot des territorialdienstlichen Betreuungsdienstes der Armee zunächst zu einem Aktivdienst und später zu einem „ausserordentlichen Instruktionsdienst“ bis Mitte Februar 1957 vorübergehend für die Betreuung und Unterbringung der Ungarn des zweiten Kontingents in Militärkasernen. Die Masterarbeit befasst sich mit der Organisation dieser „Betreuungslager“ und den Aufnahmemotiven für dieses zweite Kontingent. Fragen zum Einsatz der Armee bei der Betreuung der Ungarn Flüchtlinge wurden in der Literatur bisher nur am Rande behandelt. Ausgehend von einem bisher nicht oder wenig bearbeiten Hauptquellenbestand aus dem Schweizerischen Bundesarchiv, dem Archiv für Zeitgeschichte und dem Staatsarchiv Basel-Landschaft geht die Arbeit der Frage nach, inwiefern die Interessenlage der verschiedenen Akteure in diesen Kasernen deren Organisation sowie die Sicht der Akteure auf die Ungarn Flüchtlinge und die Gruppenstruktur der Ungarnflüchtlinge beeinflusste. Neben dem in der Forschung dokumentierten Versuch, die Flüchtlingspolitik des Zweiten Weltkrieges zu rehabilitieren und der im Zuge der Rezeption des Ungarnaufstandes in der Schweiz entstandenen antikommunistischen Hilfsbereitschaft, kann die Arbeit auch die Schaffung einer Übungsmöglichkeit für den territorialdienstlichen Betreuungsdienst als Aufnahmegrund für das zweite Kontingent nennen. Dieser Betreuungsdienst war nach dem Zweiten Weltkrieg wegen der Erfahrungen aus dem Interniertenwesen aufgebaut worden und stand mit einer vorbereiteten Lagerstruktur zur Verfügung, als sich 1956 eine Testmöglichkeit bot. Bereits vor dem Aufnahmeentscheid des Bundesrates wurden erste Vorbereitungen und Absprachen zwischen auch später mit den Ungarnflüchtlingen beschäftigten Stellen der Bundesverwaltung zur Aufnahme der Ungarn getroffen. Die Ungarnflüchtlinge wurden schliesslich mit „Flüchtlingszügen“ in die Schweiz gebracht und mussten sich direkt nach der Ankunft einer „Sanitarischen Eintrittsuntersuchung“ unterziehen, wodurch – im Sinne eines umfassenden Bevölkerungsschutzes – die Gefahr ansteckender Krankheiten für die Schweizer Zivilgesellschaft minimiert werden sollte. Die Organisation der Lager folgte letztlich weitgehend der Konzeption, was die Übungsthese weiter stützt. Wichtiger Teil des Lageralltags war die „Betreuung“ der Ungarn. Dafür waren Angehörige des Frauenhilfsdienstes der Armee und Hilfsdienstsoldaten zuständig. Daneben stellten sich zahlreiche Freiwillige als Spender oder Helfer zur Verfügung. Auch Hilfswerke waren in den Kasernen aktiv. Der Kasernenalltag wurde durch zahlreiche kulturelle Veranstaltungen – wie Konzerte, Kinoabende oder Vorträge – aufgelockert, an denen die Ungarn erstmals mit Zivilisten in Kontakt kamen. Höhepunkte des Kasernenalltags stellten die Weihnachtsfeiern dar. Daneben war das Kasernenleben durch militärische Organisation, medizinische Folgeuntersuchungen und Befragungen der Flüchtlinge zu Beschäftigungsund Wohnwünschen durch Vertreter kantonaler Arbeitsämter bestimmt. Die Sichtweise der Akteure auf die Flüchtlinge kann dabei durchweg als stereotyp bezeichnet werden, wobei sie allerdings durch den Lageralltag und die Heterogenität der Ungarn vielfach korrigiert werden musste. Wichtiges Element dieser Stereotype war eine antikommunistische Sicht auf die Verhältnisse in Ungarn und die daraus abgeleitete Annahme, dass die Ungarn in der Schweiz „umerzogen“ werden müssten. Die Sozialstruktur der Ungarnflüchtlinge in den Lagern war sehr heterogen, wodurch Gruppenbildungen und Spannungen unter den Ungarn hervorgerufen wurden. Die Mehrheit der Ungarn war jung, ledig und katholisch, doch gab es in den Lagern auch grosse Gruppen von älteren und/oder verheirateten Ungarn. Hinzu kam die teilweise sehr unterschiedliche soziale Herkunft. Antisemitismus, ungerechtfertigte Verdächtigungen untereinander und Unzufriedenheit über nicht mögliche Weiterreisen verstärkten Gruppenbildungen und damit Spannungen unter den Flüchtlingen weiter. Diese Spannungen entluden sich teilweise auch bei schweizerischen Lagerakteuren, was insbesondere gegen Ende der Lagerzeit und vor allem bei der anschliessenden Platzierung der Flüchtlinge in zivile Unterkünfte zu Problemen führte. Insgesamt leisteten die Betreuungsdetachemente eine allseits gelobte Arbeit. Die Organisation der Betreuungslager in den Kasernen war durch die Übungsanlage der Armee und einen gewissen Pragmatismus geprägt. Damit konnte den Anliegen wichtiger Akteure Rechnung getragen werden. Die Übungsanlage der Armee, der Bevölkerungsschutz durch Gesundheitsund Polizeibehörden und nicht zuletzt auch der Hilfsgedanke von Hilfswerken und Bevölkerung bestimmtendenArmee-Einsatz.Insofernstanddie Organisation der Kasernen tatsächlich zwischen Eigennutz der Akteure und Flüchtlingsschutz der Betreuten.

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