Verantwortung: Regula Argast / Nadine Ritzer / Andreas Stadelmann
Referierende: Monika Reuschenbach / Nadine Ritzer / Judith Gasser / Martina Eichenberger / Andreas Stadelmann
Kommentar: Monika Waldis
Mit der Umsetzung des Lehrplans 21 wurde der Unterricht 2015 in der Volksschule der Deutschschweizer Kantone umstrukturiert und neue Fachbereiche eingeführt. Zu den neuen Bereichen gehört «Natur, Mensch, Gesellschaft» (NMG), der ab dem dritten Zyklus auch das Integrationsfach «Räume, Zeiten und Gesellschaften» (RZG) beinhaltet. Dieses verbindet die bisherigen Fächer Geografie, Geschichte und politische Bildung, wobei neu die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler zu historischen, gesellschaftlichen, räumlichen und politischen Themen gefördert werden. Obwohl die Erarbeitung des Lehrplans 21 bis ins Jahr 2010 zurückreicht, sehen sich die Lehrpersonen nach wie mit methodischen und inhaltlichen Herausforderungen in RZG konfrontiert. So wünschen sich viele etwa eine Bereichsdidaktik und standardisierte Lehrmittel, die von allen Lehrpersonen genutzt werden, um nicht zuletzt auch übergreifende Rahmenbedingungen schaffen zu können. Das Panel ging der Frage nach, inwiefern das Integrationsfach RZG konzeptioneller gefasst werden kann und wie sich die Neugestaltung beispielhaft umsetzen lässt. Zudem wurden auch Forschungs- sowie Unterrichtsentwicklungsprojekte vorgestellt, die den Wert der integrativen Perspektive im Fach RZG aufzeigten und diskutierten.
MONIKA REUSCHENBACH (Zürich) führte in ihrem Beitrag in die Thematik ein und zeigte die Herausforderungen des Integrationsfachs RZG auf. Da seit der Etablierung dieses Fachs viele Fragen bezüglich des Lerninhalts und dessen Vermittlung bestünden, seien später spezifische Lernziele im Lehrplan 21 festgelegt worden. Obwohl eine Liste möglicher Themenfelder existiere, die Geografie und Geschichte verbinden, stelle sich für die Lehrpersonen vor allem die Frage, wie sie den fachlichen Anforderungen gerecht werden können, wenn sie in der Themenwahl frei sind, so Reuschenbach. Weitere Herausforderungen bestünden darin, ein angemessenes Mittelmass zwischen beiden Fächern zu finden und die Inhalte nicht in zu vereinfachter Form zu vermitteln. Die Referentin sah die Lösung in der Vermittlung der Inhalte aus einer sozialkonstruktivistischen Perspektive. Abschliessend formulierte Reuschenbach die offene Frage, inwiefern RZG als ein Fächerverbund angesehen werden könne, oder ob dadurch lediglich eine neue Perspektive im Unterricht geöffnet werde.
NADINE RITZER (Zürich), JUDITH GASSER (Bern) und MARTINA EICHENBERGER (Bern) widmeten sich in ihrem Referat der Thematisierung des Nahostkonflikts im Schulunterricht. Anhand dieses Beispiels aus der eigenen beruflichen Praxis gingen sie der Frage nach, inwiefern es ein Mehrwert sein könne, wenn Geologinnen und Historiker sowie Lehrpersonen gemeinsam im Fach RZG zusammenarbeiten. Laut den Referentinnen vermeiden es Lehrerinnen und Lehrer, sensitive, kontroverse oder emotionale Inhalte rund um den Nahostkonflikt im Unterricht zu behandeln – obwohl bekannt sei, dass sich durch die aktive Auseinandersetzung mit solchen Themen im Schulunterricht durchaus ein Mehrwert beobachten lässt. Auf ihre eigene berufliche Praxis bezogen führten die Referentinnen aus, wie sich ihre Schülerinnen und Schüler in einem ersten Schritt im Umgang mit topografischen und thematischen Karten üben. Wie bei einer quellenkritischen Untersuchung fragen sie beispielsweise danach, wer die Landkarte erstellt hat und welche Botschaft dahinterstecken könnte. Mit unterschiedlichen Fotografien des Nova-Musikfestivals von 2023, die vor und nach dem Angriff der Hamas aufgenommen wurden, würden die Schülerinnen und Schüler zum Nachdenken aufgefordert. Dabei sei es für diese erfahrungsgemäss jedoch schwierig, sich sprachlich über die Vorkommnisse zu äussern, so die Referentinnen. Der emotionale Zugang werde weiter insbesondere durch Kurzgeschichten von israelischen und palästinensischen Autorinnen und Autoren hergestellt, wobei die Schülerinnen und Schüler zum Austausch über gemeinsame Erfahrungen und Einstellungen angeregt werden. Dadurch, dass historische und aktuelle Ereignisse emotional zugänglich gemacht werden, könne man auch reflektiv darüber nachdenken, so Ritzer, Gasser und Eichenberger. Sie folgerten aus dem Praxisbeispiel, dass die Behandlung eines solchen Konflikts in der Schule zwar mit einigen Herausforderungen im Unterricht einhergehe, deshalb aber keinesfalls vernachlässigt werden sollte. Da es laut den Referentinnen durch die interdisziplinäre Arbeit einen Mehrwert gibt, motivieren sie auch andere Lehrpersonen, fächerübergreifend zu arbeiten.
ANDREAS STADELMANN (St. Gallen) stellte das Projekt «Demokratiebus – Demokratie trifft Schule» vor, das seit Ende 2024 durchgeführt wird. Die politische Bildung sei zwar im Lehrplan 21 enthalten, werde in der Umsetzung aber nur durch wenige didaktische Konzepte für Lehrpersonen angeleitet. Um sie sichtbarer zu machen, reist der sogenannte Demokratiebus durch die Ostschweiz und bringt sie direkt an die Schule. In seinem Vortrag stellte Stadelmann insbesondere das Lernangebot «Wir verändern unsere Gemeinde! Raumplanung bei euch!» vor, das in Amriswil mit vier Oberstufenklassen durchgeführt wurde. Die übergeordnete Zielsetzung des Demokratiebusses bestehe insbesondere in der Förderung von Interesse und Verständnis für Demokratie und Politik bei Jugendlichen. Die Schülerinnen und Schüler sollen damit zur Demokratisierung ihrer Lebenswelt befähigt werden und demokratisches Handeln üben. Schliesslich solle auch ein transversaler Zugang zur politischen Bildung hergestellt werden, der als Teil des RZG angesehen werden könne. Die Inhalte der unterschiedlichen Impulseinheiten richten sich laut Stadelmann nach dem Beutelsbacher Konsens, der das Kontroversitätsgebot, das Überwältigungsverbot und die Adressantinnen- und Adressatenorientierung als Grundsätze der politischen Bildung beinhaltet. So wurde Schülerinnen und Schülern im Rahmen des Projekts in Amriswil die Aufgabe gestellt, Orte und «Unorte» ihrer Stadt zu zeichnen oder zu fotografieren, dabei über positive und negative Aspekte zu reflektieren und festzuhalten, wie diese Orte lebenswerter gestaltet werden könnten. Laut Stadelmann standen bei den Schülerinnen und Schülern überraschenderweise vor allem Sicherheitsaspekte im Vordergrund – etwa, dass bestimmte Gassen in Amriswil am Abend zu dunkel seien. Schliesslich wurden die Vorschläge für die Umgestaltung mehrerer Orte in einem formellen Schreiben an den Stadtrat gesendet. So habe das Projekt nicht nur eine aktive Partizipation ermöglicht, sondern auch die Selbstwirksamkeit der Schülerinnen und Schüler gefördert.
Der abschliessende Kommentar von MONIKA WALDIS (Aarau) beinhaltete ergänzende Überlegungen zu den vorgestellten Vorträgen und fasste zugleich auch das Panel zusammen. So fügte Waldis an, dass seit längerer Zeit Integrationsfächer bestünden, die jedoch durch fachdidaktische Entwicklungen entfremdet worden seien. In den beiden vorgestellten didaktischen Ansätzen lasse sich neben einem interdisziplinären Ansatz auch vernetztes Denken beobachten, das die politischen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler fördere. Zudem seien beide Zugänge fachdidaktisch verortet und würden auf einer soliden Theoriebasis aufbauen. Abschliessend hielt Waldis fest, dass die Verbindung von Geschichte, Ethik und Religion einen weiteren gewinnbringenden Fachbereich darstellen könnte.
Panelübersicht:
Monika Reuschenbach: Herausforderung RZG – einer Schnittstelle auf der Spur
Nadine Ritzer, Judith Gasser, Martina Eichenberger: Best Practice-Beispiel RZG
Andreas Stadelmann: Politische Bildung sichtbar machen: mit dem Demokratiebus unterwegs
Monika Waldis: Kommentar