Wie der Vater, so der Sohn? Schule und soziale Migration am Ende des 19. Jahrhunderts am Beispiel der Worber Schulen und des Städtischen Gymnasiums Bern

AutorIn Name
Stefan
Bütikofer
Academic writing genre
Licenciate thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Heinrich Richard
Schmidt
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2006/2007
Abstract

In einer offenen Gesellschaft sollte Bildung und Reichtum für alle Menschen erreichbar sein, unabhängig von ihrer Herkunft. Das einzige entscheidende Kriterium für den eigenen Status sollte dabei die Leistung darstellen. Der Schule kommt in einem solchen Gesellschaftsmodell eine wichtige Rolle zu: Sie misst eben diese Leistungen, bewertet sie und selektioniert. Gute Leistungen führen zu einem höheren Schulabschluss, welcher wiederum die Chancen auf eine einträgliche Stelle vergrössern soll. Ziel dieser Arbeit war es zu untersuchen, wie im ausgehenden 19. Jahrhundert in der Region Bern die Zugangschancen zu Bildung und Reichtum verteilt waren und ob überhaupt von einem Zusammenhang zwischen Bildung und Berufschancen ausgegangen werden kann. Der Fokus richtet sich dabei auf die nicht berufsbildenden Schulen, also auf die Primar-, die Sekundarschule und das Gymnasium.

 

Untersucht wurden Schülerinnen und Schüler der Primar- und Sekundarschule Worb mit den Jahrgängen 1855–1872 sowie Schüler, die zwischen 1880 und 1890 das Städtische Gymnasium in Bern besuchten. Es interessierten dabei der soziale Status des Elternhauses, die Schulbildung, die Berufswahl der untersuchten Schüler sowie der Status der Worber Schüler mit 30 bis 40 Jahren. Insgesamt wurden 489 Schülerinnen und 441 Schüler in Worb analysiert. In Bern konnte von 1092 Gymnasiasten nur in 115 Fällen die soziale Herkunft festgestellt werden.

 

Die Arbeit zeigt auf, dass sich sowohl die Sekundarschule wie in noch höherem Mass das Gymnasium als Standesschulen erwiesen. Unterschichtenkinder besuchten häufiger die Primar- als die Sekundarschule und gingen kaum ans Gymnasium. Kinder aus der Oberschicht profitierten überproportional von höherer Bildung. Sie waren sowohl an der Sekundarschule wie auch am Gymnasium stark überdurchschnittlich vertreten. Es bestanden auch grosse Unterschiede zwischen einzelnen Berufsgruppen. So besuchten etwa Lehrerkinder häufiger die Sekundarschule als Kinder von Landwirten. Auch am Gymnasium waren unter den wenigen Kinder aus der unteren Mittelschicht einige Lehrerkinder anzutreffen.

 

Ein besonderer Fokus wurde auf Bezüger von Freistellen und Stipendien gelegt. Die Freistellen am städtischen Gymnasium wurden nicht ausschliesslich zur Unterstützung unbemittelter Kinder verwendet, sondern auch, um den Söhnen der am Gymnasium unterrichtenden Lehrer einen freien Schulbesuch zu ermöglichen. Das primäre Ziel der Freistellen war nicht, den Unterschichten zu besserer Bildung und sozialem Aufstieg zu verhelfen, sondern begabte Unterschichtenkinder nicht als wertvolle Staatsbürger oder gut ausgebildete Arbeitskräfte zu verlieren.

 

Der Schullaufbahnentscheid hing nicht alleine von den Leistungen der Schülerinnen und Schüler ab. Ebenso wichtig waren die Ziele der Eltern. Die Tatsache, dass es keine guten Primarschüler aus den oberen Schichten gab, zeigt, dass sich Eltern aus diesen Schichten wenn immer möglich für eine bessere Schulbildung für ihre Kinder entschieden. Eltern aus den unteren Schichten schickten ihre Kinder nicht in die Sekundarschule, auch wenn die Leistungen wohl ausgereicht hätten. Ausschlaggebend waren unterschiedliche Bewertungen des Nutzens einer besseren Schulbildung. Während obere Schichten und bestimmte Berufsgruppen eine gute Ausbildung hoch bewerteten, kam ihr etwa in den Unterschichten nicht die gleiche Bedeutung zu. Dazu kamen praktische Überlegungen und finanzielle Gründe, die die Eltern der Unterschichten davon abhielten, ihre Kinder an eine höhere Schule zu schicken.

 

Vergleicht man den Zusammenhang zwischen Schulbildung und beruflichem Status, so zeigt sich, dass dieser bei den Gymnasiasten sehr eng war. Das galt so nicht für die Sekundarschule. Eine Sekundarschulbildung bedeutete nicht zwingend Aufstieg oder Statuserhalt. Zwar konnte der Besuch einer Sekundarschule das Risiko eines sozialen Abstiegs mildern und die Chance eines Aufstiegs erhöhen, es gab aber auch Sekundarschulabgänger, die abstiegen sowie Primarschulabsolventen, die aufstiegen. Entscheidend für den eigenen späteren Status war vor allem das elterliche Milieu. Allgemein gab es in den oberen Schichten keine grossen Verschiebungen, der Austausch zwischen den Unterschichten war hingegen viel häufiger. Wie der Vater, so der Sohn: Die Arbeit zeigt, dass Ende des 19. Jahrhunderts für die berufliche und finanzielle Zukunft der Kinder – mit Ausnahmen – der Status der Herkunftsfamilie entscheidender war als die Leistungen in der Schule. Obwohl zwar theoretisch allen die gleichen Bildungschancen offen standen, waren höhere Bildung und Reichtum nicht allen gleich zugänglich.

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