Die Fabrikinspektion im Kampf gegen Berufskrankheiten und Betriebsunfälle. Die Rolle bundesstaatlicher Experten bei der Etablierung des Gesundheitsschutzes in den Schweizer Fabriken des 19. Jahrhunderts

Cognome dell'autore
Florian
Waldner
Tipo di ricerca
Tesi di master
Stato
abgeschlossen/terminé
Cognome del docente
Prof.
Brigitte
Studer
Istituzione
Historisches Institut
Luogo
Bern
Anno
2017/2018
Abstract
Die Arbeit in den Fabriken des ausgehenden 19. Jahrhunderts war mit den mannigfaltigsten Gefahren für die individuelle Gesundheit verbunden: Fabrikarbeiterinnen und -arbeiter verletzten sich in ihrem Berufsalltag an mechanischen Maschinenteilen wie Transmissionsriemen und offenen Getrieben oder litten an den Folgen chronischer Vergiftungen, die mit der Verarbeitung von industriellen Chemikalien einhergingen. Mit dem eidgenössischen Fabrikgesetz von 1877 konkretisierte sich der politische Wille, jene negativen Folgen einzudämmen und die Fabrikarbeit ansatzweise zu regulieren. Die vorliegende Untersuchung beleuchtet die konkreten Effekte der Fabrik- und Haftpflichtgesetzgebung hinsichtlich der Krankheits- und Unfallverhütung im Zeitraum von 1877 bis 1900. Während der Vollzug in die Kompetenz der Kantone fiel, oblag die Aufsicht und Kontrolle der eidgenössischen Fabrikgesetzgebung dem Bund. Zu diesem Zweck rief der Bundesrat 1878 mit dem eidgenössischen Fabrikinspektorat eine zentrale Aufsichtsbehörde ins Leben. Jenes steht mit seinem Personal – den eidgenössischen Fabrikinspektoren – im Zentrum dieser Untersuchung. Ausgehend von den umfassenden jährlichen Inspektionsberichten und Konferenzprotokollen der Fabrikinspektoren fragt die vorliegende Untersuchung nach den Strategien und Einflussfaktoren, die von der Behörde ausgegangen sind, um die gesetzlichen Bestimmungen im Bereich des Unfall- und Krankheitsschutzes bis zum Ende des Jahrhunderts in der Schweiz zu verankern. Parallel dazu steht die Frage zur Debatte, wie sich die Berufskrankheiten als Kategorie des sozialstaatlichen Gesundheitsschutzes im selben Zeitraum etablierten. Das Inspektorat trug aktiv zur Unfallverhütung bei, indem es an kantonalen und nationalen (Gewerbe-)Ausstellungen technische Gesundheits- und Unfallschutzvorrichtungen einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich machte. Über institutionelle Einflussmöglichkeiten gelang es den Beamten, Bestimmungen des Fabrik- und Haftpflichtgesetzes zu konkretisieren und damit unmittelbar anwendbar zu machen. So führten die Inspektoren beispielsweise ein flächendeckendes Überwachungs- und Kontrollsystem ein, so dass Fabrikunfälle und betriebliche Krankheitsfälle gegen den anfänglichen Widerstand von Fabrikanten und Lokalbehörden amtlich angezeigt und untersucht wurden. Dies führte dazu, dass immer mehr verletzte und erkrankte Arbeiterinnen und Arbeiter tatsächlich Schadensersatzzahlungen von den (ab 1878) haftpflichtigen Unternehmern erhielten. Nicht zuletzt boten die Haftpflichtbestimmungen ein überzeugendes Mittel, um auf Fabrikanten Druck auszuüben; etwa wenn es darum ging, Unfallschutzvorrichtungen anzuschaffen oder angeordnete Sicherheitsbestimmungen in den Fabriken umzusetzen. Die exemplarische Analyse der „ersten“ schweizerischen Berufskrankheit – der Phosphornekrose in der Streichholzindustrie – fördert schliesslich die Akteure und deren konkrete Argumente und Handlungsweisen zutage, die das Ringen um den sozialstaatlichen Gesundheitsschutz bestimmten: Zur Lösung der Phosphorfrage bot das Fabrikinspektorat unter der Führung des Glarners Fridolin Schuler die ganze Palette der zeitgenössisch zur Verfügung stehenden (halb-) wissenschaftlichen Methoden auf, um wissenschaftsförmiges Wissen zu generieren. In diesem Sinn analysierten etwa Chemiker von den Inspektoren in den Fabriken entnommene Proben hinsichtlich toxischer Stoffe, während Ärzte und private Versicherer Untersuchungsergebnisse von erkrankten Patientinnen und Patienten an die Bundesbehörde weiterleiteten. Die legitimatorische Kraft jenes Wissens ermöglichte es den Fabrikinspektoren, Parlament und Bundesrat davon zu überzeugen, den Import und den Verkauf des toxischen gelben Phosphors gesetzlich zu verbieten und sämtliche Streichholzfabriken (ab 1898) der Kontrolle des Bundes zu unterstellen. Parallel dazu entstand eine Giftliste, die das Fabrikinspektorat nach zähen Verhandlungen mit ausgewählten Experten aus dem Bereich der Chemie und Medizin sowie Vertretern der Wirtschaft, Legislative und Judikative durchsetzen konnte. Fortan hafteten sämtliche Betriebe, die mit den verzeichneten Chemikalien operierten, pauschal für sämtliche Vergiftungen und/ oder auftretenden Krankheiten ihres Personals. Einerseits waren damit die Berufskrankheiten als rechtlich relevante Kategorie etabliert. Andererseits förderte die Ausdehnung der Haftpflicht auf Berufskrankheiten die Unfall- und Krankenversicherungsquote, beschleunigte die Substitution von gesundheitsschädigenden Stoffen und verbesserte die hygienische Sauberkeit in den Fabriken. Den Fabrikinspektoren eröffnete sich ab 1878 ein sozialpolitisches Handlungsfeld, in welchem sie zu einem einflussreichen Akteur avancierten. Ihnen gelang es nicht nur, über ein Netzwerk nationaler und internationaler wissenschaftlich ausgebildeter Experten fortlaufend sozialstaatlich relevantes Wissen zu generieren, sondern jenes gleichzeitig in überzeugendes politisches Kapital umzuwandeln.

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